Ein weihnachtliches Schüsseltreiben

Von Dr. Ludolf Hoffmann, Klub Tirolerbracke Deutschland e.V.

Seit ich denken kann, gab es bei uns daheim zu Heilig Abend Eintopf. Einerseits ein einfaches Gericht, dessen Zubereitung nicht den ganzen lieben langen Tag in Anspruch nahm. Andererseits: alles drin. Und so will ich mich einmal, der Familientradition folgend und in Anbetracht der passenden Jahreszeit, selber einmal darin erproben, sozusagen ein kynologisches Schüsseltreiben zum Jahreswechsel bzw. einen weihnachtlichen Eintopf aufzutischen. Und wenn nicht ausschließlich Kynologisches dabei ist, dann trägt auch das hoffentlich zu einem Allerlei bei, dass dem Leser gut mundet.

Der missverstandene Langhaar

Mittlerweile sind die meisten Drückjagden der Saison vergangen und wir können auf viele glücklich verbrachte, aufregende Stunden zurückblicken. Manches Mal aber waren auch weniger schöne Erlebnisse dabei.
Eines ist mir besonders lebhaft in Erinnerung geblieben: Zusammen mit einem jungen Führer einer bildhübschen Deutsch-Langhaar-Hündin wartete ich auf den Beginn des Treibens, in dem wir als hundeführende Treiberwehr vorgesehen waren. Die Hündin war noch jung und konnte kaum erwarten, dass es endlich losging. Sie wimmerte
und jammerte voller Jagdpassion – artig neben ihrem Führer sitzend – leise vor sich hin. Der war allerdings sehr darüber genervt und reagierte ziemlich ungehalten, indem er dem Hund mit der flachen Hand kräftig auf den Kopf schlug. Meinen scheinbar wenig Intelligenten bis fragenden Gesichtsausdruck nahm er wohl zum Anlass,
mir die Hintergründe seiner didaktischen Maßnahme zu erläutern:
„Wenn ich der jetzt keine fege, nervt die demnächst jedes Mal“.
Gut, soweit konnte ich intellektuell folgen. Der Hund aber war dieser scheinbar doch etwas menschlichen Logik nicht in demselben Maße zugänglich. Zumindest aber war ihre Vorfreude auf die bevorstehende Jagd nicht wesentlich beeinträchtigt. So winselte sie also wieder. Und erfuhr Schlag auf Schlag. Sie zeigte dabei wirklich
sämtliche Beschwichtigungssignale wie im Bilderbuch. Sie legte sich blinzelnd, den Kopf zur Seite abgewandt, zu Boden, woran sie auch noch von dem unbeherrschten jungen Kerl durch heftige Leinenrucke gehindert wurde. Da wurde mir die Sache doch zu dumm und ich konnte nicht umhin, ungefragt meine Meinung zu der Geschichte
vorzutragen. Offensichtlich verstand ja der Hund überhaupt nicht, wofür er fortgesetzt gemaßregelt wurde. Das aber ist der eherne Grundsatz einer Bestrafung.

Wie ich schon einmal in der Lauten Jagd schrieb:

