Calming Signals – Beschwichtigungssignale der Hunde

Von Dr. Ludolf Hoffmann, Klub Tirolerbracke Deutschland e.V.

Hunde sind bewaffnet. Schwer sogar. Man könnte sagen, bis an die Zähne. Mit ihnen sind Wildhunde in der Lage, Beute bis zur Elchgröße zu töten und sie anschließend zu zerkleinern. Das Gebiss der Hunde ist aber auch eine Waffe, die gegen Artgenossen (wozu ja bei unseren Haushunden auch der Mensch zu zählen ist, zumindest dürfte das der Hund so sehen) eingesetzt werden kann. Was selten der Fall ist. Warum eigentlich? Klar, werden Sie jetzt sagen, der andere Hund hat ja auch Zähne. Die würde er ja, sollte er angegriffen werden, sicherlich zu seiner Verteidigung einsetzten. Womit wiederum für den Angreifer ein Grund besteht, sich die Sache noch einmal gründlich durch den Hundekopf gehen zu lassen. Die Gefahr besteht, den Kürzeren zu ziehen. Oder auch die, im Zuge einer Auseinandersetzung ernsthaft verletzt zu werden. Eine Art kalter Krieg sozusagen, eine Atmosphäre, in der jeder weiß, was für ihn selber auf dem Spiel steht. Aber mal ehrlich. Eine solche Stimmung ist nicht gerade das Optimum, wenn es gilt, im Rudel zusammenzuhalten, um gemeinsam Beute zu machen. Tatsächlich lösen Wild- wie Haushunde das Problem, Waffen zu tragen und damit Gefahr zu laufen, sie im Zweifelsfalle auch gegen  Rudelmitglieder oder andere Artgenossen einzusetzen, auf eine viel intelligentere, aber auch viel folgerichtigere Art. Sie kommunizieren miteinander und versichern sich gegenseitig, friedliche Absichten zu hegen. Das hilft, sich auf andere Aufgaben konzentrieren zu können, eine entspannte Atmosphäre im Rudel zu erhalten und verhindert, nicht aus Versehen für einen Angreifer gehalten zu werden. Mit möglicherweise fatalen Folgen für beide Seiten. Es ist eine Kommunikation, die überlebenswichtig für jeden Hund ist. Einem Wesen, das in einem Sozialverband lebt, in dem jedes einzelne Mitglied bis an die Zähne bewaffnet und in der Lage ist, andere Gruppenmitglieder zu töten.

Apropos Kommunizieren:

Wie läuft das eigentlich bei Ihnen und Ihrem Hund mit der Kommunikation? Ok, sie sagen ‚Such verwundt‘ und Ihr Hund weiß, dass nun eine Schweißarbeit ansteht. Oder ‚Sitz‘ und Ihr Hund hat gelernt, dass er nun sein Hinterteil auf den Boden zu drücken hat usw. Gut, das ist zugegebenermaßen auch Kommunikation. Eine einseitige. Mitzureden hat der Hund da nämlich nicht so viel. Sie ordnen an und Ihr Hund hat auszuführen. Miteinander reden ist wohl etwas anderes. Wie ist das denn, wenn Ihr Hund Ihnen etwas sagt?

Wir alle kennen sicher die Abbildungen von Wolfsköpfen, die in einer Reihe mit ansteigender Aggressivität und einer Reihe ansteigender Angst angeordnet sind. Nur dumm, dass unsere Tiroler Bracken nicht so spitze Stehohren haben wie der Wolf, die Reihe mit der Ohrenstellung können wir also eher abhaken. Und mal ehrlich, wenn Ihr Hund Ihnen gegenüber dermaßen die Lefzen kräuselt wie die Wölfe auf den Abbildungen, ist es allerhöchste Zeit, Unbeteiligte und sich selber in Sicherheit zu bringen und mit Ihrem Hund das Thema Rangordnung nochmal eingehend zu überdenken….

