Alpensteinbock

Capra ibex ibex LINNAEUS, 1758 

Von Ernst-Otto Pieper

Alpensteinbock; Foto: Selz


Ordnung:    Paarhufer (Artiodactyla)

Unterordnung:            Wiederkäuer (Ruminantia)

Familie:     Hornträger (Bovidae)

Unterfamilie:  Ziegenartige Hornträger

Zur Gattungsgruppe Caprini gehören:

  1. Alpensteinbock Capra ibex ibex(Europäische Alpen)
  2. Äthiopischer Steinbock (Waliasteinbock) Capra ibex walie(Semien / Äthiopien)
  3. Nubischer Steinbock Capra ibex nubiana(Naher Osten, Israel)
  4. Sibirischer Steinbock Capra ibex sibirica(Zentralasien, Südsibirien)
  5. Ostkaukasischer Steinbock (Dagestan-Tur) Capra ibex cylindricornis(Kaukasus)
  6. Westkaukasischer Steinbock (Kuban-Tur) Capra ibex severtzovi(Kaukasus)
  7. Spanischer Steinbock Capra pyrenaica(Iberische Halbinsel, Pyrenäen)
  8. Schraubenziege (Makhor) Capra falconeri(Südasien, Pakistan)

 Auch:          Fahlwild

 Geschichte:

  • Der Aberglaube Blut (Schweiß), Magensteine (Bezoare), Schläuche, Milz, Knochenmark sowie das Herzkreuz machen unverwundbar, führte dazu, dass bereits Mitte des 16. Jahrhunderts die Jagd auf Steinwild unter körperliche Strafe gestellt wurde.
  • Bis 1850 nahezu ausgerottet.
  • Das Steinwild überlebte nur, weil VIKTOR EMANUEL, König von Italien, das letzte Steinwild am Gran Paradiso unter Schutz stellte und sich das alleinige Jagdrecht erkaufte.
  • Grundstein für neue Bestände (Wiedereinbürgerung) in der Schweiz bildete der 1892 gegründete Wildpark Peter und Paul bei St. Gallen. Die dort gezüchteten reinblütigen Stücke wurden 1911 am Rappenloch im Kanton St. Gallen ausgesetzt. Die zur Zucht verwendeten Tiere stammten aus einer Restpopulation, die am Gran Paradiso im ehemaligen Fürstentum Piemont (Norditalien) lebte.

Vorkommen:      

  • Das meiste Steinwild kommt in Norditalien und in der Schweiz vor. Es wird dort wieder regulär bejagt.
  • In Deutschland kommt Steinwild in den Berchtesgadener Alpen (auf der Roth), in der Jochenau (Benediktenwand, seit 1967) sowie in Oberaudorf und Obersdorf vor.
  • Auch in Österreich sind kleinere Bestände vorhanden.

Größe / Gewicht:

  • Kopf-Rumpf-Länge:        Bock: 140 – 170 cm      Geiß: 75 – 115 cm
  • Schulterhöhe:                 Bock: 85 – 94 cm          Geiß: 70 – 78 cm
  • Gewicht (lebend):           Bock: 70 – 120 kg         Geiß: 40 – 50 kg

Decke:                         

  • Steinwild verfärbt im Frühjahr und Herbst.
  • Das Haar ist ziemlich lang, im Sommer kürzer, feiner und glänzender als im Winter und von rötlichgelber bis braungrauer Farbe. Im Winter ist es fahlgelb, matter, etwas gekräuselt und hat eine dichte, weiße Unterwolle. Bauchseite, Spiegel und Hinterseite der Hinterläufe sind weiß.
  • Über den Rücken des Bockes zieht sich ein hellbrauner Rückenstreif (Aalstrich). Bock und Geiß sind ansonsten in der Färbung kaum zu unterscheiden.
  • Der Bock hat einen Bart (im Winter deutlich).
  • Junge Böcke sind in der Regel heller gefärbt als alte.
  • Jungtiere haben nach dem Setzen steingraue Wolle, im Herbst bekommen sie ihr eigentliches Winterhaar.                          