Das Beibringen von Befehlen bzw. erwünschtem Verhalten besteht aus zwei Schritten. Der erste ist, dem Hund begreiflich zu machen, was er soll. In unserem Fall hätte also der Hundeführer einmal darüber nachdenken müssen, wie er das Verstummen des Hundes hätte erreichen können. Durch eine Ablenkung bzw. das Anbieten von etwas Interessantem beispielsweise wäre das vermutlich gelungen.
Dann Belohnung des erwünschten Verhaltens. Der zweite Schritt kann dann durchaus in einer Maßregelung des unerwünschten Verhaltens bestehen. Aber erst, wenn man sicher ist, dass der Hund wirklich verstanden hat, was von ihm erwartet wird. Dann lernt er, dass das Erwartete auch wirklich durchgesetzt wird. Ob ich diesen zweiten Schritt in Form von Schlägen mit der Hand auf den Kopf des Hundes durchgeführt hätte – wohl kaum. Unverständnis unsererseits oder vielleicht besser ausgedrückt menschliches Unvermögen, sich in den Hund hineinzuversetzen, ist oft die Ursache für ungehorsame Hunde. Nicht mangelnde Intelligenz des vierbeinigen Jagdhelfers.
Und meist wird auch an unserem Leinenende eiserne Konsequenz mit Härte und Rohheit verwechselt. Leider sind Hunde, wie alle uns anvertrauten Tiere, uns und unserem Unverstand weitgehend schutzlos ausgeliefert. Bis da das Amt eingreift, muss viel passieren…
Übrigens habe ich das Gespann aus begabter junger Hündin und dem wenig verständnisvollen Führer einige Wochen später bei einer anderen Treibjagd wiedergesehen. Die Hündin jagte gut, aber nur kurz in der Nähe der Treiberwehr. Auch im Verlauf der Jagd konnte keiner der befragten Schützen sie solojagend beobachten. Am Ende der Jagd saß sie blinzelnd mit weggedrehtem Kopf an unseren Autos…
Die arme Hündin hatte sehr wohl viel gelernt. Vor allem hatte sie die Lektion begriffen, dass die Nähe zum Hundeführer ihre unangenehmen Seiten hatte. Und versuchte, diese so gut es ging zu vermeiden. Ich fürchte, sie war auch auf dem besten Weg zu verstehen, dass das Präsentieren von Beschwichtigungssignalen von ihrem
Hundeführer nicht verstanden wird, sondern trotzdem die aggressive Verhaltensweise des Menschen fortgesetzt wird. Ich wünsche mir, dass wir verständnisvoll mit unseren Hunden umgehen, vor allem ihre Beschwichtigungssignale richtig erkennen, dass wir mehr versuchen, uns in sie hineinzuversetzen. Und auch bereit sind, den Grund für unerwünschtes Hundeverhalten auch einmal in uns selbst und in unserem Verhalten zu suchen. Wir sollten ein weinig härter zu uns selber und etwas weniger aggressiv zu unseren Hunden sein.

Der wehrhafte Nathan

Eine schöne Jagd in der jagdlichen Nachbarschaft. Sauen kamen gut vor, überall knallte es und an vielen Ständen kamen Sauen zur Strecke.
An einem der glücklichen Schützen kam unsere Treibergruppe mit ein paar Bracken und Terriern vorbei. So weit so gut. Wäre da nicht der Wachtel gewesen, der die Sau eindeutig als seine persönliche Beute ansah. Nur um jetzt keinen Freund der deutschen Wachtelhunde – ich mag sie selber sehr – zu beschwichtigen: es hätte natürlich auch ein Vertreter jeglicher anderen Rassen sein können.
Jedenfalls der Wachtel in dem Fall nahm sich unverzüglich den kleinen Terrier, es mochte ein Mischling aus Fox und Parson Jack Russel sein, der ihm am nächsten war, vor, und erklärte ihm nachdrücklich, dass er keine Erlaubnis hatte, sich der Sau auf unter 20 Meter zu nähern. Großes Gerangel, Geschrei bei den Treibern über diesen „asozialen Köter“, aber eigentlich alles nicht weiter ein Drama. Der Terrier blieb unverletzt und die anderen Hunde respektierten die vom Wachtel tabuisierte Zone um die erlegte Sau.

Warum tun Hunde so etwas?