Wenn wir es Ihnen erlauben, zeigen unsere Hunde sowohl anderen Hunden als auch Menschen gegenüber eine Vielzahl von Verhaltensweisen, die sagen: ‚Ich habe friedliche Absichten‘. Oder: ‚Hey, nicht so stürmisch‘. Oder: ‚Bleib ganz cool‘. Es sind genau diese kleinen Mitteilungen, die verhindern sollen, dass es zum großen Krach kommt. Hunde zeigen sie, wenn sie einer Situation ausgesetzt sind, die möglicherweise eskalieren könnte. Oder sie zeigen sie, um eine solche Situation gar nicht erst entstehen zu lassen. Im Deutschen werden diese Signale als ‚Beschwichtigungssignale‘, im Englischen als ‚Calming Signals‘ bezeichnet.

Sie werden von allen Hunden auf der ganzen Welt verstanden, von allen Hunden gezeigt (wenn wir es ihnen nicht abgewöhnt haben) und können auch von uns vorgebracht werden. Mit dem Ergebnis, tatsächlich mit Hunden Botschaften auszutauschen. Sehr wichtige Botschaften aus Hundesicht.

Im Folgenden möchte ich einzelne dieser Beschwichtigungssignale beschreiben, wie Sie sie selber an Ihrer Tiroler Bracke beobachten können oder vielleicht auch schon beobachtet haben. Die Aufzählung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Wer sich umfassender informieren möchte, dem sei das Buch ‚Calming Signals, die Beschwichtigungssignale der Hunde‘ von Turid Rugaas, animal learn Verlag, wärmstens ans Herz gelegt. Ein auch für nicht ganz so eingefleischte Leseratten kurzweiliges Buch, gut verständlich, gut illustriert, aus der Praxis für die Praxis. Nebenbei kein dicker Wälzer und vom Format her absolut ‚hochsitztauglich‘. Mein Prädikat: sehr empfehlenswert!

Im Bogen gehen

Wie gehen Sie auf andere Menschen und Hunde zu? Meistens schnurgerade – klar, wie sonst, blöde Frage. Ihr Hund natürlich ordentlich bei Fuß, so wie er’s gelernt hat. Nur hat die Sache einen Haken: Aus Hundesicht ist das eine grobe Unhöflichkeit, direkt aufeinander zuzulaufen. Nur Hunde, die den jeweils anderen Hund oder Mensch gut kennen, gehen gerade aufeinander zu. Ansonsten nähern sie sich normalerweise in einem Bogen einander. Jetzt stellen Sie sich vor: Zwei Menschen, beide jeweils einen prachtvollen und vor Testosteron strotzenden Kraftbolzen von Rüden am Strick, gehen schnurstracks aufeinander zu. Beide fühlen sich natürlich durch die massive Unhöflichkeit des jeweils anderen Gespannes heftig provoziert. Und meistens zeigen sie auch prompt deutlich distanzforderndes Verhalten – Knurren, Zähne fletschen usw. In aller Regel wird durch einen heftigen Leinenruck seitens des Halters reagiert – die Laune des Hundes wird dadurch nicht unbedingt sanftmütiger werden… Und es wird selbstredend auch nicht vom Kurs abgewichen. Den weiteren Fortgang der Begegnung mag sich jeder selber ausmalen. Aber halten wir einmal fest: Wir haben durch unsere Verhaltensweise den Hund in eine für ihn bedrohliche Situation gebracht, ein Entrinnen oder eine Entspannung haben wir unmöglich gemacht.

Langsam gehen

Wenn ich mit meiner Tiroler Bracke ‚Amsel‘ unterwegs bin, begegnen wir natürlich gelegentlich auch anderen Hunden. Manche davon benehmen sich sehr flegelhaft und hin und wieder sieht die Sache auch etwas brenzlich aus. Stets verlangsamen sich Amsels Bewegungen in dieser Situation. Sie bewegt sich quasi in Zeitlupe und setzt gaaanz langsam einen Fuß vor den anderen. Oft – besonders bei so ganz bestimmten Kandidaten, bei denen sie offensichtlich Grund zu der Annahme hat, dass es mit den friedlichen Absichten nicht so weit her ist, bleibt sie sogar stehen und rührt sich nicht vom Fleck. Das Erstarren ist also praktisch die nächste Ausbaustufe des langsamen Gehens. Man rät oft Kindern oder Menschen, die ängstlich auf Hunde reagieren, bei Hundebegegnungen stehen zu bleiben und nicht weiter auf den Hund zuzugehen. Das ist tatsächlich ein ganz probater Ratschlag, der sicher schon viele Menschen wirksam vor Hundebissen geschützt hat (noch besser wäre, sich zusätzlich seitlich zu drehen und wegzuschauen). Weil der Mensch dem Hund damit sagt: `Ich will keine Auseinandersetzung anzetteln – bleib friedlich, ich bleib es auch‘. Und zum Thema gerade aufeinander zuzulaufen – s.o…..

