Chapella im Winter 2016/2017

Aramis Nachsuche

Von Aramis von der Rudolfsau, Engadin – Schweiz

Im Wildhüter, Jahrgang 2015 Nr. 4, berichtete ich von meiner STRB-Jugend. Die vielen positiven Rückmeldungen auf meinen Bericht haben mich sehr gefreut. Heute, zwei Jahre später, lasse ich euch an einer meiner zahlreichen Nachsuchen teilnehmen.

Am Samstag hat bei uns die Sonderjagd auf Rot- und Rehwild begonnen. In unserer Region sind in diesem Jahr 102 Hirsche und 34 Rehe durch diese Spätherbstjagd beizubringen. Die gut 20 Zentimeter Schnee, die vor Wochenfrist gefallen sind, haben vor allem das Rotwild vermehrt in das Haupttal, in die angestammten Wintereinstände ziehen lassen. Die Top-Jagdvoraussetzungen wurden von den Jägern optimal genutzt, konnten doch bereits am ersten Tag 35 Hirsche und 5 Rehe erlegt werden. Von den drei angefallenen Nachsuchen durfte ich ein angeschweisstes Hirschkalb nachsuchen. Das weidwund getroffene Tier konnte mein Herrchen, ein vom Kanton Graubünden angestellter Wildhüter, nach einer ca. 600 Meter langen Riemenarbeit im Wundbett erlösen.

Am Sonntag konnten bisher weitere 15 Hirsche und 3 Rehe erlegt werden. Über das zwischenzeitliche Wochenendergebnis war mein Herrchen sehr erfreut und lobte die Jäger massgeblich. Um die Mittagszeit saßen wir an einem Waldrand im Auto. Mein Chauffeur beobachtete eine Jagdgruppe bei der Bergung ihrer Jagdbeute und ich döste, mit Gedanken bei der Nachsuche vom Vortag, in meiner Transportbox. Plötzlich klingelte das Handy. Ein Jäger berichtete, dass sein Jagdkollege ein Alttier im Gebiet «Botta Buera» angeschweisst habe. Am Anschuss konnten die Jäger viele Haarbüschel finden. Wenig Schweiss war erst nach 30 Metern auf der rechten Seite der Wundfährte, welcher die Jäger ca. 150 Meter folgten, feststellbar.

Damit eine Standzeit der Fährte von mindestens 4 Stunden bis zum Suchenbeginn eingehalten werden konnte, zählte mein Herrchen laut: «Anschuss 11.15, 12.15, 13.15, 14.15, 15.15» und zeigte die entsprechenden Werte mit den Fingern der linken Hand. Nach kurzer Diskussion wurde ein Treffpunkt um 14.30 Uhr in Zuoz verabredet. Pünktlich trafen wir uns am Nachmittag mit den Jägern. Um den Anschussort auf der schneebedeckten Waldstrasse zu erreichen, mussten an den Autos vorgängig Schneeketten montiert werden. Gegen 15.00 Uhr trafen wir im besagten Gebiet ein. Die Jäger verteilten sich auf die abgesprochenen Stände.

Der Schütze zeigte uns den wenige Meter neben der Waldstrasse liegenden Anschuss und wie immer wurde ich auf die bevorstehende Arbeit vorbereitet. Während die beiden Herren neben mir die Pirschzeichen interpretierten und von unklarer Trefferlage, Träger, Stich, Streifschuss, Hatz usw. fachsimpelten, konnte ich den Beginn meiner anstehenden Arbeit kaum erwarten. Nachdem der Jagdstutzer geladen und auch das GPS-Gerät eingeschaltet und überprüft wurde, nahm mein Führer endlich den Schweissriemen in die Hand und ich durfte voller Erwartung endlich den Anschuss bewinden und untersuchen.

Sogleich nahm ich die Fährte auf und folgte dieser in gewohnt sehr ruhiger Art. Wie die Jäger ausgeführt haben, waren die ersten Schweissspritzer nach gut 30 Schritten auf der rechten Seite wahrnehmbar. Nach weiteren 150 Schritten konnte ich mit Genugtuung feststellen, dass nun keine Jägerspur mehr die Wundfährte begleitete. Durch den Pulverschnee konnten die Schalenabdrücke nicht eindeutig einem Alttier zugeordnet werden. Dies kümmerte mich jedoch wenig, konnte ich doch bereits jetzt, nach gesamthaft knapp 300 Metern Suche, das Wundbett verweisen und meinem Herrchen anzeigen, dass die Gesuchte auf den Läufen ist.

Sogleich wurde ich geschnallt!

