Bracken und Brackenjagd – Lebendiges Kulturerbe

Von Heimo van Elsbergen

Referat auf dem „Bonner Jägertag“ der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung des Landes NRW am 11.09.2018

Die Bracken sind die Stammväter aller hängeohrigen, mit der Nase suchenden Jagdhunde (Retriever ausgenommen). Von der Antike bis ins 19. Jahrhundert waren sie die wichtigste Jagdhundgruppe. Ihre ureigene Aufgabe war und ist das Suchen, Finden und anhaltende, laute Jagen auf Spur und Fährte. Zu unterscheiden sind die Hetzjagd (Parforcejagd) und die Treibjagd. Bei der Hetzjagd jagen große Bracken das Wild (Rothirsch, Sau oder Reh) so lange, bis es sich stellt oder eingeholt ist. Bei der Treibjagd jagen mittelgroße Bracken Schalenwild, Hasen oder Füchse. Der Jagdakt wird durch mechanische Mittel (Netze, Waffen, insbesondere Schusswaffen) oder das Beihetzen von Windhunden und Doggen beendet. In Europa gibt es noch ca. 70 Brackenrassen, die zur Schießjagd verwendet werden, in Frankreich und Irland auch zur Parforcejagd. In Deutschland werden die Bracken vornehmlich als Stöberhunde bei Bewegungsjagden auf Schalenwild eingesetzt. Das eigentliche Brackieren, eine besonders reizvolle Jagdart, hat nur noch im Alpenraum und Teilen des Bayerischen Waldes Bedeutung.

Deutsche Bracke und Westfälische Dachsbracke

Von den früher zahlreichen Brackenrassen ist in Deutschland nur die Westfälische Bracke erhalten geblieben. Ihr bedeutendster Schlag war die große dreifarbige Sauerländer Holzbracke, die nach ihrem Hauptzuchtort auch Finnentroper Bracke genannt wurde. Durch Verschmelzung dieses Schlages mit kleineren Steinbracken, die vor allem im Siegerland gehalten wurden, entstand um 1900 ein Einheitstyp, der seitdem offiziell als Deutsche Bracke bezeichnet wird. Neben dieser hochläufigen Bracke gibt es noch die aus ihr entstandene niederläufige Westfälische Dachsbracke, die ihre Ursprünge im märkischen Sauerland hat.

Im Jahre 1719 schreibt der chursächsische Oberforstmeister Hanns Friedrich von Flemming über die Jagdhunde, wie man die Bracken damals nannte: „Was nun unsere Teutsche Jagd-Hunde betrifft, hält man hierzulande die Pohlnischen, Cassubischen und Pommerischen Hunde vor die besten, weiln sie auff der Spuhr oder Gefährde lange Zeit tauerhafftig verharren und richtig auf derselben verbleiben … Andere dargegen ziehen die Westphälische und Lüneburgische Art diesen vor.“ Dies ist wohl die erste Erwähnung der Westfälischen Bracke.

Brackieren

Mit der Entwicklung von Schusswaffen, mit denen man auch flüchtig schießen konnte (Anfang des 17. Jahrhunderts), wurde das sog. Brackieren zur typischen Jagdart mit der Bracke. Dieses Brackieren beruht auf der Standorttreue des Haarwildes. Die Bracken sollen Hase, Fuchs oder Reh auftun und solange spurlaut jagen, bis sie zu ihren alten Einständen zurückkehren. Hier können sie von den an den bekannten Pässen anstehenden Schützen erlegt werden. Für das Brackieren ist also das „Wenden“ und „Zurückbringen“ des Wildes charakteristisch. Von den Hunden verlangt diese Jagdart feinste Nase, enormen Spurwillen und lockeren Spurlaut.

In den unerschlossenen Gebirgswäldern, Heiden und Mooren war die Brackenjagd die einzig erfolgversprechende Jagdart. Stöbern, Buschieren oder gar Treibjagden mit Treibern waren wegen der Unzugänglichkeit des Geländes oder wegen der geringen Wilddichten wenig aussichtsreich. Besonders schwierig war die Bejagung der Niederwälder, die große Teile der Mittelgebirge bedeckten. In dem undurchdringlichen Laubholzgestänge mussten lautjagende Hunde die Treiber ersetzen.

