Von THOMAS MUNZERT
Das Naturerlebnisgebiet Üfter Mark umfasst eine Fläche von ca. 1.800 ha und ist damit eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete im niederrheinischen Tiefland. Geprägt ist das Gebiet von forstwirtschaftlicher Nutzung, welche bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Um den hohen Bedarf an sogenanntem Grubenholz für den Ruhrbergbau zu decken, wurden vor allem schnellwachsende Waldkiefern (Pinus sylvestris) auf den ehemals ausgedehnten Heideflächen angepflanzt.
Mit der Bundesstraße 224 sowie der Bundesautobahn 31 zerschneiden 2 überregionale Verkehrswege die Üfter Mark von Nord nach Süd, während das Gebiet im Süden von der Bundesstraße 58 in Ost-West-Richtung begrenzt wird.
Am 12. September 2012 wurde die Grünbrücke (Baukosten rd. 4,5 Mio. EUR) für Wildtiere freigegeben. Das gesamte Projekt stößt auf ein breites öffentliches Interesse, was sich auch durch die erschienenen Zeitungs- und online-Artikel bemerkbar macht. Mit ihrer Fertigstellung ist sie neben den Grünbrücken über die L361 bei Bergheim, die BAB 33 bei Bielefeld, die BAB 52 bei Elmpt und die BAB 1 bei Nettersheim die fünfte Brücke dieser Art in NRW. Im Jahr 2020 sollen nach dem Willen der Bundesregierung in ganz Deutschland bereits 90 Grünbrücken gebaut sein.
Die in der Üfter Mark realisierte Grünbrücke liegt zentral innerhalb des Waldgebietes. Sie weist einen bikonkaven Grundriss auf und überspannt die vierspurige BAB 31 von Ost nach West. Die mit 50m schmalste Stelle der Brücke befindet sich in ihrer Mitte. Zu den Widerlagern hin verbreitert sich der Brückenkörper auf 70m. Exklusive der Ost- und Westrampe ergibt sich so eine überbaute Fläche von 2.700 m2. An ihrem nördlichen und südlichen Rand wurden ca. 3,5m hohe Wände installiert, die verhindern, dass Wildtiere auf der Brücke von dem unter ihnen passierenden Verkehr verschreckt oder geblendet werden. Zwischen Ost- und Westrampe verläuft am nördlichen Rand der Brücke ein Totholzgürtel aus Wurzeltellern und Stämmen von Waldkiefern. Aufgrund der Topographie des umgebenden Geländes und einem einzuhaltenden Mindestabstand zwischen Fahrbahn und Brückenunterseite von 4,7 m war es notwendig, beiderseits Rampen anzuschütten. Bei ihrer Errichtung wurde darauf geachtet, dass die Steigung ein Verhältnis von 1:10 aufweist, d.h. dass beim Zurücklegen einer Strecke von 10m 1m Höhenunterschied überwunden wird. Dies soll die Akzeptanz durch das stark optisch sichernde und wahrnehmende Rotwild (Cervus elaphus) steigern.
Die Üfter Mark ist Teil des insgesamt ca. 500 km2 umfassenden Lebensraumes der größten Tieflandpopulation von Rotwild in NRW.
Durch die zentrale Lage der Üfter Mark innerhalb dieses Gebietes kommt ihr eine besondere Bedeutung als Einstandsgebiet zu. Im Jahr 2009 wurde vom RVR eine Studie zur Errichtung einer Grünbrücke über die BAB 31 in Auftrag gegeben, in welcher verschiedene planungsrelevante Leitarten genannt werden. Als Leitart werden Tierarten bezeichnet, durch deren Schutz die biologische Vielfalt insgesamt erhalten wird.
Die Leitarten, welche nach dieser Studie von einer Grünbrücke in der Üfter Mark profitieren würden, sind neben einigen Vogelarten wie etwa dem Neuntöter (Lanius collurio), dem Ziegenmelker oder dem Uhu (Bubo bubo), vor allem Säugetiere wie Dachs (Meles meles), Baummarder (Martes martes), sowie das Rotwild.
