Immer der Nase nach

Wittrung und Witterung

Von Heimo van Elsbergen

Wittrung nennt man den Duft, den Geruch von Wild. Man unterscheidet die Art- und Eigenwittrung, die Fährten-, Körper- und Bodenwittrung.

Jede Wildart hat ihre eigene Wittrung, die Artwittrung. Während die Wittrung von Schwarzwild, Rehwild („süße Rehfährte“), Sikawild, Fuchs und Kanin sehr intensiv ist, stellt der Hase mit seiner schwachen Wittrung die größten Anforderungen an die Hundenase. Deshalb ist der Prüfstein für die Zuchteignung unserer Bracken die Hasenfährte. Bracken, die ihre Fährtensicherheit, ihren Fährtenwillen und –Laut auf der schwierigsten Wildfährte unter Beweis stellen, haben mit anderen Wildarten keine Probleme bei der lauten Jagd.

Innerhalb einer Art hat jedes Individuum seine eigene spezifische Wittrung. Diese „persönliche Duftnote“ ist die Eigenwittrung. Nur so ist es möglich, dass ein Hund die Fährte eines bestimmten Stückes Wild auch durch die Fährten der Artgenossen verfolgen kann. Auf dieser Eigenwittrung beruht die Fährtenreinheit, die die Voraussetzung für die Laute Jagd (Brackieren, Stöbern), die Parforcejagd und jede Art von Nachsuche (Arbeit nach dem Schuss) ist. Die Intensität der Eigenwittrung kann unterschiedlich sein. Säugende Häsinnen und Junghasen haben sehr wenig Wittrung. So stellen wir auf den Anlagenprüfungen immer wieder fest, dass eine Bracke eine frische Hasenfährte gar nicht annimmt, an der noch warmen Sasse „klebt“ oder die Fährte nur wenige Meter fortbringt. Bei der nächsten Fährte klappt dann alles prima. Dagegen ist die Wittrung der Rammler während der Rammelzeit viel ausgeprägter als zu anderen Jahreszeiten.

Die Fährtenwittrung (Fährtengeruch) kommt durch Duftpartikel zu Stande, die das Wild bei jeder Art von Fortbewegung am Boden abstreift. Der Hase hat an seinen Läufen selbst keine Duftdrüsen. Er nimmt vielmehr den Duftstoff aus den Duftdrüsen seiner Backen auf, indem er mit den Vorderläufen über dieselben streicht. „Der Hase wäscht sich“, sagt man. Das dabei austretende Sekret haftet an den Vorderläufen und wird auf der Fährte abgestreift. So wird die Fährtenwittrung des Hasen bei anhaltender Jagd immer schwächer, da das Einreiben der Vorderläufe mit frischem Sekret aus den Backendrüsen entfällt. Dies erklärt eine Beobachtung, die wir in den 1970er und -80er Jahren bei den Prüfungen im Sauerland machten. Wenn eine Bracke einen Hasen „gewendet“ und „rumgebracht“ hatte, wurde oft versucht, sie abzufangen und den nächsten Prüfling auf die Fährte zu bringen. Denn wegen des Hasenrückgangs in den Mittelgebirgen war es war immer schwieriger geworden, jeder Bracke einen oder zwei „frische Hasen zu servieren“. Diese Versuche, an einem Hasen mehrere Hunde zu prüfen gingen fast immer schief. Entweder konnten die Bracken mit der Fährte gar nichts anfangen oder folgten ihr nur kurz. Die schwache Fährtenwittrung stand nicht mehr, die Körperwittrung (siehe unten) war bereits verflogen.

Die Ausdünstungen des Wildkörpers, die im Gegensatz zur Fährtenwittrung nicht am Boden haften, sondern in der Luft stehen, bilden die Körperwittrung. Sehr flüchtige und feinnasige Bracken, die den Hasen hart bedrängen, jagen oft mit halbhoher Nase einige Meter neben der Fährte. Da sie im Wind der Fährte arbeiten, nennt man sie in Schweden Windtreiber. Man vermutet, dass diese Bracken in erster Linie die noch frische Körperwittrung arbeiten („Dufthetze“), weniger die eigentliche Fährtenwittrung.