Mit der Erschließung der Wälder, der Kultivierung der Heiden und Moore und dem Übergang zur Hochwaldwirtschaft verlor die Brackenjagd immer mehr an Bedeutung. Einschneidende Änderungen brachte auch die Deutsche Revolution von 1848. Das Jagdrecht – bislang ein Vorrecht des Adels und weniger Städte und Klöster – stand nun den jeweiligen Grundstückseigentümern zu. Bei den stark zersplitterten Besitzverhältnissen Nordwestdeutschlands wurde dem Brackieren buchstäblich der Boden entzogen. Die Folgejahre brachten zwar das bis heute gültige Revierjagdsystem, doch machte man in den meisten deutschen Staaten die Ausübung der Brackenjagd von bestimmten Reviergrößen abhängig. Nach heutigem Recht ist es verboten, die Brackenjagd – gemeint ist das Brackieren – auf einer Fläche von weniger als 1.000 Hektar auszuüben (§ 19 Abs. 1 Nr. 16 des Bundesjagdgesetzes).

Der Österreichische Brackenverein, Zuchtverein für Brandlbracke und Steirische Rauhaarbracke, ist bestrebt, das „Brackieren – Die Laute Jagd mit Bracken“   in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufnehmen zu lassen.

Niedergang der Brackenjagd

Neue Wirtschaftsformen, veränderte jagdliche Verhältnisse und restriktive gesetzliche Bestimmungen haben so zum Aussterben der früher zahlreichen Brackenrassen und -schläge geführt. Wenn die Sauerländer Bracken von dieser Entwicklung verschont geblieben sind, so ist dies auf folgende Ursachen zurückzuführen: In den Bergen des Sauerlandes wurde noch bis in die 1930er Jahre auf großer Fläche die Niederwaldwirtschaft betrieben. Die Brackenjagd ist hier zumindest bis zum Zweiten Weltkrieg eine jagdliche Notwendigkeit geblieben. Außerdem hielten die Sauerländer „in zäher Niedersachsenart“ an ihrer Jagdart, der „Lauten Jagd“ mit Brackengeläut, Hornrufen und Jagdschreien fest. 1911 schrieb Dr. med. et phil. Friedrich Jungklaus (1857 – 1953), Bielefeld, einer der bekanntesten Kynologen seiner Zeit:

Die eigenartige durch ihr Alter ehrwürdige Brackenjagd und die Bracken des edelsten, seit grauer Vorzeit reingezüchteten Stammes sind im Begriff, zugrunde zugehen, wenn unseren Bestrebungen nicht eine besondere Hilfe zuteilwird. … Mit niedersächsischer Zähigkeit verteidigen wir die Brackenjagd als ein kulturhistorisches Denkmal; denn der Brackenjäger mit seinem mächtigen kupfernen Waldhorn, seinen uralten melodischen Jagdsignalen und seinen bunten Hunden mit ihren trockenen, rassigen und langbehangenen Köpfen ist in der Tat ein kulturgeschichtliches Denkmal, das dem verflachenden und das Alte zerstörenden Zuge der Zeit gegenüber dringendem und nachdrücklichem Schutz bedarf. Zudem ist die Brackenjagd unter gewissen Geländeverhältnissen – namentlich in den mit dichtem Buschwerk bestockten Haubergen des südlichen Westfalens – nicht nur durchaus waidgerecht, sondern die einzige mögliche Jagdart auch im Sinne der Hege des Hasenbesatzes.

Seitdem haben sich die Verhältnisse auch im Sauerland grundsätzlich geändert. Durch die Aufgabe der Niederwaldwirtschaft und den intensiven Wirtschaftswegebau ist das eigentliche Brackieren durch Stöber- und Treibjagden abgelöst worden. Bei den heutigen geringen Reviergrößen und dem im enger werdenden Straßennetz ist kein Platz mehr für Hunde, die „durch Sonne, Mond und Sterne“ jagen.

„Renaissance“ der Bracken

Die Brackenjäger haben sich daher seit den 1970er Jahren in Zucht und Führung umgestellt und ziehen heute den Kurzjager dem Langjager vor. So werden die Bracken und Dachsbracken als Stöberhunde eingesetzt und können auch in kleineren Revieren geführt werden, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.

Neue Wege der Schalenwildbejagung bieten ein neues Feld für den Einsatz der Bracken. Bei großräumigen Bewegungsjagden werden sie als Stöberhunde auf Schalenwild, insbesondere Schwarzwild, eingesetzt. Daneben spielt auch die Schweißarbeit eine Rolle. Diese Verwendung hat gerade in den letzten Jahren zu einer Verbreitung der Sauerländer Bracken und Dachsbracken über die Landesgrenzen hinausgeführt. Zurzeit gibt es in Deutschland etwa 1.000 Deutsche Bracken und ca. 400 Westfälische Dachsbracken, die vorwiegend in den Mittelgebirgen geführt werden. Etwa ein Fünftel der Bracken und Dachsbracken steht nach wie vor im Sauerland mit einem Verbreitungsschwerpunkt im Kreis Olpe, weshalb in Jägerkreisen oft von den „Olper Bracken“ gesprochen wird.