Durch den Bau einer solchen Querungshilfe versprach man sich nicht nur eine Anreicherung der Genpools der beiden Rotwild-Teilpopulationen auf der Ost-, bzw. der Westseite der BAB 31, sondern plante den Standort der Brücke so, dass sie einen Beitrag zum überregionalen Biotopverbund leisten kann. So bestehen tradierte Fernwechsel zwischen der Rotwildpopulation in der Üfter Mark und ihrer Umgebung und der Population in Hooge Veluwe bei Arnheim im Westen, der Population Bentheimer Wald im Norden, sowie zur Population im Reichswald Kleve. Mit der Fertigstellung der Grünbrücke in der Üfter Mark ist es dem saisonal wandernden Rotwild wieder möglich, sich zwischen den beiden von der BAB 31 getrennten Teilgebieten der Üfter Mark frei hin- und her zu bewegen, sowie die tradierten Fernwechsel wieder aufzunehmen.
Aufenthaltsanteile der beobachteten Nutzer auf der Brücke im Untersuchungszeitraumin %
Um Aussagen zur Nutzungssukzession an der Grünbrücke treffen zu können, wurde der Brückenkörper seit dem Tag der Eröffnung mit Wildkameras observiert und so die Bewegungen von Wildtieren auf der Brücke erfasst.
Bereits 3 Tage nach Freigabe der Grünbrücke, fand am 15.09.2012 die erste Überquerung von West nach Ost durch Rotwild statt. Dieser Wechsel spielte sich außerhalb des Erfassungsbereiches der beiden zu diesem Zeitpunkt installierten Kameras ab, konnte aber anhand von Spuren nachvollzogen werden.
Die unterschiedlichen Tierarten suchten die Grünbrücke unterschiedlich häufig auf. Abbildung 1.2 zeigt die Anzahl der Tage in Prozent, bezogen auf die 127 Beobachtungstage vom 12.09.2012 bis zum 16.01.2013, an denen die unterschiedlichen Arten und Passanten auf der Brücke von den Kameras erfasst wurden.
Die angegebenen Werte zeigen die Frequentierung der Grünbrücke durch das Rotwild an 91% der 127 Beobachtungstage. Aber auch das Schwarzwild fand sich an 52% der Beobachtungstage auf der Brücke ein. Würde nur der Zeitraum von der erstmaligen Erfassung von Wildschweinen am 17.10.2012 bis zum Ende der Beobachtungszeit am 16.01.2013 berücksichtigt werden, so ergäbe sich eine Anwesenheit von Wildschweinen an 72% der Tage. An 13%, (16 der 127 Beobachtungstage) wurden Passanten auf der Brücke registriert.
Dies mag gering erscheinen, ist aber vor dem Hintergrund der um die Grünbrücke herum eingerichteten Wildruhezone, in der ein Betretungsverbot herrscht, kritisch zu betrachten. Wildschweine zeigen anders als das Rotwild ausschließlich Wechselverhalten an der Grünbrücke. Die auf dem Brückenkörper ausgebrachte Erde ist kein gewachsener Boden, liegt zudem erst seit wenigen Monaten aus und bietet deshalb keine Nahrung für das Schwarzwild in Form von z.B. Engerlingen, Wurzeln oder Pilzen. Eichen oder Buchen mit ihrer vom Schwarzwild bevorzugten Mast fehlen ebenfalls auf Brückenrampen und -körper. Deshalb dient die Brücke dem Schwarzwild als reines Verbindungselement zwischen dem westlichen und östlichen Teil der Üfter Mark.
Außer dem bereits beschriebenen Rot- und Schwarzwild wurden noch weitere Tierarten auf der Grünbrücke erfasst. Während Fuchs und Wildkaninchen ebenfalls regelmäßig anwesend waren, gab es im Untersuchungszeitraum noch weitere Tierarten und –gruppen wie z. B. Baummarder (Martes martes) oder Mäusebussard (Buteo buteo), die nur einmalig bzw. nur durch ihre Spuren nachgewiesen wurden.
