Bislicher Insel

Ein Kleinod am Niederrhein

Von Gerd Tersluisen

Typisch für die Insel: Kopfbäume und der Ort Bislich Foto: G. Tersluisen
Silberreiher, Graureiher und Blässgänse Foto: G. Tersluisen

Am unteren Niederrhein, am Nordrand des Ruhrgebietes in der Nähe der ehemaligen Römerstadt Xanten, befindet sich ein bemerkenswertes Naturschutzgebiet dessen heutiges Gesicht vom Rhein geprägt wurde. Eine enge Rheinschleife, die ihre Lage über Jahrhunderte hinweg stets verlegte und so einen anliegenden Ort drei Mal zur Aufgabe und Umsiedlung zwang, wurde um 1788 durch einen Rheindurchstich, vom Beginn bis zum Ende der Schleife, vom eigentlichen Strom abgeschnitten. Der Strom wurde besser schiffbar und damit wirtschaftlich wertvoller.
Die Auenlandschaft der damaligen Zeit hat sich in diesem Bereich erhalten. Die Rheinschleife und der neue Durchstich machten den eingeschlossenen Ort Bislich und die umliegenden Felder zu einer „Insel“. Daher entstand der Name „Bislicher Insel“.
In den Jahren 1870 – 1890 erhielt das Gebiet einen Sommerdeich mit Schleusen, der das Sommerhochwasser fernhielt und so erst eine landwirtschaftliche Nutzung ermöglichte. Weite Grünlandbereiche empfangen den Besucher und typische Auenwälder zeigen ihm eine Vegetation, die es sonst kaum noch gibt.
Der Kies- und Sandabbau des letzten Jahrhunderts hinterließ tiefe Narben im Gelände, die heute als große Baggerseen sichtbar und für den Naturschutz nutzbar sind. Bei diesen Abgrabungen kamen, insbesondere in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, viele archäologische Kostbarkeiten zu Tage. So fand man bei Arbeiten mit einem Schwimmbagger das römische Lager Vetera II, dessen genaue Lage bis dahin niemand kannte.
Die spannenden Umstände dieses Fundes sind vom Xantener Schriftsteller Werner Böcking 1987 in „Der Niederrhein zur römischen Zeit“ beschrieben worden.
Schon im Jahre 1940 wurde das erste Naturschutzgebiet im Bereich der Bislicher Insel eingerichtet.
Die sich bildenden großen Wasserflächen konnte touristisch genutzt werden.
Die Nutzung des Gebietes änderte sich mit der Ausweisung des „Unteren Niederrheines“ als Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung, nach der Ramsar-Konvention.
Im Jahre 2001 wurde das Gebiet als FFH-Gebiet gemäß der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie gemeldet und anerkannt.
Zwischen 1990 – 1996 beseitigte der „Kommunalverband Ruhrgebiet“ zwei ungenehmigt betriebene Campingplätze und stellte deren Gelände wieder der Natur zur Verfügung. Asphaltierte Straßen mussten zurückgebaut und eine Betonsteinwerkhalle abgerissen werden. Ein Informationszentrum für die Öffentlichkeit wurde errichtet und Maßnahmen zur Besucherlenkung ergriffen.
Die Betreuung dieses Gebietes erfolgte und erfolgt durch die Biologische Station Wesel.

Um den Rhein bei Hochwasser zu entlasten, wird das gesamte Naturschutzgebiet mehrfach im Jahre geflutet.
Seit den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts stellen sich Wintergäste ein, die die gesamten Feuchtgebiete „Unteren Niederrhein“ als Überwinterungsquartier nutzen.

Einfallende Nonnen- und Blässgänse Foto: G. Tersluisen

Bis zu elf Gänsearten, sind hier in den Monaten Oktober bis März, zu beobachten.
200.000 Gänse überwintern am „Unteren Niederrhein“. Davon entfallen auf das Gebiet der „Bislicher Insel“, das eine Gesamtgröße von nunmehr 1052 ha besitzt, etwa 20.000 Gänse.
Es zeigen sich Enten aller Art, Brachvögel, Uferschnepfen, Bekassinen, Kiebitze, Saatkrähe und Säger, um nur einige zu nennen. Der Zwergsäger hat hier sein wichtigstes Überwinterungsrevier im Lande NRW. Seit dem Jahre 2001 brütet der Weißstorch wieder regelmäßig auf der Insel und Fraßspuren des Bibers zeugen von dessen Anwesenheit.