Zähne:                         

  • Dauergebiss: Oberkiefer   0 / 0 / 3 / 3   x 2
                          Unterkiefer  4 / 0 / 3 / 3   x 2  = 32 Zähne im Dauergebiss
  • Grandeln kommen nie vor.

Sinne:

  • Vernimmt und windet gut; äugt sehr gut.

Duftdrüsen:

  • An der Schwanzwurzel befindet sich ein Feld von Duftdrüsen (liegt bei umgeklapptem Wedel frei).
  • Voraugen- und Zwischenzehendrüsen fehlen.

Lautäußerungen:

  • Bei beiden Geschlechtern in der Jugend ein ziegenartiges Meckern.
  • Vom Bock ist gelegentlich ein Pfeifen zu hören, nicht so scharf wie beim Gamsbock, aber dafür gedehnter.
  • Erschreckt niest der Bock kurz.
  • Im Zorn schnaubt er, dabei bläst er durch den Windfang.
  • Kitze blöken, wenn sie sich verlassen fühlen.

Lebensraum:

  • Hochgebirgswild Gletscherzone.
  • Es steht höher als das Gamswild; in Höhenlagen zwischen 2000 bis 3000 m (von der oberen Waldgrenze an aufwärts).
  • Steinwild ist standorttreu und bleibt auch im Winter in den höheren Lagen. Der Wintereinstand ist dann jedoch an den steilen Südhängen.
  • Im Gegensatz zum atlantisch getönten nördlichen Alpenrand sagt ihm der kontinentale Zentralbereich der Alpen mehr zu.
  • Steinwild benötigt ein niederschlagsarmes, auch besonders im Winter sonniges Klima. Süd- und Südwest-Expositionen werden besonders im Winter bevorzugt, einmal der Wärme, zum anderen der besseren Äsungsmöglichkeiten wegen.
  • Diese klimatische Abhängigkeit ist auch bei den in den bayerischen Alpen neu gegründeten Kolonien zu beobachten, die in ihrem Populationswachstum aber eine Akklimatisation erkennen lassen.

Lebensweise:

  • Das tagaktive Steinwild steigt und springt außerordentlich gewandt, sicher und kühn. Es findet auch in steilen Felswänden noch Halt. Es läuft schnell und anhaltend.
  • Es lebt gesellig und schließt sich außerhalb der Brunft in Bock- und Geißenrudeln zusammen.
  • In Geißengruppen stehen regelmäßig auch Böcke im Alter von 1 bis ca. 3 Jahren. Verbände mit mehr als 30 Stück Steinwild sind selten.
  • In den Bockrudeln kommt es meist in den Sommermonaten zur Ausfechtung und Festlegung einer Rangordnung. Die Rangordnungskämpfe verlaufen ritualisiert und dienen im soziobiologischen Sinn ausschließlich dazu, sich das Recht der Fortpflanzung durch einen ranghohen Platz zu sichern.
  • Im Herbst unternehmen die Böcke größere Wanderungen, kommen aber zur Brunft zu den Geißenrudeln zurück.
  • Sehr alte Böcke werden gelegentlich zu Einzelgängern.
  • Vorübergehende Einzelgänger kommen bei beiden Geschlechtern in allen Altersstufen vor.
  • In der Brunftzeit vereinigen sich die Rudel zu gemischten Verbänden.
  • Steinwild lässt seine Feinde sehr nahe herankommen, mit der Gewissheit, sich mit 2 – 3 Sprüngen sofort in Sicherheit zu bringen. Bei Gefahr fliehen sie hangaufwärts. Nach einer Fluchtstrecke bleiben sie stehen und sehen sich nach der Gefahrenquelle um.
  • Steinwild gilt als äußerst kälteresistent und kann auch extrem tiefe Temperaturen ohne weiteres ertragen. Erst bei –35° setzt eine Steigerung der Wärmeproduktion (Kältezittern) ein.
  • Steinwild hält sich von Gamswild fern.

