Ein Hund ist weder ein Werkzeug noch ein Kind

VON DR. JOHANNES PLENK, ZUCHTWART FÜR STEIRISCHE RAUHAARBRACKEN, ÖBV

Um unseren Bracken als hochgezüchteten Arbeitshunden gerecht zu werden, müssen wir  die Balance zwischen Risiko und Unterforderung, sowie Verzärtelung und Vernachlässigung finden.

In den letzten Monaten sind zwei für die Zucht vorgesehene, hoch veranlagte junge Steirische Rauhaarbrackenrüden in der Jagd geblieben, der eine beim Gamsjagern abgestürzt, der andere beimFuchsbrackieren in die Schrotgarbe gelaufen. Während ich im Herbst mehrfach in Niederösterreich aufSchwarzwildrieglern mit meinen Hunden im Einsatz war, wurde von manchen Brackenführern gefordert,alle Saujagden zu unterlassen, um die Hunde nicht der Aujeszkyschen Krankheit auszusetzen. Wie sollen wirmit der Tatsache umgehen, dass die Jagd für den Hund ein Risiko beinhaltet? Zuerst müssen wir unsbewusst sein, dass Krankheiten und Gefahren durch Gelände, Jagdwaffen und wehrhaftes Wild schon immer existiert haben!
Die Wahrscheinlichkeit einen Hund durch diese zu verlieren, war und ist abhängig davon, wie gejagt wird, ganz ausschalten kann man sie aber nicht. Die Juckwut, wie die Aujeszkysche Krankheit auch heißt, ist immer schon ein Begleiter der Wildschweine gewesen, am Balkan und im gesamten Mittelmeerraum ist sie weit verbreitet und hat wohl gelegentlich einen Hund das Leben gekostet. Das passiert selten, schließlich ist ihr Erreger, das Schweine-Herpesvirus, analog zum menschlichen Fieberblasenerreger, an seinen Wirt stark angepasst. Das heißt, das Schwein infiziert sich sehr leicht, wird aber selten schwer krank, der Hund als Fehlwirt (wie Fuchs, Wolf, etc.) infiziert sich weit weniger leicht, erkrankt aber dann meist tödlich.
Das hat aber nie die Jagd mit Bracken auf das Schwarzwild in Frage gestellt, da andere Todesursachen, nicht zuletzt die hauenden und beißenden Schwarzkittel selbst, im Jagdbetrieb viel wahrscheinlicher waren und sind. Allerdings wurde gründlicher darauf geachtet, dass Jagdhunde nicht anschneiden oder Aufbruch fressen. Wer sichergehen will, dass seine Bracke an Altersschwäche hinter dem Ofen stirbt, darf sie freilich jagdlich gar nicht einsetzen und auch nie schnallen. Die allermeisten Todesopfer im Einsatz fordert heute nämlich der Straßenverkehr bei den Jagdhunden! Wenn wir einen Hund verlieren, ist Trauer natürlich und angebracht. Ist aber eine Bracke, die nicht jagen darf ein glücklicher Hund?

Sind Spazierengehen, Abtätscheln auf dem Sofa und gelegentlich eine Kunstfährte ein Ersatz für die ausgelebte Jagdpassion?
Ich behaupte: Nein! Hunde leben zur Gänze im Jetzt, sie kennen keine Zukunftsangst und freuen sich weder auf die Pension, noch trauern sie ihrer Kindheit nach. Wirklich voll am Leben sind Jagdhunde, wenn ihre Anlagen, ihr genetischer Code, in die reine Aktion explodieren: bei der freien lauten Jagd! Uns gelingt dieses völlige Gegenwärtig sein noch am ehesten im Rahmen der, vom Psychologen Mihaly Czikzsentmihaly sogenannten, „Flow-Erlebnisse“, also einem Tätigkeitsrausch, der sich einstellt, wenn wir in dem Bereich zwischen Über- und Unterforderung ganz in einer Aktion, die unsere volle Aufmerksamkeit fordert, aufgehen.

Wer schon einmal dieses völlige Einssein mit sich selbst, seinem Tun und dem Universum erlebt hat, kann nachvollziehen was ein Raubtier, wie unsere Bracken, bei der Jagd empfindet. Den Bracken wurde über Generationen ein derart starker Jagdtrieb angezüchtet, dass sie das Jagen oft dem Fressen, Trinken und sicher dem Spielen mit ihren Führern vorziehen. Nur bei der freien Jagd, sei es beim Brackieren oder bei der Hetze auf krankes Wild, sind sie ganz sie selbst. Mit jeder Jagd wächst der Hund und wird mehr seinen Möglichkeiten gerecht, mit jedem gelösten Absprung oder Widergang, wird seine Spursicherheit größer, mit jedem erlegten Wild sein Spurwille. Umso öfter er sich am wehrhaften Wild bewiesen hat, umso schneidiger wird der Jagdhund, jede Jagd ist neu und anders und daher wird seine Passion umso größer, je mehr er jagt.

