Havelberger Dom und seine gefiederten Bewohner

Von Ernst-Otto Pieper

In Sachsen-Anhalts Norden liegt die schöne Hansestadt Havelberg, deren historisches Zentrum sich auf einer Insel befindet. „Insel- und Domstadt im Grünen“ nennt sich die  kleine Stadt am Zusammenfluss von Havel und Elbe.
Wenngleich sie auch nur rund 6.700 Einwohner hat, so hat sie doch als Bischofssitz eine große Vergangenheit und sicherlich auch eine interessante touristische Zukunft.

Der Havelberger Dom Foto: E.-O. Pieper

Größte Anziehungskraft hat der Dom Sankt Marien als evangelische Kirche, Baudenkmal und Kulturzentrum – er ist ein bedeutender Anlaufpunkt an der Straße der Romantik. Der Dom liegt auf einer Anhöhe hoch über der Havel und wurde Mitte des 12.
Jahrhunderts von Mönchen des Prämonstratenserordens gebaut. Die Weihe fand am 16. August 1170 statt.
Ursprünglich romanisch, erfolgte zwischen 1279, nach einem Brand, und 1330 der gotische Umbau des Hauptchores und anderer Teile des Doms. Seither bestehen die Außenwände des Kirchenschiffs und des Westbaus aus einer Kombination aus Naturstein im unteren romanischen Baukörper und einer Erhöhung aus Ziegelmauerwerk aus gotischer Zeit, teilweise in bunter Mischung.
Seine architekturgeschichtliche Bedeutung verdankt der Havelberger Dom dem 33 Meter hohen Westbau, der mit seiner völlig ornamentlosen, wuchtigen Form als fensterloser Block die entschiedenste Verwirklichung des Sächsischen Westriegels in der deutschen Baukunst darstellt.

Blick auf den Westbau mit zahlreichen Rüstlöchern Foto: E.-O. Pieper

Eine besondere Bedeutung hat dieses Bauwerk als „Kulturfelsen“ für die Vogelwelt. Alljährlich bietet der Dom Nistgelegenheiten für Dohlen, Mauersegler, Haussperlinge, Grünfinken, Stare, Turmfalken, Ringeltauben, Waldkäuze sowie Bachstelzen, Grauschnäpper, Hausrotschwanz, Amsel und Kohlmeise.
Als Nistplätze werden überwiegend die besonders im Westbau zahlreich vorhandenen Rüstlöcher im Mauerwerk angenommen. Da die meisten dieser Rüstlöcher vom Innern des Domes nicht zugänglich sind, ist ein genaues Auszählen der besetzten Aussparungen nur sehr schwer möglich.

Mit Ausnahme der Grünfinken, die im am Mauerwerk rankenden Efeu nisten, handelt es sich bei den aufgeführten Brutpaaren um ausgesprochene Gebäudebrüter. Dohlen, Turmfalken, Ringeltauben und der Waldkauz nehmen die Rüstlöcher an, Haussperlinge, Stare und die Kohlmeise brüten in den im Laufe der Zeit schadhaft gewordenen Mauerwerksfugen, Amsel und Hausrotschwanz nisten in kleinen Mauerwerksaussparungen. Die Bachstelze und der Grauschnäpper brüten an bzw. unter schadhaften Ziegeldächern. Mauersegler brüten sowohl in Rüstlöchern als auch in sich geweiteten Mauerwerksfugen.

Die Überreste der „Walnuss-Mahlzeit“ Foto: E.-O. Pieper

Mit 70 bis 80 Paaren ist die Dohle mit großem Abstand häufigster Brutvogel am Dom, was sicherlich auf das völlige Fehlen der verwilderten Haustauben zurückzuführen ist.
Interessant ist bei den Dohlen, die ja das ganze Jahr über den Dom bevölkern, folgendes:

Wenn im Herbst die Walnüsse in der Umgebung des Domes reifen, werden diese von den Dohlen gesammelt und in die Rüstlöcher transportiert.
Von dort werden die Nüsse dann von den Dohlen auf den gepflasterten Dom-Vorplatz gestoßen, zerplatzen und geben ihren Inhalt frei der dann wiederum von den Dohlen eingesammelt und in den Rüstlöchern für eine spätere Mahlzeit deponiert oder gleich gefressen werden.

Offensichtlich wird diese Fähigkeit jeweils an die folgende Dohlen-Generation weitergegeben – alle können es.