Brauchtum der Brackenjäger

Die Sauerländer Brackenjäger haben aber nicht nur die letzten deutschen Brackenrassen erhalten, sie pflegen auch weiterhin das mit der Brackenjagd überkommene Brauchtum. Das Halbmond-Bläserkorps des1896 gegründeten Deutschen Bracken-Clubs, des Zuchtvereins für die Deutsche Bracke und die Westfälische Dachsbracke, bläst auf kupfernen Sauerländer Halbmonden die alten Brackenjagdsignale, die Hornrufe. Hin und wieder hört man im Sauerland und im Wiehengebirge noch die alten Jagdschreie, die bei der Erlegung des Wildes gerufen werden. Außerdem haben die nordwestdeutschen Brackenjäger rd. 200 eigenständige jagdliche Ausdrücke entwickelt, die in der allgemeinen Jägersprache unbekannt sind oder eine andere Bedeutung haben. Diese Ausdrücke sind gesammelt worden, um sie der Nachwelt zu erhalten. Etwa 70 Ausdrücke sind heute noch gebräuchlich.

Die Bracken in der Kunst

Die bunten Hunde, der Hörnerschall und das das vielstimmige „Geläut“ der Bracken haben zu allen Zeiten Jäger und Nichtjäger fasziniert. Bereits die römischen Dichter Vergil (70 – 19 v. Chr.) und Seneca (gest. 65 n. Chr.) haben die Brackenjagd besungen. William Shakespeare (1564 – 1616) spricht im Sommernachtstraum vom „Glockenspiel der Bracken“, und Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848) hat in ihrem Gedicht „Die Jagd“ der Brackenjagd im Münsterland ein großartiges Denkmal gesetzt. Auch in der Architektur spiegelt sich diese Faszination wider. Für die höfische Parforcejagd errichtete der Kölner Kurfürst Clemens August (1700 – 1761) die Jagdschlösser Herzogsfreude (Kottenforst) und Clemenswerth (Oldenburger Münsterland). Entsprechend ihrer historischen Bedeutung finden sich vom späten Mittelalter bis in das frühe 19. Jahrhundert zahlreiche Darstellungen von Bracken und Brackenjagden in Malerei und Bildhauerei. Auf Gemälden des 16./17. Jahrhunderts können wir noch heute existierende Brackentypen erkennen. In der mittelalterlichen Heraldik steht die Bracke oft für das Recht der Hohen Jagd.

Parforce- und Brackenjagd haben auch die Musik beeinflusst. Am deutlichsten wird dies bei der auf Parforcehörnern geblasenen französischen Hubertusmesse. Das Parforcehorn fand schon früh Eingang in die Konzertmusik und hat diese mit seiner typischen Tonfolge nachhaltig beeinflusst. 1810 wurde es zum Konzert-Waldhorn mit Ventilen weiterentwickelt. Auch in den Jägerliedern finden wir Anklänge an die Brackenjagd. So heißt es in dem bekannten Lied „Auf der Lüneburger Heide“ von Hermann Löns (1866 – 1914): „Und die Bracken, und die bellen / und die Büchse, und die knallt / rote Hirsche woll’n wir jagen / in dem grünen, grünen Wald“. 1915 komponierte Musikdirektor Arthur Becker, Chemnitz, sogar eigens das Tongemälde „Eine westfälische Brackenjagd“.

Bracken und Brackenjagd sind also nicht nur selbst ein altes, schützenswertes Kulturgut, sondern waren über Jahrhunderte hinweg auch Impulsgeber für die bildende Kunst, Literatur und Musik.

 

Literatur

Olper Kreis-Zeitung (1955). Mit Bracken und Halbmond im Revier, 9.11.1955

v. Flemming, H. F. (1719). Der Vollkommene Teutsche Jäger

Autor

Heimo van Elsbergen, Ministerialrat a. D., leitete von 1981 bis 1986 das Staatl. Forstamt Siegburg. Von 1986 bis 1989 war er Referatsleiter bei der Höheren Forstbehörde Rheinland, von1989 bis zu seiner Pensionierung 2012 Referatsleiter im nordrhein-westfälischen Umweltministerium und dort für Jagd und Fischerei zuständig. Von 1985 bis 2001 war er Präsident des Deutschen Bracken-Clubs.

 

Heimo van Elsbergen
Heimo van Elsbergen
Immer der Nase nach
„Westfälische Dachsbracke auf der roten Fährte“