Sollte auch das Erstarren nichts nutzen, um den Rüpel in seinem Verhalten zu mäßigen, setzt Amsel sich hin. Diese Reihe von Verhaltensweise ‚Langsam gehen – Erstarren – Hinsetzen‘ geht oft sehr schnell vonstatten, Amsel weiß offensichtlich ganz genau, wie deutlich sie werden muss, um verstanden zu werden.

Wie unbeholfen verhalten wir Menschen uns dagegen oft: Typische Situation: Anderer Hund taucht auf. Ach Du meine Güte. Fiffi ist ja gar nicht an der Leine!! Erster Adrenalinstoß. Oh jeh!! Der andere ist ja größer! Zweiter Adrenalinstoß. Fiffi und der andere laufen aufeinander zu, dabei wirken sie merkwürdig steif, laufen sehr langsam und im Bogen. Kein Zweifel, das muss das Signal für den unmittelbar bevorstehenden Kampf auf Tod und Leben sein. Dritter Adrenalinstoss. Und (siehe zweiter Adrenalinstoss), da der andere offensichtlich körperlich überlegen ist, scheint Fiffis Ende unausweichlich. Er wird in den nächsten zehn Sekunden zweifelsohne seine treue Hundeseele unter den heftigen Attacken dieser entgegenkommenden und ihn belauernden Bestie aushauchen. Jetzt bleibt Fiffi – offensichtlich in ergebener Erwartung seines sicheren Todes auch noch stehen! Das ist endgültig zu viel (meistens kommt es ja gar nicht so weit, sondern wir sind schneller zur Stelle, meist irgendwann zwischen erstem und zweitem Adrenalinstoss). Ein selbstloser Rettungsversuch ist die letzte Hoffnung: möglichst schnell auf die beiden Hunde zugestürmt, dabei die Leine ausgekramt, das Ganze mit wildem Kampfesschrei akustisch untermalt – um möglichst abschreckend auf die Bestie zu wirken – und hektisch mit den Armen gerudert. Kollektiv vorgetragen tatsächlich sehr eindrucksvoll und oftmals von Erfolg gekrönt. Manchmal auch von einer Beisserei.

Aus Hundesicht würde sich die Geschichte wohl etwas anders anhören. Jedenfalls hat Fiffi diesmal keinen neuen Freund gewonnen. Aber beide haben erfahren, dass der hoffnungsfrohe Beginn guter diplomatischer Beziehungen von beiden Rudelführungen offensichtlich nicht gewünscht war und – wie die schnellen Bewegungen des Restrudels beweisen – an einem guten Verhältnis nicht viel gelegen sein kann. Schade. So unsympathisch fand Fiffi ‚Bestie‘ doch gar nicht….