Ernährung:                             

  • Starkes Bedürfnis nach Salz.
  • Die Äsung ähnelt sehr der des Gamswildes: Fichtennadeln, Laub, Gräser, Kräuter, Birken, Alpenrosen, Latschen, Knospen, Ginster, Zweige der Bergweiden, Farne, Moose; im Winter auch aus trockenen Halmen und Flechten.
  • Der Wasserbedarf wird durch Aufnahme von Schnee bzw. durch Ablecken von Eis, im Sommer auch durch Aufnahme von wasserreichen Pflanzen gedeckt.
  • Mit Sonnenaufgang beginnt es äsend aufwärts zu klettern um sich dann an den höchsten und wärmsten, nach Osten oder Süden gelegenen Plätzen zu wärmen.
  • In der kalten Jahreszeit ist das Steinwild den ganzen Tag auf Nahrungssuche.
  • Bei seinen Äsungsgängen hält das Steinwild nicht nur seine Wechsel ein, sondern ruht auch regelmäßig an bestimmten Stellen, am liebsten auf Felsvorsprüngen, die ihm den Rücken decken und freie Umschau gewähren.

Fortpflanzung:

  • Steingeißen werden zwischen 2 ½ und 4 Jahren geschlechtsreif, Böcke ab 3. Lebensjahr.
  • Vollfeiste Böcke besitzen einen Fettanteil von etwa 35 kg.
  • Brunftzeit: Ende November bis in den Februar. Die höchste Brunftaktivität ist von Mitte Dezember bis Anfang Januar. Sie verläuft verhältnismäßig ruhig. In Ausnahmefällen kann es zu einer Nachbrunft im März kommen.
  • Der dominierende Bock steht oft tagelang, von geringeren Böcken unbehelligt, mit charakteristischer „Streckhaltung“ bei der brunftigen Geiß. Sind bei einem Rudel mehrere starke Böcke, kommt es zu einem gelegentlichen, jedoch mehr spielerischen Kräftemessen (kommt auch außerhalb der Brunft vor). Das Zusammenschlagen der Hörner ist dabei weit hörbar.
  • Die Geißen weichen anfangs den sich nähernden Böcken aus. Während der beiden Tage des Eisprungs dulden die Geißen schließlich das Unterschreiten der Intimdistanz durch den Bock. Die Geißen schwenken kurz vor der Kopulation mit dem Wedel und animieren so zum Aufreiten. Nach dem nur wenige Sekunden dauernden Beschlag begleitet der dominante Bock die Geiß noch einige Zeit, um danach wieder mit den anderen Böcken an der Gemeinschaftsbrunft teilzunehmen.
  • Tragzeit: 23 bis 25 Wochen (161 bis 175 Tage).
  • Etwa ab Ende Mai und Anfang Juni sondern sich die hochbeschlagenen Geißen vom Rudel ab, um zu setzen.
  • Es wird 1 Kitz (äußerst selten 2) gesetzt. Späteres Setzen ist möglich.
  • Die Kitze können bereits wenige Stunden nach der Geburt in den Felswänden folgen. Schon kurz nach dem Setzen suchen die Geißen mit ihren Kitzen die Gemeinschaft des Rudels, wobei ebenfalls führende Geißen als Rudelpartner bevorzugt werden.
  • Mutterverbände bevorzugen aus Sicherheitsgründen hohe, steile und zerklüftete Felseinstände.
  • Im Alter von 4 bis 5 Wochen schließen sich die Kitze zu Jugendverbänden zusammen.
  • Kitze nehmen bereits ab der 2. Lebenswoche Grünäsung auf, werden aber fast ein Jahr lang gesäugt.
  • Das Gesäuge hat 2 Zitzen.
  • Bei Gefahr drücken sich die Kitze in Steinspalten oder dergleichen.
  • Die Jungtiere schließen sich innerhalb des Rudels zu einer Art „Kindergarten“ zusammen.
  • Schon im Alter von 35 Tagen überwinden die Kitze in etwa die gleichen Höhenunterschiede wie ihre erwachsenen Artgenossen.
  • Alle Steinbockarten und Unterarten sind kreuzbar. Steinwild lässt sich auch mit Hausziegen kreuzen. Beides kommt in freier Wildbahn aufgrund der räumlichen Trennung bzw. des Hochgebirgs-Biotops nicht vor.
  • Böcke erreichen ein Alter von maximal 15 bis 18 Jahren; Geißen von 16 bis 20 Jahren. Höhere Alterstufen sind seltene Ausnahmen.