Es gab genug Sauen an dem Tag, an dem er sich sein Mütchen hätte kühlen können. Aber so ein Verhalten
ist schon nachvollziehbar. Die Beute, die selber gefunden, gejagt und gefangen (freilich mit menschlicher Unterstützung) wurde, wird anschließend gerne auch in Besitz genommen. Was bedeutet, dass die Beute als die eigene betrachtet wird und nicht einfach mit Fremden geteilt wird. Und das ist durchaus ein soziales Verhalten.
Denn nur die Beute, die erfolgreich in Besitz genommen wird, kann dem eigenen Rudel als Nahrung dienen. Was soll aus dem eigenen Rudel denn werden, wenn nichts mit heimgebracht werden kann?
Besonders bei Hunden, die tolle Leistung auf der Schweißfährte erbringen, lässt sich Inbesitznahme häufig beobachten. Es ist dieses „das Stück haben wollen“, das beim erlegten Stück dann auf der Drückjagd dieses aus unserer Sicht in dem Moment unerwünschte Verhalten verursacht. Aber genau dieser Wille trägt auch über die
Kilometer am langen Riemen und bei der Hetze.
Ich erinnere mich noch lebhaft an Nathan, den ich schon vor dem Bestehen meines grünen Abiturs kennenlernen durfte. Nathan war ein Dackelrüde. Nicht irgendeiner freilich. Er war sicher einer der schärfsten und härtesten Dackel und überhaupt Hunde, den ich kannte. Ich fand ihn einmal als Treiber nach einer Sauenattacke schwer verletzt mit wegen der zahlreichen gebrochenen Rippen eingedrücktem Brustkorb an einem Baumstamm liegend. Hätte ich ihn nicht aufgelesen – es war die Zeit vor Garmin und Co – wäre er wohl kaum gefunden worden und sicher noch am selben Abend eingegangen.
So wurde er gerettet und ging unbeirrt seiner Bestimmung weiter nach. Und die bestand darin, die Welt von Sauen und Füchsen zu befreien.

Wegen Nathans ausgeprägter Inbesitznahmefreude waren spaßige Erlebnisse mit ihm nach jeder Jagd Thema bei den feucht-fröhlichen Schüsseltreiben, die, wie mir scheint, seinerzeit in der Jägerschaft noch einen höheren Stellenwert besaßen als heute. Wenn er einmal eine Sau in Besitz genommen hatte, war es schier unmöglich,
diese ohne eine Hilfsperson zu bergen. Das ging immer nur zu zweit. Einer musste als Lockvogel Nathans Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die zweite Person daraufhin schnell die Sau wegziehen.
Wenn dann Sau und Nathan durch 2 bis 3 Meter Waldboden voneinander getrennt waren, wurde er – zumindest nach ein paar mahnenden lauten Worten – vergleichsweise friedlich und ließ sich dann ohne Gegenwehr fest- bzw. an die Leine nehmen. Eine besondere Gaudi war, jemanden zu bitten, Nathan nach Ende der Jagd doch in
sein Auto zu verladen und mit zum Sammelplatz zu bringen. Es war Fremden ein Ding der Unmöglichkeit, das damit in Nathans Besitz übergegangene Auto zu besteigen oder Waffe, Mantel oder sonstige Ausrüstungsgegenstände daraus zu entnehmen. Aus Nathans Sicht: zu entwenden. Es war alles seins und basta!

Nur mit seinem Herrchen teilte er und war dann plötzlich der frommste Hund, den man sich denken konnte. Nathan war ein Musterbeispiel für das, was auf Drückjagden sehr lästig sein kann und es sollte vermieden werden, dieses Verhalten bewusst oder unbewusst während der Ausbildung zu fördern, wenn mit dem Hund
später problemlose Drückjagden bestritten werden sollen. Werden Nachsuchen der Arbeitsschwerpunkt des Hundes sein, ist ein großer Wille zum Inbesitznehmen durchaus kein Nachteil. Genauso wie es das Verteidigen von Auto oder Ausrüstung ist.

Es ist halt so wie so oft im Leben:

Man kann nicht immer alles haben. Im Übrigen wird es auf Jagden nur dann ernsthafte Auseinandersetzungen geben, wenn der zweite zum Stück kommende Hund die Warnungen des ersten Hundes missachtet. Was – weil Hunde mit hoher sozialer Intelligenz gesegnete Wesen sind – verglichen mit der Anzahl der im Hinblick auf den persönlichen Sauenbesitz sozusagen kapitalistisch veranlagten Hunde eher selten vorkommt. Und der eigentliche Unterschied zwischen den „toleranten“ Hunden und denen, die Beute für sich beanspruchen, besteht einzig in der Ansicht darüber, wer zum Rudel gehört und wer nicht. Die problemlosen sehen vermutlich schlicht die komplette jeweilige Jagdgesellschaft als das jagende Großrudel an. Die anderen sind da halt weniger großzügig.