Die jagende Bracke wächst an ihrer Aufgabe und ungeachtet dessen, wie lang sie lebt, ihr Leben war sinnerfüllt und lebenswert, können wir uns mehr wünschen für unseren Hund (oder für uns!)?
Auch bei der Behandlung von Hunden abseits der Jagd gibt es eine große Bandbreite zwischen Vermenschlichung und Nutztierstellung. Wir müssen uns aber im Klaren sein, dass wir verstehen könn(t)en, dass der Hund eine andere Spezies, mit anderen Bedürfnissen, einem anderen Sozialverhalten und weit geringeren intellektuellen Fähigkeiten als der Mensch ist: wir müssen uns in den Hund hineindenken.
Umgekehrt können wir aber nicht erwarten, dass der Hund das erfasst und sich unseren Bedürfnissen angepasst verhält. Anders ausgedrückt. Wir können einem Hund verbieten sich im Kot zu wälzen, aber ihm nie beibringen sich davor zu ekeln! Wenn ich Vergleiche lese, die Hunde Kleinkindern intellektuell gleichsetzen, muss ich den Kopf schütteln. Auf der einen Seite die Fähigkeiten eines ausgereiften Tieres, dass sich in seiner Welt, etwa der Brackierjagd, zwar souverän bewegt, aber auf dieser Ebene bleibt, auf der anderen Seite die Erkundung der Welt durch den kleinen Menschen, dessen langsame Entwicklung erst sein ungeheures geistiges und körperliches Potential ermöglicht.
Ein Hund ist aber auch kein Werkzeug, das man ins Eck stellt, wenn man es nicht braucht. Ein Arbeitshund braucht neben ausreichend Futter und einem trockenen Schlafplatz auch außerhalb der Jagdzeit ausreichend Sozialkontakte, Übung und Bewegung um körperlich und geistig gesund zu bleiben.
Hundeartige haben im Gegensatz zu den Affen wenig Bedürfnis nach engem Körperkontakt. Dauerndes Streicheln ist also eher für den Herren angenehm, als für den Hund. Hunde brauchen aber einen sicheren Platz im Rudel, geschaffen durch klare Hierarchien und konsequentes Durchsetzen des Führungsanspruches ihres Rudelchefs, um nicht im Dauerstress zu leben.
Hundeausbildung ist eigentlich nicht so kompliziert: Wenn unsere Bracke die Kommandos Hier, Sitz, Platz und Bleib verstanden hat und verlässlich befolgt ist das Zusammenleben schon weitgehend geregelt. Damit sie es versteht braucht es Konsequenz, viele Wiederholungen, regelmäßige Belohnungen und gelegentlich eine angemessene Strafe. Ich habe ja nichts dagegen, wenn jemand seine Bracke verwöhnen will, aber viel nötiger und lieber, als Leckerbissen und Streicheleinheiten, haben die meisten Bracken ausreichend Bewegung und geistige Stimulation in Form von Nasenarbeit. Das ist es, was sie brauchen um ausgeglichen zu sein!

All das bietet am besten die Brackierjagd. Wir werden sie aber auch neben dem Fahrrad laufen und Schleppen etc. arbeiten lassen müssen, denn wir können unsere Bracken in der Schonzeit ja nicht einrexen! Natürlich ist es verständlich, das Risiko, das wir unseren Bracken zumuten, abzuwägen und gering halten zu wollen, wenn aber die Jagdzeiten beginnen, sind wir es unseren Bracken schuldig, sie das tun zu lassen, wofür sie geboren sind:

Jagen, und koste es das Leben!
Im roten Schnee, im weißen Holz
Der Basse liegt, im Tod noch stolz.
Drei Rüden brav, Watz mit sich nahm:
Wer Schweinshaupt will, gibt Rüden dran!
Hell hallt das Hifthorn Halali!—
Euch, Treugeselln, vergeß ich nie.—
Ihr seid des Waidmanns bester Teil;
Drum Euch das letzte Waidmannsheil!

Rudolf Frieß (der in seinem langen Jägerleben viele seiner besten Hunde an die Jagd verlor…)