Nach wenigen Metern hatte ich die Angeschweisste bereits eingeholt und Laut gebend hetzte ich das Tier in Richtung postierte Jäger. In horrendem Tempo folgte ich der Verletzten talwärts und musste zur Kenntnis nehmen, dass wir die Schützenlinie ohne «bumm» durchquert hatten. In der Zwischenzeit ist unser Arbeitskollege Flurin dazu gestossen und beobachtete das Geschehen vom Talboden aus. Über Funk wurde Flurin von meinem Herrchen unterrichtet, dass ich in der Zwischenzeit hetzend mit dem gesuchten Tier im Gebiet des unteren Waldrandes angelangt sei.

Die beiden Wildhüter sprachen sich dauernd ab und mussten feststellen, dass die Hatz wieder bergwärts verlief. Während mein Herrchen von einem Jäger informiert wurde, dass er der hoch flüchtigen Hirschkuh keinen Fangschuss antragen konnte, verschob sich der erstere ebenfalls talwärts und erwartete uns am Rande einer Jungfichtendickung in der Mitte des bejagten Bergwaldes. Leicht aus dem Atem, durch die bergwärts verlaufende Hatz, bemerkte ich, dass die Gehetzte offensichtlich auch zu kämpfen und einen quer verlaufenden Waldweg angenommen hatte. Ich gab wieder Vollgas und stürmte ca. 30 Meter hinter dem Tier erneut talwärts. Im Augenwinkel konnte ich mein schussbereites Herrchen hinter den Jungfichten sehen.

Er hat es offensichtlich auch versäumt, der Gehetzten einen Fangschuss anzutragen!

Erneut am unteren Waldrand angelangt, hatte ich zunehmend Mühe die Wundfährte zu halten. Das Stück verschleifte sich in einem schmalen Jungwuchs zwischen zwei Waldwegen. Durch die Verleitfährten auf den Wegen fand ich den Abgang trotz intensivster Suche vorerst nicht. Ich nahm die Rückfährte unter die Läufe und stellte bald fest, dass sich mein Herrchen weiter talwärts verschoben hatte. Ich hatte grosse Freude meinen Führer zu treffen, merkte jedoch sofort, dass dieser etwas erstaunt war, dass ich zu ihm zurückkehrte. Auch ohne Worte verstand ich, dass die Suche fortzuführen war.

Bevor ich wieder an den langen Riemen genommen werden konnte, verschwand ich und begab mich unverzüglich in den schmalen Jungwuchs um den Abgang ausfindig zu machen. Nach geraumer Zeit konnte auf dem GPS-Empfänger gesehen werden, dass ich den Jungwuchs verlassen habe und am Waldrand Richtung Nordosten unterwegs war. Mein Herrchen verständigte in der Zwischenzeit die beteiligten Jäger und gab ihnen Anweisungen, wo sie sich neu einfinden sollen. Kurz darauf konnte ich das gesuchte Tier erneut aus einem Wundbett auf müden. Die Hatz ging weiter und Flurin wurde angehalten sich mit dem Auto auf dem Feldweg in Richtung Prasüras zu verschieben. Laut gebend stürmte ich dem Hirsch hinterher und musste feststellen, dass dieser auf eine Wiese einbog um offensichtlich an den Inn zu gelangen.

«Bumm» ertönte es neben uns.

Eine Reaktion der Verfolgten blieb leider aus und somit stürmten wir weiter gegen den Inn. «Ich habe gefehlt, es ist ein Kalb» meldete Flurin über Funk. In der Zwischenzeit ist die Hatz im Fichtenwald an der Innböschung angelangt. Am Vortag wurden in diesem kleinen Waldabschnitt zwei Wildkälber erlegt und ich hatte erneut grosse Mühe in diesem Durcheinander von Verleitfährten und Aufbrüchen der Wundfährte zu folgen. Mein Herrchen konnte erneut auf dem GPS-Empfänger sehen, dass ich den Abgang trotz grössten Anstrengungen nicht fand. In der Zwischenzeit sind auch die Jäger wieder im Talboden eingetroffen. Einer von Ihnen holte mein Herrchen ab und fuhr ihn zum besagten Fichtenwald wo er mich auf der Rückfährte in Empfang nehmen konnte. In der Folge trafen sich alle Beteiligten bei der Innbrücke um die Lage zu besprechen.

Die beiden Wildhüter waren der Meinung, dass das verletzte Kalb den Inn angenommen und vermutlich den Talfluss überquert hatte. Deshalb liess mein Herrchen dieses Gebiet von den Jägern umstellen und wir suchten am linken Innufer wieder am langen Riemen nach der Wundfährte. Dies war nicht möglich und die Suche wurde wegen einbrechender Dunkelheit abgebrochen. Um 17.15 Uhr trafen sich erneut alle Beteiligten bei der Innbrücke. Nach den Ausführungen von Flurin, dass er beim beschossenen Tier keine Verletzung feststellen konnte, bestand bei allen Beteiligten keine Hoffnung mehr, das «angeschweisste» Kalb zu finden. Mein Herrchen war sich jedoch absolut sicher, dass die Gesuchte eine Verletzung aufweisen musste, waren doch wiederholt kleine Schweissspritzer, wenn auch wenige und nur noch alle 80 bis 100 Meter in der Wildspur vorhanden.