Hinlegen

Ich war schon längere Zeit mit meiner Dackelhündin ‚Distel‘ unterwegs. Es war ein heißer Tag im Sommer, ich wollte schnell und auf direktem Weg nach Hause und nahm eine Abkürzung. Die ging über einen langen Graben, der gar nicht einmal allzu viel Wasser führte. Also kurzerhand drüber gesprungen, Distel (sie ist grundsätzlich eher wasserfreudig) kann ja hinterher schwimmen. So der Plan. Nicht eingeplant war allerdings das sehr steile Ufer des Grabens, der es meinem kleinen Hund schwer machte, halbwegs hundewürdig ins Wasser zu kommen – mit Kopfsprung hat sie es nicht so… Etwa zwanzig Meter hinter dem Graben blieb ich stehen. Keine Spur von meinem Hund. Ich rufe. Ein leises Winseln von der anderen Grabenseite verrät, dass das Hindernis noch zwischen uns liegt. Das gibt’s doch gar nicht. Ich rufe etwas ärgerlicher. Ein etwas lauteres Winseln ist die Antwort. Jetzt werde ich schon sauer, gehe zurück zum Graben, vor dem mein Hund sitzt und, so sehr er sich auch bemüht, kein Rezept zum wassern findet. ‚Los, Distel‘, rufe ich. Keine Reaktion. Jetzt will ich’s aber wissen und werd richtig laut. Gibt’s doch gar nicht, dass sich mein dickköpfiger, sturer Hund…. (zu meiner Schande muss ich sagen, sie ist alles andere als stur – sie möge mir meine hier geschilderte Unzulänglichkeit zumindest aufgrund Verjährung verzeihen). Das Ergebnis meines Theaters ist einzig der, dass sich Distel hinlegt. Richtig ins Down. Und ist nicht mehr mit Geld und guten Worten von der Stelle zu bewegen. Die Erklärung dazu ist mir dann später erst in den Sinn gekommen. Ich wirkte verständlicherweise sehr bedrohlich auf Distel und sie wollte mich mit dem Hinlegen beschwichtigen. Das wollen viele Hunde, wenn sie lautstark (d.h. auf eine Weise, die ihnen ein gewisses Aggressionspotential ihres Halters verrät) von ihrem Besitzer etwa zum Herankommen aufgefordert werden. Und deshalb führen sie diesen Befehl dann in einem eher verhaltenen Tempo aus – s.o. Dem Besitzer missfällt das natürlich deutlich und das führt zu gesteigerten Signalen der Aggression (lautes Herumbrüllen, auf den Hund zulaufen usw.), was bei dem Hund natürlich keinerlei Entspannung und damit auch keine Beschleunigung einer Befehlsausführung bewirkt. Er könnte sie ja noch mehr reizen, also setzt er lieber auf Beschwichtigung und legt sich mal hin. Das kleine Drama ist perfekt, und das nur, weil wir nicht verstehen (wollen?), was er uns sagen will. Versuchen Sie es mal mit Hinhocken. Ein Mensch in der Hocke wirkt nicht so bedrohlich. Und wird schon immer als probater Ausbildungstipp gegeben. Und ich kann mich auch nicht erinnern, dass in unserer Prüfungsordnung etwas davon steht, man dürfe nicht in die Hocke gehen, um den Hund zu sich zu rufen. Falls Sie sich fragen sollten, wie mein persönliches kleines Drama mit Distel ausgegangen ist: Ich habe sie still genommen, über den Graben getragen, habe sie ein wenig aufgemuntert und bin mit einem fröhlichen Dackel heimgelaufen, der vermutlich auch deswegen froh war, dass seine Beschwichtigung funktioniert hat und ich mein albernes Geschreie eingestellt habe, das ihm solche Angst gemacht hat.

Dazwischen gehen/Splitten

Wenn Sie in einer Gruppe Menschen und zwei Hunden, zum Beispiel mit den zwei Rüden aus unserer ersten Geschichte unterwegs sind, zwischen denen es noch immer ein wenig knistert (provoziert durch den fehlenden Bogen, den wir bei der Begrüßung eingebaut haben, als wir uns näherten), dann tun Sie sich und den Hunden doch einen Gefallen und zwingen Sie sie nicht, direkt nebeneinander zu gehen. Ein paar Menschen dazwischen schaffen die nötige Distanz, dass die zwei sich entspannen. Vermutlich können sie nach ein paar Minuten geschnallt werden und die zweite Begrüßung – diesmal mit deutlich mehr Hundeetikette ausgeführt – glückt sicher besser als die erste.