Nirgendwo in Europa kommt man all diesen Wintergästen, aber auch den heimischen Vögeln so nahe, wie in diesem Schutzgebiet. Das liegt an einer durchdachten Wegeführung, an einem absoluten Betretungsverbot der Flächen außerhalb der Wege und an einem zeitlich begrenzten Jagdverbot.
Bussarde kreisen im Blau des Himmels und Turmfalken fußen auf den Koppelpfählen. Weihen schaukeln über Grünlandflächen und der Wanderfalke jagt in pfeilschnellen Fluge seiner Beute hinterher.
Mit viel Glück gelingt die Beobachtung der ein bis drei Seeadler, die hier regelmäßig überwintern. Da auch in den Sommermonaten der eine oder andere Adler hier auf Fischwaid geht, rechnet der Naturschutz damit, dass über kurz oder lang auch eine erste Brut unseres Wappenvogels am „Unteren Niederrhein“ stattfinden wird.
Die größte Brutkolonie der Kormorane Nordrhein-Westfalens befindet sich in dieser Rheinschleife. Auch Graureiher ziehen hier ihre Jungen groß.
Nirgendwo in Europa gibt es eine höhere Brutdichte des Steinkauzes, als hier. Dem kleinen kecken Vogel sagen das Grünland und die vorhandenen Streuobstwiesen offensichtlich zu.
In den Sommermonaten besuchen regelmäßig Löffler die Flutmulden auf der Insel und lassen sich dort gut beobachten.

Die Graugans, Erfolgsgeschichte einer Aussetzaktion Foto: G. Tersluisen

Den ornithologischen Höhepunkt des Jahres bildet aber die Masse der Wintergäste, die im Oktober einfliegt und ihre Spitze im Monat Dezember erreicht. Blässgänse, Saatgänse, Weißwangengänse, Brandgänse, Rostgänse, Graugänse, Nilgänse, Kanadagänse, sehr selten auch Streifengänse, Zwerggänse und Rothalsgänse lassen sich hier beobachten.
Dem Besucher wird empfohlen mit dem Fahrzeug auf Gänsepirsch zu gehen und dieses Fahrzeug nicht zu verlassen. Bei langsamer Fahrt weichen die Gänsemassen vorsichtig zurück. Wenn man den Motor seines Fahrzeuges abstellt und wartet, nähern sich die großen Vögel anschließend wieder bis auf eine Fluchtdistanz von dreißig Metern.
Die Gänse fliegen am frühen Morgen zu ihren Äsungsflächen. Jede Gans benötigt am Tage 1 Kg Pflanzenkost (etwa 1/3 ihres Körpergewichtes). Die müssen erst einmal aufgenommen werden. Nach drei Stunden erhebt sich die gesamte Gänseschar mit gewaltigem Lärm und fliegt zu den großen Wasserflächen, um sich dort der Gefiederpflege und der Wasseraufnahme hinzugeben. Anschließend werden abermals die Äsungsflächen aufgesucht. In diesem Rhythmus wiederholt sich der gesamte Äsungsvorgang.
Am Abend brausen alle Gänse ihren Schlafplätzen entgegen, großen sicheren Wasserflächen, auf denen sie die Nacht verbringen. Es ist schon ein ganz besonderes Erlebnis, die einfallenden Gänse im Licht der untergehenden Sonne zu beobachten.
Seitdem die auftretenden Schäden durch das Land NRW ausgeglichen werden, gibt es keine Probleme mit der Landwirtschaft, Probleme, die anfänglich recht lautstark vorgetragen wurden.

Ein Besuch der „Bislicher Insel“ wird jedem, der die Möglichkeit hierzu besitzt, nahegelegt.
Es ist ein unvergessliches und prägendes Erlebnis die gewaltigen Gänsescharen bei einem Alarmstart zu beobachten. Auslöser ist oftmals der Seeadler, der am Horizont erscheint. Die Luft ist dann erfüllt von heiseren Rufen der Martinsvögel, vom Geschrei der Möwen und den Warnrufen der aufsteigenden Entenmassen.
Empfohlen wird die Mitnahme eines ordentlichen Fernglases und eines Fotoapparates.

Liebe Leser, sie dürfen mir glauben, dass sich ein Besuch der „Bislicher Insel“ lohnt.
Er ist vor allen Dingen uns Jägern zu empfehlen. Wir können dort einmal sehen, zu welchen Ergebnissen der Naturschutz kommen kann und welch herrliche Kleinode das Ruhrgebiet zu bieten hat.  Es ist sicherlich auch ein besonderes Erlebnis, die unterschiedlichsten Arten unserer Enten und Gänse einmal hautnah zu erleben.

Nur was man kennt, das liebt man und was man liebt, dass schützt man auch.

Der LJV NRW hat in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hier auf der Insel, im Rahmen eines Forschungsvorhabens, die ersten Graugänse in NRW verpaart und ausgesetzt. Bis dahin galt die Graugans in diesem Lande als ausgestorben. Wer brütende Gänse oder Gänse mit ihren Gösseln beobachten wollte, musste zum Dümmer nach Niedersachsen fahren. Die durchgeführte Aussetzaktion hatte einen so großen Erfolg, dass man die Gänse nunmehr in unserem Bereich professionell bejagen und vermarkten muss.

In vielen Niederwildrevieren hat sich mittlerweile die Gans zur Hauptwildart entwickelt.
Auch das ist eine erfolgreiche Naturschutzmaßnahme der Jägerschaft, die ihres Gleichen sucht.

Hier, an der Bislicher Insel sind die Erfolge des Naturschutzes jedenfalls für jeden Besucher sichtbar.

Quelle „Bislicher Insel“ Natur und Kulturlandschaft im Strom der Zeit,
Klartextverlag, Regionalverband Ruhr.
Eigene langjährige Beobachtungen.