Die Beteiligten waren sich einig, dass es sich um eine eher geringe Verletzung handeln musste. Mit Bestimmtheit konnte ein Weidwund-, ein Krell- oder ein Laufschuss ausgeschlossen werden. Ebenfalls konnte ich der Diskussion entnehmen, dass durch den Schuss keine Knochen in Mitleidenschaft gezogen worden sind. An den ratlosen Gesichtern der Jäger konnte ich unmissverständlich sehen, dass sie eine Weitersuche am Folgetag als aussichtslos einstuften. Der Schütze bedankte sich für den grossen Einsatz und alle stiegen in die Fahrzeuge und nahmen die Heimfahrt unter die Räder. Sehr gerne hätte ich noch nicht aufgegeben und einen weiteren Volleinsatz gezeigt! Mich jedoch fragte niemand!

Wie entscheidet sich wohl mein Herrchen?

Wird die Suche am morgigen Tag noch einmal aufgenommen? Zu Hause angekommen wurde ich zuerst versorgt. Nach der obligaten Pfotenkontrolle wurde mir ein grosse Portion Futter gereicht. Dabei hatte ich gar keinen grossen Hunger und liess die Hälfte des Gebotenen meinem Hundekollegen Sämi. Wie üblich nach einem Jagdtag, reinigte und kontrollierte mein Herrchen die verschiedenen, heute gebrauchten Ausrüstungsgegenstände. Während ich im Hundebett unter dem Bürotisch zusammengerollt den vergangenen Tag verarbeitete, analysierte mein Herrchen die GPS-Daten am PC und griff bald einmal zum Handy um Flurin zu kontaktieren.

Mir war sofort klar, dass mein Herrchen dieses Kalb noch nicht abgeschrieben hatte und ich freute mich natürlich riesig, dass er sich mit Flurin am Montag um 10.00 Uhr bei der Innbrücke verabredete. Nach einem ausgedehnten Hundeschlaf mit tollen Traumsequenzen der absolvierten Hatz war ich am Folgetag wieder hochmotiviert und konnte nicht verstehen, dass mein Herrchen bis um 10.00 Uhr warten wollte, die Suche erneut aufzunehmen. Endlich war es Zeit und wir trafen uns mit Flurin bei der Innbrücke. Da in diesem Gebiet erst vor wenigen Augenblicken die ersten Sonnenstrahlen eintrafen und die Minustemperaturen etwas angenehmer erscheinen liessen, war mir nun klar, warum bis zu diesem Zeitpunkt mit der Wiederaufnahme gewartet wurde. Nach kurzer Absprache wurde ich wiederum für die anstehende Arbeit vorbereitet und sogleich an der Innböschung auf die Wundfährte des Vorabends angesetzt. Ich hatte grosse Mühe im Durcheinander von Wildspuren, Aufbrüchen und sonstigen Verleitfährten die gesuchte Wundfährte auszusortieren und dieser zu folgen. Sehr genau suchte ich die gesamte Innböschung und das rechte Innufer ab. Ohne Erfolg.

Bereits war es kurz vor 11, als ich zwischen grossen Ufersteinen die mir bestens bekannten Düfte der gesuchten Fährte wahrnehmen konnte. Nach wenigen Schritten konnte sich auch mein Führer vergewissern, dass die von mir verwiesene Fährte sehr kleine Schweisstropfen aufwies. Ich war sehr erleichtert und konnte nach wenigen Metern ein Wundbett unter einer kleinen Lärche verweisen. Sofort wurde dies Flurin per Funk mitgeteilt. Die Fährte führte uns an einem Felsenrand wieder an die obere Böschungskante. In einem Dickicht fand ich erneut ein Wundbett. Zweifelsfrei musste das gesuchte Tier die Nacht hier verbracht haben und hat diesen Ort erst vor wenigen Augenblicken verlassen. Ich zeigte dies meinem Führer unmissverständlich an.

