Das Vorkommen von Steinwild in Deutschland

Von Ernst-Otto Pieper

Der Alpensteinbock (Capra ibex) ist über die Alpen, die innerasiatischen Hochgebirge, Vorderasien und Nordafrika verbreitet.

Hierzu gehören die Unterarten:

  1. Alpensteinbock (Capra ibex ibex)

    2. Nubischer Steinbock (Capra ibex nubiana)
        Er kommt in Palästina, Arabien, Ägypten und im Sudan vor.

  1. Sibirischer Steinbock (Capra ibex sibirica)
    Er kommt in den innerasiatischen Hochgebirgen vor.
  1. Abessinischer oder Walasteinbock (Capra ibex walie)
    Diese Unterart lebt im Semiengebirge.

Alle anderen Arten und Unterarten gehören zu anderen Rassegruppen.

Historisches

Fossile Nachweise von Steinwild in Mitteleuropa reichen bis in die Eem-Warmzeit (vor etwa 140 000 bis 90 000 Jahren).
Im antiken Rom wurden „Steinböcke“ zu Zirkusspielen verwendet.
Ostwärts des 13. Grades östlicher Länge konnte bisher autochthones Steinwild, auch Fahlwild genannt, (Alpensteinbock) bisher nicht nachgewiesen werden. Dieser Längengrad, auf dem das Berchtesgadener Land liegt, ist der Schnittpunkt östlicher und westlicher Tierrassen.
FRANZ VON KOBELL berichtet in seinem 1858 erschienenen Buch „Wildanger“, dass „vor Zeiten im Wettersteingebirge“ (Zugspitzgebiet) der Alpensteinbock heimisch gewesen sein soll.
Im benachbarten Tirol kam das Steinwild im Zillertal und Karwendel bis zu Anfang des 18. Jahrhunderts noch häufig vor. Von dort aus hat es als Wechselwild sicherlich auch die bayerischen Berge aufgesucht. Es dürfte aber fraglich sein, dass es im westlichen Teil der bayerischen Alpen als rudel- und koloniebildendes Standwild war. Über den Steinwildbestand im Zillertal macht KOBELL für die Jahre 1683 bis 1694 sehr genaue Angaben. Der Höchststand war im Jahr 1694: 72 Böcke, 83 Geißen und 24 Kitze. Der hohe Bestand und das gute Geschlechterverhältnis sind möglicherweise auf die gute Hege der Erzbischöfe von Salzburg zurückzuführen, die seit 1585 Jagdherren des Zillertales waren und als passionierte Jäger das Steinwild besonders schätzten. Sie waren es auch, die im Zillertal Steinwild mit Garnen (Netzen) einfangen ließen um es in den Tierpark Hellbrunn bei Salzburg zu verbringen.
Durch das Aufkommen sogenannter „Handpuxen“ (Feuerwaffen) zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurde das Steinwild in Tirol fast ausgerottet. Erst durch die strenge Hege unter Maximilian I. hoben sich die Bestände wieder, bis sie im 18. Jahrhundert in Tirol erloschen.

