Die Olper Brackenjagd

von Heimo van Elsbergen

In Olpe, dem „Nabel der Brackenwelt“, und den umliegenden Gemeinden wurde bis in die 1960er Jahre an jedem Sonntag mit Bracken gejagt. Sonntags deshalb, weil an den Werktagen, also auch am Samstag, gearbeitet wurde. Aus dieser Zeit rührt die abfällige Bezeichnung „Sonntagsjäger“. Sie wurde von Eigenjagdbesitzern und Bauern geprägt, die jederzeit auf eigener Scholle jagen konnten. Die Jäger in den kleinen sauerländer Städten und Landgemeinden waren Kaufleute, Handwerker, Ackerbürger und Akademiker. Besonders viele Jagdliebhaber fand man unter den Gastwirten und Hoteliers.

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Abb. 1: Brackenjagd im Revier des DEVA-Vorsitzenden
Hans Walter Pfeiffer, 1995 (Foto: H. Spittler)

Brackenjagd in alter Zeit

Das „kurkölnische“ Sauerland (heute Kreis Olpe und Teile des Hochsauerlandkreises) war streng katholisch, der Besuch der Sonntagsmesse obligatorisch. Erst nach dem Kirchgang zogen die Jäger unter den Klängen des Brackenjagdsignals „Aufbruch zur Jagd“ ins Revier (Abb. 1). Da man noch keine Autos besaß, spielte sich alles zu Fuß ab. Um keine Zeit zu verlieren, gingen die Brackenjäger in voller Jagdausrüstung mit Gewehren und Hunden in die Kirche. In Drolshagen wurden die Bracken während der Messe am Taufstein angebunden.

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Abb. 2: Der Olper Löwenwirt Eduard Deimel
mit einer Koppel Olper Bracken und Sauerländer
Halbmond, um 1910 (Foto: DBC-Archiv)

Die Zahl der Jäger, die erst nach längerem Fußmarsch im Revier ankamen, war klein; meist waren es nur fünf bis sechs Flinten. Treiber nahmen in der Regel nicht teil. Nach dem weiträumigen Abstellen der aussichtsreichsten Hasen- und Fuchspässe wurde auf dem kupfernen Halbmond das Signal „Es ist angestellt“ geblasen (Abb. 2). Es folgte der Hornruf „Hunde los!“, und alle Bracken wurden vom Stand aus „gelöst“ (geschnallt). Nun hieß es, sich zu gedulden. Nicht umsonst ist der Sitzstock ein unverzichtbares Requisit der Brackenjagd. Die Bracken jagten damals sehr ausdauernd, und mancher Hase kam erst nach längerer Brackade zur Strecke. Wenn keine „Musik“ mehr im Jagen war, die Hunde also verstummt waren, wurde der Hornruf „Hunde aufkoppeln!“ geblasen. Danach ging es zum nächsten Jagen. Die alten Jagdschreie „Schnoor!“ (Hase tot) und „Hang up den Schelm!“ (Fuchs tot) waren noch gebräuchlich (Abb. 3). Sie wurden beim Erlegen des Wildes gerufen und von den Schützen weitergegeben, bis der Hornführer das Signal „Wild tot“ blies. Mit dem Hornruf „Sammeln!“ wurde das Jagen beendet. So wurden im Durchschnitt fünf bis sechs Hasen, gelegentlich auch ein Fuchs geschossen. Ein Streckelegen erübrigte sich, da ja jedes erlegte Stück schon im Walde verblasen worden war.

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Abb. 3: Ministerialdirigent Dr. Karl Heuell,
Chef der Landesforstverwaltung Rheinland-Pfalz,
Brackenjäger und Halbmondbläser, 1957
(Foto: Müller, Olpe)

Bis zum Inkrafttreten des Reichsjagdgesetzes 1935 wurden regelmäßig auch Rehe vor den Bracken geschossen (Abb. 4). Mit dem Verbot des Schrotschusses auf Schalenwild und der Einführung der behördlichen Abschussplanung war es damit vorbei; doch gab es immer noch einzelne Brackenjäger, die von diesem „neumodischen Kram“ nichts wissen wollten.

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Abb. 4: Bis 1935 wurden regelmäßig Rehe vor den Bracken geschossen. Um 1910 (Foto: DBC-Archiv)

Nach der Jagd wurde im Wald ein Feuerchen gemacht. Die Brackenjäger saßen auf ihren Sitzstöcken und ließen sich die Verpflegung aus dem Rucksack schmecken. Die erschöpften Hunde lagen zusammengerollt vor ihren Füßen. Für die innere Wärme sorgten die Erlebnisse der Jagd und die kreisenden Schnapsflaschen. Vor, während und nach der Jagd genehmigte man sich „erst einmal ein Kemperchen“ (bekannte Olper Korn-Marke). Danach trat man den Rückmarsch an. In die Kneipe ging es normalerweise nicht.