Auch wenn das gemischte Rudel herumsteht oder –sitzt, legen sich oft besonders ranghohe Hunde so, dass vermutete Krawallschachteln voneinander getrennt sind oder aber Schutzbedürftige abgeschirmt. Die alte Deutsch-Langhaar-Hündin meines Jagdfreundes legte sich stets zwischen die Krabbeldecke des zweibeinigen Sprösslings und die anderen Hunde oder auch Besucher des Hauses. Sie wachte immer darüber, dass keiner dem Kleinkind zu nahe kam und setzte das sehr unauffällig, aber effektiv, mit ihrem Dazwischen gehen durch. Durch ihr Hinlegen zeigte sie allen deutlich, dass sie eine entspannte und harmonische Atmosphäre wünschte, solange der kleine Knirps schutzlos auf dem Boden des Wohnzimmers lag.

Sich abwenden

Als ich ein hoffnungsvoller Student der Tiermedizin war, war einer meiner liebsten Aufenthalte die Station ‚Innere Medizin der Hunde‘. Klar. Keine anderen Tiere vermochten mich von Kindesbeinen an mehr in Verzückung zu versetzen als Hunde. An einen Neuzugang auf der Station erinnere ich mich noch so gut, als wäre die Begegnung erst gestern gewesen. ‚Falk‘ war ein kapitaler schwarzer Deutscher Doggen Rüde. Und er war sehr eingeschüchtert durch viele fremde Menschen und die neue Umgebung. Seine Einstellungsuntersuchung dürfte auch nicht besonders dazu beigetragen haben, sein Vertrauen in die allgegenwärtigen Weißkittel zu festigen. So saß er in seinem Einzelzwinger, war zur Behandlung dran und die Praktikantin, die ihn holen wollte, kam mit den Worten ‚Da geh ich nicht rein! ‘ unverrichteter Dinge zurück. Ich war der zweite Freiwillige. Kaum den Vorraum des Zwingers betreten, empfing mich ein dunkles Brummen, über dessen Bedeutung man sich nicht allzu lange den Kopf zu zerbrechen musste. Aber ich kannte ja einen Trick für derartige Fälle. Ein alter Tierpfleger der Uni – so etwas wie der Hundeflüsterer der Station – hatte ihn mir wohl aus gemeinsamer Verbundenheit zu den geliebten Vierbeinern verraten. Den wandte ich an: Ich öffnete die Zwingertür (das Brummen wurde lauter) und drehte mich dann einfach um. Schaute aus dem Fenster in den Hof und ließ den Hund in meinem Rücken unbe(ob)achtet. Das Brummen hinter mir hörte schlagartig auf. Nach einer Weile hörte ich ‚tapp, tapp, tapp‘, und Falk stand direkt hinter mir und schnüffelte vorsichtig, aber auch neugierig, an meiner Hand. Bald konnte ich ihn streicheln und ein paar Minuten später folgte er voller Vertrauen folgsam bei Fuß bis in den Behandlungsraum. Das Eis war gebrochen, wir waren Freunde und auch andere Weißkittel machten ihm keine Angst mehr. Seine Therapien ließ er immer geduldig und folgsam über sich ergehen. Er war ein großartiger Hund und es war ein großartiges Gefühl, sein Vertrauen zu genießen.

Wir können uns auch der Hundesprache wirksam bedienen, wie dieser Vorfall zeigt. Der erfahrene Tierpfleger wusste das seit vielen Jahren und nach eigener Aussage hatte ihn niemals ein Hund von hinten angefallen, auch wenn es sich um die wildesten Burschen gehandelte.

