Aus der Geschichte der Gerste in Schleswig-Holstein

Von Ernst-Otto Pieper

 

 

„Wäre es doch zumindest ein Gerstenkorngewesen“, sagte die hungrige Henne,sie hatte einen Diamanten im Misthaufen gefunden.

Ursprung:

Foto: E.-O. Pieper

Die Gerste ist eine an Anspruchslosigkeit kaum zu überbietende Getreideart. Deshalb kann man sie noch in Gegenden anbauen, in der andere Kornfrüchte unmöglich gedeihen können. Selbst auf salzigen Böden in den trockenheißen Steppen Vorderasiens gedeiht diese Pflanze und auf den Hochebenen Tibets wächst sie noch in 4.500 m Höhe; selbst nördlich des Polarkreises lässt sich Gerste anbauen, wenn der Dauerfrostboden wenigsten für drei Monate rund 30 cm tief auftaut.

Die Gerste ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Mehrfach konnten Funde aus den Frühkulturen Vorderasiens und Ägypten dieses beweisen. In Nordhessen vielen mir bei der Bearbeitung von Urnengräbern immer wieder verkohlte Gerstenkörner auf, die vor mehr als 3.000 Jahren den Verstorbenen auf ihrem langen Weg ins Jenseits als Grabbeigabe gereicht wurden. Gerste die bereits während dieser Zeit die bevorzugteGetreideart war.

Da die Gerste ursprünglich nur der menschlichen Ernährung diente, wurden in Europa entsprechende spelzenlose Rassen gezüchtet. Im Laufe der Jahrhunderte übernahmen aber andere Getreidearten diese Funktion – sie waren einfach schmackhafter – und so wurde Gerste immer mehr als Futterpflanze für das Vieh angebaut.

Die Zweizeil-Gerste, die vermutlich aus Nordafrika oder Südasien stammt, wird heute sehr häufig angebaut. Sie ist in Mitteleuropa erst seit dem 15. Jahrhundert allgemein verbreitet. Auf nährstoffreichen, neutralen bis schwach sauren Böden bei feuchtwarmem Klima angebaut gibt sie zwar wenige aber dafür große Körner. Ihre Sorten liefern vor allem Braugerste aber auch Malz, Kaffee-Ersatz, Tee, Graupen, Grieß und auch Mehl, aus dem ein zwar nahrhaftes, aber wenig wohlschmeckendes Brot gebacken wird, welches schon den römischen Legionären als Strafkost gereicht wurde. Die mehrzeilige Gerste (vierzeilig, seltener sechszeilig) wird bei uns als Wintergetreide angebaut. Sie ist weitaus anspruchsloser und da sie schon in der Jungsteinzeit die einzige Gerste war, ist anzunehmen, dass sie die Stammform der Zweizeil-Gerste ist.

Namensherkunft:

Der botanische Gattungsname der Gerste ist Hordeum; es ist der lateinische Name für Gerste und hat vielleicht seinen Ursprung in dem Wort horrere, was so viel heißt wie starre, stachelig sein (wohl der grannigen Ähren wegen).

Die Bezeichnung Gerste ist dem deutschen eigentümlich, die anderen altgermanischen Dialekte sagten dafür Goth. Baris, Ags. Bere neben Gerst, nordfriesisch Berre, Bar, Bär, altnordisch Bygg (und barr), daher dänisch Byg, schwedisch Bjugg.

Zu Großmutters Zeiten in Schleswig-Holstein:

Großflächiger Anbau von Wintergerste auf dem Geestrücken Foto: E.-O. Pieper

Sobald der Sommer seinen Höhepunkt erreicht, schmiegtsich dieseidenglänzende Gerste über viele unserer Kornfelder; und während die schweren Ähren sich im Winde neigen, versprechen sie reichlich an Grütze undBrot, Schnaps und Bier. Die Bewohner des Nordens haben die Gerste immer besonders geschätzt, weil siesättigt und Frohsinn spendet.

In Schleswig war es Tradition, dass die Gersteam Walpurgistag (1. Mai) gesät wurde.Eine Redensart empfiehlt, dass die Gerste erst dann gesät werden soll, wenn die Erde so erwärmt ist,dass man sie mit nackten Fußsohlen spüren kann. War die Gerste gesät, wurde dieses Ereignis vielerorts mit Pfannkuchen gefeiert. Danach blieb nur zu hoffen, dass Wetter und Wind eine reichhaltige Ernte ermöglichen würden. In Schleswig glaubteman daran,dass ein regnerisches Pfingstfest einegute Gerstenernte bedeute, auf die man sich freute, weil zu diesem Anlass Kaffee und „ǽbleskiver“(Förtchen) serviert wurden.

Aus dem Gerstenmehl wurde Brot gebacken, das gesund und trocken war. Fanatische Anhänger des Roggenbrotes behaupteten jedoch, dass Gerstenbrot zu Verdauungsschwierigkeiten führe. Mischte man dem Roggenmehl etwas Gerstenmehl bei, vertrugen auch die Leute, die nicht daran gewöhnt waren, einsolches Mischbrot. Am besten eignete sich dieGerste als Graupen. Der Wöchnerin reichte man Gerstengrütze mit Korinthen. Kräutergrütze, die auf Bier gekocht wurde, enthielt Gerste und Äpfel. Sauergrütze nannte man Gerstengrütze, die mit Buttermilch angereichert war, aber auch für „ǽbleskiver“, Mehlklöße, Pfannkuchen und Mehlschwitze verwendete man ausschließlich Gerstenmehl.Eine besondereSchleswigscheSpezialität war der „sǽttekage“ -eine Art Pudding aus Gerstenmehl, der zusammen mit dem Brot in den Ofen geschoben wurde. Nochbekannter sind allerdings die „knǽpkager“,die, egal ob dick oder dünn, ebenfalls überwiegendaus Gerstenmehl gebacken wurden. Das Backrezept für eine Portion lautet: 2 Pfund Mehl, 1Pfund Butter oder Fett, 2-3 Eier, etwas Zucker,eine kleine Priese Hirschhornsalz und etwas Sahne. Wenn der Teig ausgerollt war, wurdendie „knǽpkageru.a. mit einem Stempel dekoriert. Danach wurden sie mit einem geschlagenen Eigelb und etwas Sahne bepinselt und in den Ofen geschoben.