Von Ernst-Otto Pieper
1901 wurde in Rossiten (heute: Rybatschi), in der Kurischen Nehrung (Ostpreußen) eine Vogelwarte gegründet. Ihr erster Leiter war Prof. Dr. Johannes Thienemann (* 12.11.1863 † 12.04.1938). Es war die erste Vogelwarte der Welt.
Die Vogelwarte wurde von der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft und der Universität Königsberg getragen. Unterstützt wurde das Projekt vom Königlichen Ministerium für Kultus und Landwirtschaft.
Die Vogelwarte diente folgenden Zwecken:
1. Beobachtung des Vogelzuges, Zugzeit der einzelnen Vogelarten, Richtung der Wanderzüge, Wind- und Wetterverhältnisse während der Zugzeit, Höhe des Wanderfluges, Geschwindigkeit des Vogelzuges, Rasten der Wanderscharen, und Herkunft der Vögel.
2. Beobachtung der Lebensweise der Vögel und ihre Abhängigkeit von der Nahrung.
3. Untersuchungen über Mauser und Verfärbung.
4. Untersuchung über den wirtschaftlichen Wert der Vögel, über die Nahrung, den Nutzen und Schaden für Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau und Fischerei, über Verbreitung von Pflanzen und niedere Tiere durch die Vögel.
5. Untersuchung über zweckmäßigen Vogelschutz.
6. Beschaffung von Untersuchungsmaterial für wissenschaftliche Staatsinstitute, wobei sich die Tätigkeit der Vogelwarte nicht nur auf die Vögel beschränken, sondern auch auf andere „Tierklassen“ erstrecken soll.
7. Verbreitung der Kenntnis des heimischen Vogellebens im allgemeinen und des wirtschaftlichen Wertes der Vögel im besonderen durch Wort und Schrift.
Außerdem soll eine Sammlung der auf der Nehrung und ihrer nächsten Umgebung vorkommenden Vögel angelegt werden.
1923 übernahm dann die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften die Station und gliederte sie in ihr Forschungsnetz ein. Nachdem Thienemann 1929 in den Ruhestand ging, übernahm Oskar Heinroth von Berlin aus die formale Leitung. Koordinator vor Ort war Ernst Schüz, der 1936 dann auch offizieller Leiter der Vogelwarte wurde.
Die Vogelwarte Rossitten war die erste ornithologische Forschungsstation der Welt und erlangte weltweite Bedeutung. Ihre Arbeit wird nach der Evakuierung 1944 durch die 1946 gegründete Vogelwarte Radolfzell am Bodensee fortgesetzt. Die Vogelwarte Radolfzell ist seit 1998 eine Abteilung des Max-Planck-Institutes für Ornithologie bei Radolfzell.
Eine russische Vogelwarte im jetzigen Rybatschi sieht sich als Nachfolge der deutschen Vogelwarte Rossitten vor Ort. Ihre Forschungsarbeit wird zum großen Teil aus Spenden und seit 1997 von der deutschen Heinz-Sielmann-Stiftung finanziert (Heinz Sielmann war in Königsberg aufgewachsen). Auch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hilft.