Blick verkürzen

Stellen Sie sich vor: Sie kommen von den Nachbarn zurück und da hat doch dieser verd… Hund die fünfzehn Minuten Ihrer Abwesenheit schamlos dazu ausgenutzt, den Mülleimer einer gründlichen Inspektion zu unterziehen. Dabei ist er sehr systematisch vorgegangen und hat den Inhalt übersichtlich im Wohnzimmer verteilt. Ihre Laune ändert sich im Bruchteil einer Sekunde von ‚sonnig und heiter‘ zu ‚gewitterschwül‘ und Sie äußern das natürlich auch durch Wort und Gestik (glauben Sie mir, der Hund würde auch sehr dezente Mimik richtig verstehen). Und was macht der Hund? Der liegt (wenn er nicht bereits unter dem Sofa Schutz gesucht hat) auf dem Boden, macht ein schuldbewusstes Gesicht und schaut uns ‚von unten her‘ an. Ist ja auch klar, der weiß ja, dass das verboten ist. Vermutlich macht er das Gesicht aber gar nicht, weil sein schlechtes Gewissen ihn plagt. Warum sollte er auch? Die abgelaufene Leberwurst im Mülleimer hat er ja vor dem nutzlosen Wegwerfen gerettet und genussvoller Verwendung zugeführt. Aber er erkennt unschwer an Ihrem Verhalten Ihre Gewitterstimmung. Das plagt ihn, nicht das schlechte Gewissen. Und er will durch das Verkürzen seines Blickes, vielleicht auch durch demonstratives Kopf wegdrehen (keine Bange, er achtet trotzdem ganz genau auf Sie, will Sie bloß keinesfalls provozieren), verhindern, dass sich Blitz und Donner auf seinem Haupt entladen. Hoffentlich bringen sie genug Selbstbeherrschung auf, sein Bitten zu erhören und bestrafen ihn nicht, nachdem er sie zu beschwichtigen versuchte. Dass der Mülleimer tabu ist, sollten Sie ihm beibringen, wenn sofortige Rückmeldung erfolgen kann. Und wenn Sie nicht ganz sicher sind, dass er den noch so verführerisch riechenden Müll ignoriert, schließen Sie vorsichtshalber besser die Küchentür.

Gähnen

Hunde gähnen, wenn sie müde sind. Klar. Wir auch. Aber sie tun es auch als Beschwichtigungssignal. Wenn nach bestandener AP oder GP, erfolgreicher Vorführung auf der Zuchtschau oder einfach als Beweis menschlicher Zuneigung ein Hund heftig (und für ihn meistens unvorhersehbar) gedrückt und in den Arm geschlossen wird, gähnt er oftmals und dreht dabei den Kopf weg. Manche Hunde lecken sich auch zusätzlich die Nase oder blinzeln mit den Augen oder zeigen verschiedene dieser Signale in Kombination. Achten Sie einmal darauf.

Auch dazu ein Beispiel: Meine Amsel ist abgelegt. Und viel Trubel um sie herum. Wie es sich ja auch gehört für ein Zeltlager mit Kindern. Natürlich ist Amsel der Liebling von allen geworden und entsprechend belagert wird sie. Auf einmal fängt sie herzhaft an zu gähnen, so dass die Kinder ihre recht respektablen Zähne sehen können. Zumindest sind sie das im Vergleich mit dem Milchgebiss von Homo sapiens, das von den Knirpsen als Vergleich herangezogen wird. Kleine Unsicherheiten auf Belagererseite. ‚Och, komm, lass uns Fußball spielen‘. Der Ring der Belagerung löst sich bis auf eins, zwei Kinder – ich vermute, mit einschlägigen Berufswünschen – auf. Amsel ist zufrieden und sofort wieder völlig entspannt. Die Kinder haben sie – aus ihrer Sicht gesehen – verstanden. Mit so vielen war es ihr zu eng und ich hätte sie aus der Verlegenheit, nicht verstanden zu werden, befreien müssen. Toll, dass Kinder so verständig sind. Manchmal zumindest.

Gerade beim Abliegen kann es meiner Meinung nach angebracht sein, einzugreifen und Ihren Hund aus der misslichen Lage – weil zur Bewegungslosigkeit verurteilt – zu befreien. Es kann ja nicht ernsthaft verwundern, dass Überleben (Konfliktvermeidung gehört entschieden dazu) für den Hund eine höhere Priorität besitzt als Kadavergehorsam.

Amsel äußert immer, wenn ihr eine Lage nicht geheuer vorkommt und es ihr unangenehm wird, und ich habe es noch nie darauf ankommen lassen, dass sie – weil zum Abliegen gezwungen – zu distanzforderndem Brummen übergehen musste. Das hätte ihr auch sicher einiges an Kredit bei den Kindern (und bei den meist sorgenvolleren Eltern) gekostet und auf so etwas wollte ich es lieber nicht ankommen lassen.