Während er mich erneut schnallte, funkte er diese Neuigkeiten Flurin und beorderte diesen mit dem Auto an den Ort, an welchem das Kalb gestern Abend die Strasse überquert und den Fichtenwald an der Innböschung angenommen hatte. Kurze Zeit später rief Flurin in den Funk: «Das Kalb galoppiert auf der Strasse, am selben Ort wie gestern ist es wieder in den Fichtenwald verschwunden». In der Zwischenzeit hatte ich auch die Strasse erreicht und verfolgte Kalb und Auto. Beim Abgang von der Strasse bekundete ich erneut grosse Mühe die frische Fährte zu halten. Nach längerer erfolgloser Suche fand ich meinen Führer an der Böschungskante. Beruhigend sprach er auf mich ein und wir erreichten gemeinsam den Kreuzungspunkt auf der Strasse.

Flurin zeigte uns die Fluchtrichtung. Unangeleint unterstützte mich mein Führer auf den weiteren 50 Metern. Nun war ich mir wieder sicher und meine Geschwindigkeit erhöhte sich stetig. Erneut überquerte ich die Strasse und folgte der Fährte spurtreu über die nahe Wiese, erreichte den geschlossenen Wald und konnte nach wenigen Metern das gesuchte Tier in einer Jungfichtengruppe erneut finden und es aus dieser drücken.

Eine sehr intensive Hatz folgte.

Meine Positionen auf dem GPS-Gerät liessen den Schluss zu, dass die laute Jagd der gestrigen Hatz in umgekehrter Richtung entsprach. Flurin wurde angewiesen so schnell wie möglich den Ort an der Waldstrasse aufzusuchen, an welchem gestern der letzte Hatzabschnitt begonnen hatte. In der Zwischenzeit hatten wir gute 250 Höhenmeter zurückgelegt und ich merkte, dass meine Beute langsamer wurde. Kontinuierlich konnte ich Meter für Meter aufholen. Die Verfolgte merkte dies und leitete einen grossen Bogen ein, die Hatz ging in rasantem Tempo wieder talwärts. Durch die Bäume konnte ich sehen, dass mein Herrchen auf der Talwiese hinter unserem Auto anstand, plötzlich ins Auto sprang und in zügigem Tempo in Richtung Innböschung fuhr. Als ich wenige Meter hinter dem Kalb hetzend die Strasse erneut überquerte, konnte ich gerade noch den Kühlergrill unseres Autos erkennen und dachte nur: «wieder zu spät»!

Nun hatte ich das Kalb fast eingeholt. Dieses flüchtete in den Inn und zum Glück für mich stellte es sich im Talfluss. Mein Herrchen konnte sofort erkennen, dass ich von Sichtlaut auf Standlaut gewechselt habe. In der Hoffnung, dass ich bald Hilfe bekomme, beschäftigte ich das verletzte Tier durch anhaltenden Standlaut im kalten Nass. Die beiden Wildhüter sprachen sich daraufhin ab. Während Flurin den unteren Innabschnitt von der Innbrücke absicherte, näherte sich mein Führer vorsichtig dem Geschehen im Fluss. Ich war sehr erleichtert, als ich ihn in meinen Augenwinkeln am Ufer erkennen konnte.

Und bereits knallte es.

Zu meiner grossen Freude konnte das verletzte Kalb erlöst werden. Mein Herrchen hatte sehr grosse Freude und lobte mich überschwänglich. Mit vereinten Kräften bargen wir den Wildkörper aus dem Inn und die beiden Wildhüter konnten als Verletzung einen Streifschuss am Trägeransatz, leicht vor dem Schulterblatt, feststellen. Das Tier wurde von der linken Seite beschossen. Die Druckwelle des Geschosses eröffnete jedoch eine klaffende Fleischwunde auf der rechten Körperseite. Eine 5 Zentimeter tiefer liegende Trefferlage hätte wohl den siebten Halswirbel resp. den ersten Brustwirbel das Hirschkalbes getroffen und das Kalb im Feuer verenden lassen. Der Dank des Schützen per SMS freute uns sehr: «Vielen Dank für euer grosses Engagement und Gratulation zur erfolgreichen Suche – Weidmannsdank».

In der warmen Stube erholte ich mich in den angenehmen Sonnenstrahlen von dieser interessanten Suche und war auch ein wenig stolz diese Suche erfolgreich abgeschlossen zu haben. Die GPS Auswertungen meines Herrchens ergaben, dass die Hatz am Sonntag gute 5,5 Kilometer und am Montag knappe 3 Kilometer betrugen. Nicht zuletzt durch die weitsichtige Zucht und die liebevollen Jugendtage bei meiner Züchterfamilie, Hilde und Wolfgang Peintinger und meiner Mutter «Aika» bin ich heute in der Lage solche Leistungen zu vollbringen.

Weidmannsdank!

In der Hoffnung, dass ich mit meinem Herrchen noch viele Reviergänge unternehmen kann und manche, auch sehr anspruchsvolle Nachsuche erfolgreich beenden darf, verbleibe ich mit einem kräftigen Brackenheil!