Es gab aber auch eine weniger „zeremonielle“ Art zu jagen. Nach der Ankunft im Revier setzten sich die Jäger erst einmal zusammen und frühstückten. Man hatte Hunger, weil man zum Empfang der hl. Kommunion nüchtern in die Kirche gegangen war. Die Bracken ließ man schon während des Frühstücks „vom Strick“. Wenn dann die Hunde laut wurden, hatte man noch genügend Zeit; denn es dauert gut und gerne 30 bis 45 Minuten, bis der Hase vor der lautjagenden Bracke zurückkommt. So packte man in aller Ruhe seine Sachen, suchte sich einen geeigneten Stand oder versuchte, „sich der Jagd vorzuwerfen“ (dem Wild den Weg abschneiden). Wenn das beim ersten Mal nicht klappte, war das kein Beinbruch. Die Bracken jagten damals so ausdauernd, dass sie den Hasen oft mehrmals „herumbrachten“. Konrad Andreas (1894 – 1969), langjähriger Zuchtwart im Verein Hirschmann (Hannoversche Schweißhunde) und begeisterter Brackenjäger, hat diese Art der Brackenjagd einmal scherzhaft so beschrieben: Die Brackenjäger würden, nachdem die Hunde den Hasen angejagt hätten, erst einmal eine Runde Skat spielen. Nach Auszahlung des Gewinns würden sie sich ohne Hast auf ihre Stände begeben, um dann den zurückkommenden Hasen zu schießen.

Nur auf Hubertus (3. November) wurde eine große Treibjagd mit zahlreichen Schützen, Treibern und Hunden abgehalten. Die dabei erzielten Strecken waren in den Jahren um 1960 beachtlich: 20 bis 30 Hasen waren nichts Ungewöhnliches. Nach der Jagd fand ein zünftiges Schüsseltreiben statt.

Daneben gab es einige Brackenjäger, meist bäuerliche Eigenjagdbesitzer, die mit ihrer Bracke oder einer Koppel auch alleine brackierten.

Die Zucht war denkbar einfach. Man kannte sich und die Qualitäten der Bracken, mit denen man ständig jagte. Abgesehen von den bis 1958 durchgeführten Preisjagen des Deutschen Bracken-Clubs (DBC) kannte man keine Anlagen- oder Gebrauchsprüfungen. Wer eine jagdlich gute Hündin hatte, züchtete oder wurde von seinen Mitjägern zur Zucht animiert. Die beste Hündin wurde mit dem besten Rüden belegt. Entscheidend waren die jagdlichen Leistungen, Form und Farbe eher Nebensache. „Farbe jagt nicht!“, war ein alter Spruch der Brackenjäger. Natürlich wollte man auch schöne Bracken haben. Und wenn zwei jagdlich gute Rüden zur Verfügung standen, nahm man lieber den schöneren. Bracken, die gar nichts taugten, wurden nicht alt. Als überflüssige Fresser wurden sie kurzer Hand totgeschossen.

Schwarzwildbekämpfung

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg vermehrte sich das Schwarzwild übermäßig und verursachte schwere Wildschäden. Wildmeister Franz Bette („Betten Franz“), Meggen, schrieb hierzu: „Nichts war vor den Sauen sicher: Hafer, Weizen Kartoffeln, alles war gleich beliebt und über Nacht bedroht. Wiesen wurden auf der Suche nach Erdmast umgebrochen, dass sie wie Sturzäcker aussahen. Überall gab es auf einmal Sauen. Organisierte Nachtwachen mit Ablösung im Turnus halfen während der Reifezeit des Getreides die Ernte zu retten. Hunde band man wochenlang Nacht für Nacht an Bäume und Pfähle an. Verwitterungsmittel verstänkerten den Sommer und Herbst über die Waldränder zum Schutz der Feldfrüchte, die in jenen Hungerjahren unser Leben bedeuteten.“

Um der Lage Herr zu werden, lockerte die britische Besatzungsmacht das Jagdverbot für die deutschen Jäger. An einige Weidmänner wurden Waffen, Munition und die entsprechenden Erlaubnisscheine (Permits) ausgegeben – ein Permit und eine Waffe für zwei Jäger. Jede Woche wurde gewechselt.

In diesen Jahren waren die Bracken als Saufinder gefragt. Obwohl sie über Generationen als reine Hasenhunde gezüchtet und geführt worden waren, brachten viele von ihnen die nötige Wildschärfe mit und wurden tüchtige Sauhunde. Einige gelangten zu besonderem Ruhm. So berichtete der bekannte Zoologe und Autor Prof. Dr. Lutz Heck, Präsident des DBC von 1955 bis 1965, von einer Olper Bracke, vor der ihr Herr, der immer allein mit ihr jagte, 72 Sauen erlegen konnte (Abb. 5).