An 25,2% und 29,3% der Beobachtungstage wurden Füchse und Wildkaninchen auf der Grünbrücke von den Kameras erfasst. Während der erste der insgesamt 37 Tage, an denen sich Wildkaninchen auf der Brücke aufhielten, der 13.09.2012 war, wurde ein Fuchs erst am 13.10.2012 erstmalig erfasst. Würde nur der
Zeitraum vom 13.10. bis zum Ende der Datenaufnahme am 16.01.2013
berücksichtigt werden, so ergäbe sich für den Fuchs ein Wert von 33%. Damit ist die Nutzungsfrequenz beider Tierarten ab dem Zeitpunkt ihrer Annahme der Brücke etwa gleich groß.
Die im Rahmen der Kamerakontrollen und direkten Beobachtungen aufgenommenen Spuren bestätigen die Ergebnisse der Wildkameras.
Das Rotwild als am häufigsten erfasste Art und die Spezies mit der größten Abundanz im Untersuchungsgebiet hinterließ in der Beobachtungszeit Spuren auf dem gesamten Brückenkörper. Bedingt ist dies auch durch die attraktive Äsung auf der Brücke, wodurch die Tiere keinen Bereich aussparten.
Die Aussaat von Äsungspflanzen für die Zielart Rotwild auf dem Brückenkörper und den Rampen wirkte sich positiv auf die Annahme der Grünbrücke durch diese Tierart aus. Auch in das Nahrungsspektrum der Wildkaninchen passt der derzeitige Bewuchs der Brücke.
Die nahe Wildwiese wird auch vom Schwarzwild zur Nahrungssuche genutzt, was der aufgebrochene Boden in einem etwa 750 m2 großen Teilbereich gezeigt hat.
Die Ergebnisse zeigen eine unterschiedlich schnelle Annahme sowie eine unterschiedlich häufige Nutzung der Grünbrücke durch verschiedene Tierarten. Die Erwartung, dass hierbei das Rotwild aufgrund seiner hohen Dichte in der Üfter Mark eine zentrale Rolle spielen sollte, wird durch die Ergebnisse bestätigt.
Die Nutzung der Brücke durch das Schwarzwild deckt sich ebenfalls mit den Erwartungen. So vergingen 35 Tage seit der Eröffnung der Brücke, bis die Tiere erstmalig über diese wechselten. Durch ihr ausgeprägtes Sicherungsverhalten, benötigten die Tiere eine deutlich längere Erkundungsphase als z.B. das Rotwild. Nachdem jedoch der erste Wechsel stattgefunden hatte, wurden die Tiere regelmäßig erfasst, und ihre Spuren waren in Form von frisch aufgebrochenem Boden und Wechseln auf der östlichen Seite der BAB 31 zu finden.
Bei keiner Tierart konnte ein Zusammenhang zwischen dem Betreten der Brücke durch Passanten und der Nutzung in den darauffolgenden Tagen ermittelt werden. An Tagen an denen sich Fussgänger oder Mountainbiker auf der Brücke aufhielten und diese z.T. komplett überquerten, fanden sich später wieder Tiere auf der Brücke ein. Die Wildtiere in der durch Erholungssuchende stark frequentierten Üfter Mark sind an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt und zeigen schon kurz nach eintretenden Störungen wieder ihr gewohntes Verhalten. Auch die in der Üfter Mark behutsam durchgeführte Jagd, bei der einzelne Stücke geschossen werden, ohne dass sich der Schütze unmittelbar nach dem Schuss dem Wild zu erkennen gibt, trägt zu dem gelassenen Verhalten des Wildes gegenüber dem Menschen sowie der Tagaktivität z.B. des Rotwildes bei. Um die Grünbrücke wurde eine Wildruhezone eingerichtet, welche ein Betretungsverbot beinhaltet.