In Deutschland neu gegründete Kolonien

  1. Berchtesgaden

Im Nationalpark Königssee befindet sich die älteste Gründung. 1935 begannen auf Anregung des damaligen Reichsjägermeisters GÖRING die Vorbereitungen. Fachlich-wissenschaftliche Berater waren die Direktoren des Berliner und Münchner Zoos, Dr. LUTZ und Heinz HECK, die wieder mit Dr. SCHUSTER vom Steinwildzuchtgatter Peter und Paul in St. Gallen (Schweiz) eng zusammenarbeiteten. Seinerzeit war das Steinwild in der Schweiz schon sehr erfolgreich wieder eingebürgert. Oberhalb des Königssees, grenzend an das österreichische Hagengebirge und das Steinerne Meer, der sogenannten Röth wurde ein Dauergatter errichtet. Unter der Leitung des damaligen Amtsvorstandes des Forstamtes Berchtesgaden, Forstmeister DIETRICH, wurde in 1700 Meter Höhe das Gatter mit enormem Aufwand errichtet. Das gesamte für den Bau des Gatters benötigte Material (8000 Meter Drahtgeflecht, Bretter usw. für Stadel und dreiseitig geschützte Fütterungen) wurde zunächst über den Königssee verschifft, bis zum Obersee getragen, wieder über diesen transportiert, von hier aus mit einer eigens dafür errichteten Materialseilwinde mit einer Länge von 1400 Meter zum sogenannten Wildtörl oberhalb der Röthwand aufgeseilt  und von dort im einstündigen Fußmarsch bis zum Aussetzort verbracht. Das Gatter hatte eine Größe von 12 Hektar und war mit einem 6 Meter hohen Zaun umgeben. Im Gatter befanden sich zwei Fütterungen und ein Vorratsstadel.

Am 14. August 1936 wurden ein Bock und drei Geißen aus St. Gallen auf demselben beschwerlichen Weg in das Gatter verbracht. Es folgten 1937 ein Bock und eine Geiß aus dem Berliner Zoo, 1938 eine Geiß aus dem Tierpark Hellabrunn (München), ein Bock und eine Geiß aus Gran Paradiso (Italien) und zwei Geißen aus dem Berliner Zoo, 1939 nochmals ein Bock und eine Geiß aus St. Gallen und 1942 ein weiterer Bock und zwei Geißen aus dem Berliner und eine Geiß aus dem Münchner Zoo.

Bis 1940 waren folgende Verluste im Gatter zu verzeichnen: vier Geißen (eine entsprungen, eine Labmagenkatarrh, eine Lungenwurmbefall, eine Milzgeschwulst), ein Kitz erblindete sofort nach dem Setzen. Außerdem gingen vier Kitze durch Stoßwirkung der Geißen ein. Um weitere Kitzverluste, sie sind im ersten Lebensjahr sehr stoßempfindlich, zu vermeiden wurden Kitzfütterungen gebaut, an die die Geißen nicht herankamen. 1944 zählte der Bestand 8 Böcke, 19 Geißen und je 1 Bock- und Geißkitz. Aufgrund kriegsbedingter Versorgungsschwierigkeiten wurde 1944 das Gatter geöffnet. Das Wild blieb zunächst in der Nähe des Gatters.

In den Nachkriegsjahren gingen einige ältere Böcke und Geißen ein, die reinrassigen Herkünfte aus der Schweiz und das im Gatter gesetzte Jungwild hielten auch draußen gut durch. Sie haben sich dann bald mit dem ebenfalls vor dem Krieg in der angrenzenden Kruppschen Jagd im Blühnbachtal (Land Salzburg) eingesetzten Steinwild (35 Stücke) vereinigt, so dass man 1947 das vereinigte Rudel auf 70 bis 80 Stücke schätzte. Hiervon gingen in den Jahren 1949 bis 1955 etwa 50% infolge Sarcoptes-Gamsräude ein.

Das Rudel steht bis zum Spätfrühjahr in den Südhängen des Hagengebirges auf österreichischer Seite, in den Sommermonaten in den Nordabstürzen des Kahlersberges, der Teufelshörner und des Wildpalfen, einem schwer zugänglichen Gebiet, wo auch die Geißen ihre Kitze setzen und führen.

Die Mortalitätsrate der alten Böcke und Kitze beträgt bis zu 80%. 1977 wurden 15 Böcke, 11 Geißen und 11 Kitze gezählt. Die immer wieder ausbrechende Räude bringt dem Rudel immer wieder erhebliche Verluste. Eine Auffrischung der Kolonie hat nicht stattgefunden.