Horn:

  • Beide Geschlechter tragen einen Kopfschmuck, der nicht gewechselt wird.
  • Das bogenförmig nach hinten und etwas nach außen gebogene Horn kann beim Bock eine Länge von 1 bis 1,30 m und ein Gewicht von 15 kg erreichen. Das Gehörn der Geiß wird kaum länger als 30 cm (32 – 34 cm).
  • Die Hörner der Böcke haben vorne Hornwülste (Schmuckwülste, Knoten, Schocke). Das Gehörn eines alten Bockes kann bis zu 24 Hornwülste haben. Die Hörner der Geißen haben keine Hornwülste.
  • An der Seite und Rückseite der Gehörne sind rillenartige Vertiefungen, die sog. Jahresringe. Beim Muffel- und Steinwild kann das Alter mit etwas Routine auch auf relativ weite Entfernung am lebenden Stück abgelesen werden.
  • Die Gehörne wachsen von der Basis her.
  • Steinkitze beiderlei Geschlechts sind zunächst hornlos. Mit ca. 4 Wochen sind die Spitzen der winzigen Hörner fühlbar und nach 2 Monaten bereits ca. 3 cm lang
  • Etwa ab Dezember des Geburtsjahres stagniert das Hornwachstum weitgehend und es kommt bis etwa März zur Bildung des ersten Jahresringes. Die Bildung der ersten Schmuckwülste (-knoten) erfolgt im zweiten Lebensjahr nach der Bildung des ersten Jahresringes.
  • Der Zuwachs der Gehörne beträgt im ersten Lebensjahr ca. 9 cm und nimmt dann von Jahr zu Jahr ab. In schneereichen oder nassen Jahren sind die Jahresringe enger als in trockenen, schneearmen Jahren.
  • Ein auffälliger Rückgang des jährlichen Hornzuwachses erfolgt im Alter von etwa 9 bis 10 Jahren.
  • Der Querschnitt des Hornes ist beim Bock dreieckig und bei der Geiß meist oval.

Fährte:

  • Die Schalen sind von der Beschaffenheit her ähnlich denen des Gamswildes. Die Fährte ähnelt deshalb der des Gamswildes, ist jedoch größer.
  • Trittsiegel: 7 bis 10 cm lang und 5 bis 6 cm breit.

Verluste:

  • Nach strengen Wintern steigt die Fallwildquote und es treten vermehrt Erkrankungen auf.
  • Erkrankungen: Lungenentzündung, Parasitenbefall (Räude), Gamsblindheit.
  • In „überbevölkerten“ Rudeln mindert sich die Fortpflanzungsleistung (Äsungsverknappung, steigender sozialer Stress). Einzelne Stücke wandern dann in weniger geeignete Gebiete ab.

Besonderheiten:

  • Steinwild besitzt eine Gallenblase.
  • Bei Stein- Rot- und Gamswild kommt ein kreuzförmiger Knorpel im Herzen vor. Dieses Herzbein (= Herzkreuz = Hirschkreuz) entsteht beim älteren Stück durch Erhärtung der Herzklappen.
  • Bezoare (Magensteine) im Pansen.