Durch die Grünbrücke werden die östlichen und westlichen Teilgebiete der Üfter Mark wirkungsvoll wiedervernetzt. Die direkte Annahme der Brücke durch die Leitart Rotwild lässt darauf hoffen, dass diese Art das Bauwerk nicht nur wie bisher für ihre täglichen Bewegungen nutzen wird, sondern in Zukunft auch die Dispersion einzelner Individuen stattfindet. Die Schaffung weiterer Kleinbiotope auf dem Brückenkörper, wie durch den Totholzgürtel bereits in Ansätzen geschehen, sowie die Anlage von Leitlinien können die Grünbrücke auch für weitere Tiergruppen nutzbar machen.
Das Ausbringen weiterer Totholz- oder Steinhaufen kommt auch Reptilien zugute, welche im Untersuchungsgebiet in Form der Waldeidechse (Zootoca vivipara) am der Fuß der östlichen Rampe und in Form von juvenilen Zauneidechsen (Lacerta agilis) am nordöstlichen Rand der Wildwiese durch Sichtbeobachtungen nachgewiesen wurden. Für die große Gruppe der Wirbellosen wäre ein reich strukturierter Brückenkörper ebenfalls wünschenswert.
So nutzen Waldarten unter den Laufkäfern beispielsweise Hecken als Leitstrukturen bei der Erschließung neuer Habitate. Auch das im Vergleich zu großen Säugern geringere Ausbreitungspotential dieser Tiergruppe macht eine lebensraumähnliche Gestaltung des Brückenkörpers für eine Annahme erforderlich. Die Brücke kann Individuen einer Art als Wanderungskorridor zwischen den beiden Seiten der überbauten Straße dienen, aber auch als Lebensraumkorridor, in dem sich ein Individuum eine bestimmte Zeit aufhält, bevor es die Querung fortsetzt und so ein genetischer Austausch über dieses Tier stattfindet. Im dritten Fall kann die Grünbrücke aber auch als Lebensraumkorridor dienen, in dem eine Nachkommenschaft gezeugt wird, welche dann die Migrationsbewegung auf die andere Seite der Brücke beendet, so dass der genetische Austausch über eine weitere Generation erfolgt.
Viele Fledermausarten jagen in Bodennähe, wobei sie sich an Leitstrukturen orientieren und so Opfer des Straßenverkehrs werden können. In einer Studie aus dem Jahr 1997 wurde die Annahme von Grünbrücken bei geeigneter Gestaltung durch Fledermäuse bereits dokumentiert. Auch die Grünbrücke in der Üfter Mark könnte den dort heimischen Arten mit geeigneten Leitstrukturen z.B. in Form von Gebüschreihen als geschützte Querungsmöglichkeit über die BAB 31 dienen. Hier ist vor allem die Bechsteinfledermaus, die als eine der Leitarten für die Grünbrücke in der Üfter Mark genannt wird, hervorzuheben.
Am 12. September 2012 wurde eine Grünbrücke über die BAB 31 bei Schermbeck in NRW, Deutschland, fertiggestellt. Diese liegt im 1.800 ha großen Waldgebiet der „Üfter Mark“. Das Untersuchungsgebiet weist mit 7 -10 Individuen/100ha eine hohe Rotwilddichte auf. Im anfänglichen Beobachtungszeitraum wurden mit Hilfe von Wildkameras 4 Tierarten
regelmäßig auf der Brücke erfasst: Rotwild, Schwarzwild, Fuchs und Wildkaninchen. Anhand von Spuren wurden zusätzlich Baummarder und eine Kleinsäugerart aus der Familie Muridae nachgewiesen. Durch die Aufnahme von Spuren auf der Brücke und in ihrer näheren Umgebung konnten die bevorzugten Wechsel der Tiere an der Querungshilfe festgehalten werden. Direkte Beobachtungen von Teilen der westlichen Rotwildpopulation im Bereich der Grünbrücke führten zu Aussagen über das Verhalten der Tiere außerhalb der Erfassungsbereiche der Wildkameras.
Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass die errichtete Grünbrücke ein geeignetes Mittel zur Wiedervernetzung der östlichen und westlichen Teilbereiche der „Üfter Mark“ darstellt.