Der Bayrische Hiesel

Von Ernst-Otto Pieper

 

Wenn der Forscher und Kriminalist Avé-Lallemant in seinem berühmten Werk „Das deutsche Gaunertum“ den Bayrischen Hiesel in die ruchlose Gesellschaft von notorischen Verbrechern einreiht, trifft er sicher das Richtige. Das Volk aber hat den „Hiasl“ heroisiert und ihm großen und bewundernswerten Eigenschaften eines urbajuwarischen Kraftmeiers angedichtet: den wilden Freiheitsdrang und die Freundestreue, den Hass gegen Falsche und Verräter, die Freude an körperlicher Kraft und die unbändige Jagdlust, endlich den unerbitterlichen Kampfwillen um das Recht der Unterdrückten.

 

Mattheus Klostermair (laut Taufregister) kam am 3. September 1736 im Anwesen Nr. 164 in Kissing (südlich Augsburg) zur Welt. Sein Geburtshaus „Zum Brentan“ wurde 1931 abgerissen.

Warum der auf den Namen Matthäus getaufte später nur Matthias genannt wurde, ist unklar. Im Alter von 12 Jahren musste er auf dem nahe gelegenen Schlossgut Mergenthau arbeiten, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Seine Mutter starb, als er 16 Jahre alt war.

Er hatte Glück und bekam eine Anstellung bei den Mergenthauer Jesuiten als Jagdgehilfe und Aufseher.

„Hiasl“ verlor diese einträgliche Anstellung jedoch wegen eines harmlosen Faschingsscherzes. Er hatte den Pater Venantius, der auf der Jagd versehentlich eine Katze erschossen hatte, als „Katzenschützen“ verspottet. Später diente er dem „Seherabserbauern“ Baumiller als Knecht und begann ein Verhältnis mit dessen Tochter Monika. Aus dieser Verbindung ging der Sohn Korbinian hervor.

Aufgrund seines unsteten Lebenswandels musste der Hiasl, 25-jährig, den Hof verlassen und fortan schlug er sich als Wilderer durch. Seiner Kissinger Heimat und seiner Geliebten blieb er aber treu.

Sein Kampf für das Recht am Wild, und zwar gegen alle Behördenverbote, die das Volk, allen voran das der Älpler, stets als Zwang empfand, machte ihn rasch und dauernd zu einem Volksheros.

Das Treiben des Wildschützen zwang die Obrigkeit bald zu Gegenmaßnahmen. „Um das ein Ruh’ werd zu Kissing“ beantragte der Schulmeister und Mesner Huber 1761 die Aushebung des „Hiasl“ als Rekruten. Klostermayr entzog sich jedoch rechtzeitig durch seine Flucht über den Lech ins „ausländische“ (schwäbische) Oberottmarshausen. Hier im Schwäbischen erhielt er auch seinen Spitznamen „Bairischer Hiasl“, da Kissing zum Kurfürstentum Bayern gehörte.

Hier auf der linken Lechseite fand er reiche Jagdgründe und besonders die Bauern schätzten seine Mithilfe bei der Dezimierung des Wildbestandes, das beträchtliche Schäden auf den Feldern anrichtete.

Klostermayr wurde gefasst und verbrachte ein dreiviertel Jahr im Zuchthaus zu München. Der bayerische Kurfürst wollte ihn sogar zum kurfürstlichen Jäger ernennen, obwohl Wilddieben eigentlich die Todesstrafe drohte. Hiasl zog es aber vor, sein bisheriges freies Leben weiterzuführen und so wurde er bald zum Anführer verschiedener Wilderer- und Räuberbanden, die ihre Beute angeblich teilweise an die Armen verteilten. Die Bevölkerung, der Hiasl nur Vorteile schuf, stand zu ihm und meldete ihm jeden Anschlag von behördlicher Seite.

Wie es der Bayrische Hiesel mit seiner Bande aber später trieb, lässt sich mit Wilddieberei nicht mehr entschuldigen – er wurde zum ausgesprochenen Verbrecher und schreckte auch vor vorsätzlichem Mord nicht mehr zurück.

Gerne ließ er sich in Kupferstichen verewigen. Das Bäuerliche Ölgemälde von 1776 zeigt ihn in selbstbewusster Haltung zusammen mit seinem „Jung“ und dem großen Hund Tyras.

Insgesamt wurden dem Hiasl und seinen Gefährten zwölf gewaltsame Überfälle, acht Landfriedensbrüche und neun Totschläge zur Last gelegt. Sein Ende war demensprechend:

Am 14. Januar 1771 wurde Hiasl mit seiner Bande im Osterzeller Wirtshaus in eine Falle gelockt. Der Fürstbischöfliche-Augsburgische Premier-Lieutnant Schedel ließ das Gasthaus von etwa 300 Soldaten umstellen und nach einem vierstündigen Feuergefecht wurden die Freischützen gefangen genommen.

Es folgte ein mehrmonatiger Prozess in Dillingen wo der Bayrische Hiasl zum Tode verurteilt wurde. In eine Kuhhaut gehüllt, wurde er zum Richtplatz geschleift, wo ihn schon die zu seiner Hinrichtun g eigens gefertigte „Radbrechmaschine“ erwartete. Darauf hingestreckt, wurde er sogleich mit einem Strick erdrosselt, der Körper gevierteilt und der Kopf abgeschlagen. Den Kopf steckte man an den für diesen Zweck errichteten Schuldgalgen, die Körperteile wurden in Dillingen, Füssen, Oberstdorf und Schwabmünden öffentlich ausgestellt.

Noch am gleichen Tag richtete man zwei Mitglieder der Bande durch das Schwert. Andreas Mayr, der mitangeklagte jugendliche Diener „Bub“ des Hiasl, konnte aus dem Gefängnis fliehen und sich über die Alpen in Sicherheit bringen.

Das einfache Volk betrauerte den Volkshelden bereits kurz danach in zahlreichen Volksliedern und Theaterstücken. Die Verbreitung der zahlreichen Hiaslgeschichten reicht von Nürnberg bis nach Trient, von Eger bis zum Neusiedler See, von Graz bis nach Bozen. Er wurde zu einer bajuwarischen Heldengestalt, deren Andenken noch heute eifrig gehuldigt wird.

Friedrich Schiller soll den Hiasl als Vorbild für den Karl Moor in seinem Stück „Die Räuber“ genommen haben.