 

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Abb. 5: Berühmter Saufinder, 1955 (Foto: Lutz Heck)

Strukturwandel

Ab Mitte der 1960er Jahre vollzog sich ein tief greifender Strukturwandel: Aus den kleinbäuerlichen Landwirtschaften mit Äckern, Wiesen und Weiden wurden immer größere Grünlandbetriebe. Der für die Region so typische Eichen-Niederwald (Hauberg) wurde durch Fichtenaufforstungen in Hochwald umgewandelt. Dies bewirkte eine deutliche Verschlechterung der Lebensbedingungen für den Hasen. Mit den Strecken ging es bergab. Das Haselhuhn, früher ein typischer Bewohner der Hauberge, verschwand fast vollständig. Zum wichtigsten Wild wurde das Rehwild, das sich an die neuen Verhältnisse gut anpassen konnte. Als viele Wiesenflächen in Weihnachtsbaumkulturen umgewandelt und mit Blaufichten aufgeforstet wurden, profitierte davon das Kaninchen.

Etwa gleichzeitig kam es zu einer deutlichen Verringerung der Wochenarbeitszeit, die Mobilität der Gesellschaft nahm zu. Aus „Sonntagsjägern“ wurden Samstagsjäger, die nunmehr mit dem Auto ins Revier fuhren. Auch die Anzahl der Jäger stieg in dieser Zeit an. Nun gab es mehr Jäger mit mehr Freizeit, immer weniger Hasen, aber viele Rehe und mehr Kaninchen als früher.

Das klassische Brackieren mit wenigen Flinten an den Hauptpässen wurde durch Stöber- und Treibjagden abgelöst, bei denen ein großer Bogen weiträumig abgestellt wurde. Feste Abstände zwischen den Ständen gab es nicht; besetzt wurden die bekannten Pässe. Die Bracken wurden vom Stand gelöst. Bei diesen Verhältnissen konnten die Hunde das eigentliche Brackieren kaum noch lernen. Bevor sie überhaupt an einen Hasen kamen, „stolperten“ sie schon über die zahlreichen Rehe und brachten diese erst einmal „auf Trab“. Waren Karnickel im Treiben, so ging es munter hin und her: „Jiff, Jiff – Jaff, Jaff!“, von einer Spur auf die nächste. Kaninchenstöbern – mag es Herrn und Hund noch so viel Spaß machen – ist Gift für eine Hasenbracke, die den Hasen auf der Nachtfährte finden und „über alle Knöpfe und Knoten“ jagen soll. Wenn dann die Bracken an einen der seltenen Hasen kamen, gab es meist nur kurze Jagd. Beim Verlassen des Bogens wurde der Hase geschossen. Anhaltendes Jagen, „Wenden“ und „Zurückbringen“ des Hasen waren bei dieser Art zu jagen nicht mehr nötig. Wurde der Hase gefehlt, so brachen die Bracken schon nach kurzer Zeit ab und kehrten ins Treiben zurück. Nur einzelne Bracken folgten der Hasenfährte (der Brackenjäger spricht auch bei Hase und Fuchs von „Fährte“) unbeirrt und brachten hin und wieder den Hasen herum. Nachgesucht wurde mit Vorstehhunden, deren Führer meist als Durchgehschützen fungierten und ihre Hunde buschieren oder stöbern ließen.

Längere, zusammenhängende Jagden von mehreren Bracken – Musik in den Ohren des Brackenjägers – gab es eigentlich nur noch, wenn die Hunde verbotenerweise (!) Rehe jagten. Dann „klang der Bracken hell Geläut durch Täler weit und Höh’n“.

Die Jäger, die mit ihren Hunden noch richtig brackierten, konnte man an den Fingern einer Hand abzählen.