Beißereien am Streckenplatz sind dagegen häufig. Meist sind es die frustrierten vierläufigen Jagdkameraden, die die ganze schöne lange Jagd im Kofferraum zu verbringen hatten, die das Stänkern anfangen. Die abgekämpften Kollegen haben meist weder das angestaute Frustpotential noch die ausreichende Energie, sich wegen der x-ten Sau des Tages in die Wolle zu bekommen. In den allermeisten Fällen sitzen oder schlafen sie ohnehin schon müde und satt im Auto. Womit sie allen Übergriffen am Streckenplatz wirksam entzogen sind. Und im Übrigen auch jeglicher unnützen Ansteckungsgefahr der Aujeszky’schen Krankheit, die überflüssigerweise vom Schwarzwild
auf Hunde, auch durch das Belecken von Ausschüssen oder gar das Plündern der Aufbruchwanne, übertragen werden können, so denn der Schwarzkittel infektiös sein sollte. Und wie viele das tatsächlich sind, kann leider niemand so genau sagen. Ein flächendeckendes Monitoring in Deutschland fehlt, wir geben ja nicht von jeder
erlegten Sau eine Blutprobe ab. Für Menschen ungefährlich, endet die Krankheit bei Hunden hingegen immer tödlich. Immer. Und Einschläfern ist das einzig Gute, was man seinem Hund – ist er einmal infiziert – dann noch tun kann. Nun will ich ja keine Panik schüren und bin meilenweit davon entfernt, der Saujagd mit Hunden abzuschwören.
Aber es kann nicht schaden, das völlig überflüssige Risiko am Aufbruch und Streckenplatz nicht einzugehen.

Wir sind Brackenjäger!

Wir sind Jäger. Keine Schädlingsbekämpfer. Und zwar nicht irgendwelche Jäger. Brackenjäger sind wir. Damit sollten wir einen bestimmten Anspruch an uns selber haben, wie wir mit dem Wild, unseren Mitjägern und unseren Hunden umgehen. Hunde, egal ob Tirolerbracke oder Deutsch Langhaar, haben es verdient, von uns
verstanden zu werden. Der wichtigste Augenblick, in dem sie unser Verständnis benötigen, ist der, in dem sie uns sagen: „Tu mir nichts“. Wenn ein Hund Beschwichtigungssignale zeigt, haben wir nicht mit fortgesetzter Aggression zu reagieren, sondern mit Deeskalation.
Aggression unsererseits hat nichts mit kompetentem Rudelführer-Auftreten zu tun. Das Wild, für das wir zuständig sind, hat ein Recht darauf, von uns anständig behandelt und bejagt zu werden. Und nicht „einfach
mal probiert“. Wir sind Anwalt der Wildtiere und sollten uns nicht selbst zu ihrem Schlächter degradieren. Muss es sein, dass vorsätzlich Alttiere vor Kälbern und Ricken vor Kitzen geschossen werden?
Glauben wir wirklich, mit der Verurteilung von Kitzen, Kälbern und Frischlingen zu einem mutterlosen Leben und monatelangem Kümmern den deutschen Wald oder die Kulturlandschaft zu retten oder gar den Klimawandel aufzuhalten?

Und wir Jäger untereinander? Wir Hundeleute? Wir Brackenjäger? Wir im Klub Tirolerbracke Deutschland? Haben nicht auch wir unser aller gegenseitigen Respekt verdient? Ungeachtet unserer – gottlob – nicht immer einhelligen Meinung? Sollten wir nicht mehr Energie dafür aufbringen, füreinander da zu sein, uns gegenseitig zu unterstützen und an einem Strang zu ziehen als jeweilige Rechtssituation von Menschen überprüfen zu lassen, denen überhaupt nichts an unseren Hunden liegt? Wir alle zusammen haben für die gemeinsame Sache einzustehen und nur gemeinsam werden wir wirklich etwas bewegen können.
Unsere Tirolerbracken haben uns. Wir sind ihr Verein. Sie werden das sein und werden, was wir aus ihnen machen. Wir alle sollten um ihretwillen über unseren Schatten springen können und uns auf unsere Hunde konzentrieren. Wir sind es ihnen schuldig.