Schlussgedanken

Ich habe das Glück, eine wunderbare Tiroler Bracke zu besitzen. Meine Amsel ist nicht nur schön, sie hat auch auf Prüfungen ordentlich abgeschnitten und jagt mit herrlichem Spurlaut, dass mir jedes Mal das Herz aufgeht. Und im Alltag ist sie völlig problemlos (außer der Tatsache, dass sie sich mit Vorliebe in Unrat wälzt und einen deutlichen Hang zum Küchenpersonal und deren Wirkungskreis an den Tag legt…). Von ihrem Sozialverhalten gesehen verdient sie allerbeste Schulnoten. Dies vor allem, weil es ihr immer gelingt, aufkommende Konflikte zu entschärfen. Besonders als sie noch jünger war, bekam sie mit Charme und Beschwichtigungssignalen auch als gefährlich bekannte Hunde stets davon überzeugt, dass es schöner ist, gemeinsam zu spielen, als sich gegenseitig zu beißen. Heute verhält sie sich auch noch außerordentlich konfliktlösend, nur die Lust zum Spielen hat, dem Älterwerden geschuldet, etwas nachgelassen. Tatsächlich ist sie noch nie in eine bedrohliche Situation mit anderen Hunden geraten! Alle die oben beschriebenen Signale setzt sie oft und auch für einen Laien (wie wir‘s ja wohl alle sind) deutlich erkennbar ein. Sie weiß immer, was gerade richtig anzuwenden ist und tut das, bis sie die Situation unter Kontrolle hat. Ich selber muss einfach nur eines tun: Sie gewähren lassen! Dazu gehört, dass ich sie, wenn sie an der Leine ist (was gar nicht so häufig der Fall ist) und es die Situation erlaubt, schnalle. Das gibt ihr die völlige Entscheidungsfreiheit. Sie weiß schon, was zu tun ist. Ich gönne jedem Hund diese Freiheit, in der Sprache der Hunde mit Ihnen und anderen Hunden zu reden. Vor allem der junge Hund benötigt Freiraum, um seine  Nase zu entwickeln, die Umwelt zu erforschen und die aufregende erste Spur des Hasen zu entdecken. Er braucht sie auch, um zu erfassen, dass es seine Aufgabe ist, Verbindung zum Führer oder der Führerin zu halten. Und er benötigt sie, um seine arteigene Sprache sprechen zu können und zu lernen, sie sicher und situationsgerecht einzusetzen. An der kurzen oder langen Leine lernt er all das nicht.

Vergegenwärtigen Sie sich: Wölfe machen aus ihren Welpen perfekte Wölfe. Immer. Sie bringen ihnen das Jagen bei und lehren sie, die ihnen eigene Sprache sicher und effektiv einzusetzen. Und wir? Bringen wir unseren Hunden auch bei, sich nicht unmöglich aufzuführen (aus Hundesicht, versteht sich) und dafür dann bei der nächsten Begegnung mit einem anderen Hund in eine handfeste Beisserei verwickelt zu werden? Eine schlechte Voraussetzung für das Leben eines bei der Arbeit auf sich gestellten Stöberhundes und auch für ein problemloses Zivilleben. Ich meine, wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, unseren Hund als Hund zu behandeln. Wir sollten uns darüber bewusst werden, dass wir uns aus Hundesicht oft unverständlich benehmen und unsere Hunde gelegentlich für ihn unangenehmen Situationen aussetzen. Wir müssen vermeiden, Hunde ‚stumm‘ zu machen durch Maßregelungen, Unannehmlichkeiten oder Strafen in Folge des Einsatzes einer arteigenen wichtigen Verhaltensweise. Unsere Hunde müssen sich trauen dürfen, ihre Signale einzusetzen. Und wir können ebenfalls teilhaben an der Welt ihrer Signale, indem wir sie richtig interpretieren und ggf. auch selber einsetzen.

Ich bin sicher: Es hilft unseren wunderschönen Tiroler Bracken, ein artgerechtes, glückliches Leben zu führen!

 

Quelle:                 Laute Jagd 2013