Entwicklung des Prüfungswesens

In Folge dessen wurde 1977 die DBC-Prüfungsordnung von 1959 geändert. Aus dem Prüfungsteil „Brackieren“ wurde die „Laute Jagd“. Musste die Bracke bis dahin mindestens 20 Minuten fährtenlaut jagen, um im Fach „Fährtenwille und Fährtensicherheit“ die Note 4 (= „sehr gut“) zu bekommen, so genügte nun eine Arbeit von 10 Minuten. 1984 wurde die Prüfungsordnung noch einmal an die veränderten Verhältnisse angepasst. Bracken und Dachsbracken konnten von nun an auch auf der Kaninchenspur geprüft werden – ein Schock für jeden „gerechten“ Brackenjäger; denn die Art der Suche, Fährtenwille und Fährtensicherheit lassen sich nicht an einem „stinkenden“ Karnickel prüfen, das zu finden keine Kunst ist und dass nach dem Aufstöbern schnell im Bau verschwindet. Doch es waren einfach zu wenige Hasen da, um 20 bis 30 Bracken und Dachsbracken auf der Hasenfährte prüfen zu können; denn alle DBC-Prüfungen fanden damals an einem Oktober-Wochenende in den Revieren um Olpe statt. Seit 1993 wird bei der Anlagenprüfung wieder ausschließlich auf der Hasen- und Fuchsfährte geprüft. Dies wurde möglich, nachdem die Prüfungen entsprechend der zunehmenden Verbreitung der Bracken dezentralisiert worden waren und wieder gute Hasenreviere zur Verfügung standen.

Niedergang

Neben den großen Treibjagden, die nur einmal im Jahr stattfanden, gab es noch die eine oder andere „Klapperjagd“ im kleinen Kreise. Doch diese Jagden wurden mangels Wild immer seltener. Mitte der 1980er Jahre waren aus Niederwildrevieren mit Rehwild reine Rehwildjagden geworden. Den einen Küchenhasen konnte man auf dem Ansitz schießen. Schwarzwild, heute fast flächendeckend im Sauerland vertreten, war damals seltenes Wechselwild. Schließlich dienten die Treibjagden mehr dem gemeinschaftlichen Erleben und der Tradition als dem Beutemachen.

Die Zahl der Bracken, die auf den Treibjagden im Kreis Olpe und im angrenzenden Siegerland eingesetzt wurden, nahm in den 1990er Jahren kontinuierlich ab. In vielen Revieren waren sie schon ganz verschwunden. Nur noch wenige Jagdherren hielten an der Tradition der Lauten Jagd fest und veranstalteten große Stöberjagden auf Hase und Fuchs, bei denen fast ausschließlich Bracken eingesetzt und die alten Hornrufe auf Halbmonden geblasen wurden. Dies waren Dr. med. Erich Junker, Präsident des DBC von 1974 bis 1985, und sein Sohn Dr. med. Martin Junker, DBC-Ehrenmitglied und Vorsitzender des Halbmond-Bläserkorps des DBC von 1986 bis 2017, im Revier Rhode. Sodann DBC-Ehrenmitglied Hans Walter Pfeiffer  (Abb. 6) in Affeln und Dr. Heribert Altenkämper im Revier Blintrop bei Neuenrade. Aber auch diese schönen Jagden gehören seit der Jahrtausendwende der Vergangenheit an. Den vier genannten Jagdherren, die diese Tradition bis zuletzt hochgehalten haben, gebührt ein herzlicher „Waidmannsdank“.

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Abb. 6: Aufbruch zur Jagd, 1938 (Foto: Lutz Heck)

Dass sich viele Olper Jäger bei diesen Verhältnissen keine neue Bracke mehr anschafften, ist verständlich. Schließlich machte es für einen Gastjäger keinen Sinn, für ein oder zwei Treibjagden im Jahr, bei denen üblicherweise auch Rehwild geschossen wird, eine Bracke oder Dachsbracke zu halten.

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Abb. 7: Einarbeitung einer Deutschen Bracke im Schwarzwildgatter
(Foto: F. van Elsbergen)

Renaissance der Bracken

Doch wieder änderten sich die landschaftlichen und jagdlichen Verhältnisse. Der Klimawandel mit sich häufenden Buchen- und Eichenmasten und milderen Wintern, der zunehmende Mais- und Rapsanbau und sicherlich auch Fütterung und Kirrung ließen seit den 1990er Jahren die Schwarzwildbestände bundesweit anwachsen. Zahlreiche Sauerländer Reviere, in denen man die Sauen nur aus den Erzählungen der Alten kannte, haben heute Schwarzwild als Standwild. Die dringend notwendige Kontrolle bzw. Reduktion der Schwarzwildbestände wird nur dort gelingen, wo sich Einzeljagd und (revierübergreifende) Bewegungsjagden sinnvoll ergänzen. Für die Bewegungsjagden bedarf es aber geeigneter Hunde. Richtig eingearbeitet sind unsere Bracken und Dachsbracken auf Grund ihrer Findigkeit, ihres Fährtenwillens und ihrer „intelligenten“ Wildschärfe für solche großräumigen Bewegungsjagden prädestiniert. So werden die Bracken, die heute in und um Olpe stehen, vorwiegend zur Stöberjagd auf Schalenwild, vor allem Schwarzwild, eingesetzt (Abb. 7). – Und das ist besonders erfreulich, sie werden wieder mehr.