  1. Oberaudorf

Im Revier Kiefersfelden / Oberaudorf des Grafen Arco-Zinneberg wurden 1963 drei Böcke und zwei Geißen in einem in 1000 Meter Höhe gelegenen Felsgraben ausgesetzt. Die Tiere hatte man aus St. Gallen bezogen. Von hier aus stellte sich das Rudel im nur 1600 Meter hoch gelegenen Brünnstein, fünf Kilometer von der Tiroler Grenze und 15 Kilometer vom Kaisergebirge entfernt, ein. Nach fünf Jahren hatte sich der Bestand bereits verdoppelt und nach sechs Jahren (1973) bereits versechsfacht. Die Verluste sind bei diesem Rudel außerordentlich gering.

Abgesehen von Ausflügen in die nähere Umgebung, hält sich dieses Steinwild auf nur 120 Hektar am Brünnstein in freier Wildbahn auf, im Winter an den felsigen Südseiten teilweise innerhalb der Baumgrenze, in der restlichen Jahreszeit auf den Nordseiten im Fels. Wie im Berchtesgadener Land lebt es mit Gams eng zusammen und im Sommer kann man es oft an Nordhängen gemeinsam mit Rot- und Rehwild äsen sehen.

Die auf diesem kleinen Raum unzweifelhaft zu hohe Wilddichte führt über Äsungsmangel zur Biotopverschlechterung und Schwächung der Konstitution des Wildes.

  1. Jachenau

Vermutlich aus dem Karwendel zugewandert, stellte sich 1959 in der Benediktenwand der Walchenseeberge ein Steinbock ein und verbliebt dort.

1967 wurden ihm vier aus St. Gallen bezogene Stücke (zwei Schmalschafe und zwei Jungwidder) zugestellt. Dieses kleine Rudel wurde 1970 mit zwei jungen, allerdings blutfremden Steingeißen aus dem Frankfurter Zoo ergänzt. Diese Aktion wurde auf Betreiben des BUND mit Hubschrauber sowie großer Anteilnahme von Öffentlichkeit und Presse durchgeführt. Es wurde ein Misserfolg – die verängstigten Tiere schlossen sich dem örtlichen Rudel nicht an, zogen sich in tiefere Regionen zurück und wurden nach zwei Monaten verendet aufgefunden. Ihnen fehlte offensichtlich jegliche Eignung und Kondition für die freie Wildbahn.

1971 wurde die Kolonie mit einem weiteren Bock und zwei Geißen aus St. Gallen ohne „geräuschvolle Aktion“ erfolgreich ergänzt.

Das forstzoologische Institut der Universität Göttingen wurde mit der Untersuchung des Biotops und des Verhaltens der Benediktenwand-Kolonie beauftragt. Im August 1971 wurden acht Stück Steinwild gezählt, dabei der nunmehr 16jährige zugewanderte Bock als Führer des Rudels und vier Kitze bzw. Jährlinge die 1970 und 1971 dort gesetzt waren. Der alte Bock ist wenige Jahre später abgestürzt. Die effektive Zuwachsrate beträgt jährlich etwa vier bis fünf Stück. Verluste durch Räude wurden bisher nicht festgestellt. Das Geschlechterverhältnis ist ausgeglichen.

Diese Population hat sich 1976 in mehrere Rudel aufgeteilt, die sich immer wieder vermischen und ihr Areal erweitern.

Das Wild wechselt zwischen Nord- und Südlage in der Felsenregion der Benediktenwand im wesentlichen Jahreszeitlich bedingt, wie es auch bei den vorgenannten Kolonien der Fall ist. Weitere Aussetzungen haben nicht mehr stattgefunden.

  1. Oberstdorf

Seit Jahren ist das Steinwild auch im Bereich der Kemptner-Hütte. Vermutlich aus Österreich zugewandert, hält sich eine recht große Kolonie im Raum Kratzer – Trettachspitz und Mädelegabel auf. Weitere Informationen hierüber sind dem Verfasser nicht bekannt.