Den Geruch angedrückter und verletzter Erde oder abgeknickter Pflanzenteile nennt man Bodenwittrung oder Fährtenbeigeruch. Welch hohe Bedeutung diese Witterungskomponente hat, können wir bei jeder Fährtenschuhprüfung beobachten.

„Westfälische Dachsbracke auf der roten Fährte“

Bei der Lauten Jagd ist das Fährtenwetter, die Witterung, von großer Bedeutung. Vom Fährtenwetter hängt es ab, ob die Fährten stehen und auch über längere Zeit noch von der Hundenase wahrgenommen werden können. Bei feuchtem, mildem Wetter stehen die Wildfährten. Frost, trockener Ostwind („Ostwind – kein Hund find’!“) und Hitze saugen die Fährtenwittrung auf. Besonders ungünstig ist herbstlicher Laubfall gepaart mit starkem Wind. Dann wird die Wittrung regelrecht durcheinander gewirbelt und zusammenhängende Jagden sind kaum möglich. Jede Trockenheit erschwert die Nasenarbeit der Bracke. Starker Morgentau und kalter Regen erschweren die Nasenarbeit ebenfalls, weil die kalte Nässe die empfindlichen Riechorgane der Bracke erkältet und unempfindlich macht.

Ebenso spielt die Beschaffenheit des Bodens eine große Rolle. Auf weichem, feuchtem Boden mit Vegetation hinterlässt die Fährte mehr Wittrung als auf steinigem, vegetationsfreiem, trockenem Boden oder gar Asphalt. Das sehen wir immer wieder bei den Anlagen-Prüfungen: Auf der grünen Saat jagt die Bracke laut. Kommt sie auf den blanken Acker, wird sie stumm oder schwächer im Laut. Wenn sie dann wieder in den „grünen Bereich“ kommt, setzt auch der lockere Fährtenlaut wieder ein.

Bestes Fährtenwetter herrscht an den windstillen, grauen Herbsttagen oder an milden Wintertagen, wenn eine leichte Schneedecke liegt. Dann sind alle Kräuter und das vermodernde, stark riechende Laub zudeckt, so dass die Brackennase durch keine sonstigen Gerüche mehr beeinflusst wird. Dann können die Bracken finden und jagen.

Bei der Jagd mit Bracken gibt es immer wieder unerklärliche Situationen. Ein eben noch von den Hunden gejagter Hase drückt sich und bleibt unauffindbar; erfahrene Bracken fallen eine frische Hasenfährte überhaupt nicht an oder versuchen vergeblich sie fortzubringen. „Der Hase stellt seine  Wittrung ab“, sagten die alten Brackenjäger. In den meisten Fällen dürften solche Erscheinungen jedoch auf Temperaturunterschieden von Boden und Luft beruhen. Allerdings geben, wie schon oben erwähnt, säugende Häsinnen und Junghasen nur sehr wenig Wittrung ab. Das gleiche gilt für den krank geschossenen Hasen, soweit er nicht schweißt. Es ist, als ob er seine Wittrung einbüßt.

Abschließend noch ein Erlebnis bei einer Brackenjagd im Revier Affeln unseres verstorbenen DBC-Ehrenmitglieds Hans Walter Pfeiffer: Wie üblich hatten wir einen bewaldeten Kopf umstellt und auf den Hornruf „Hunde los!“ unsere Bracken losgekoppelt. Schon nach kurzer Zeit war richtig „Musik im Busch“. Die Bracken hatten offenbar einen Hasen gestochen und jagten ihn in Richtung Waldrand. Etwa 80 Meter von mir entfernt „flog“ der Hase aus dem Wald. Mein Nachbarschütze war so perplex, dass er gar keinen Schuss los wurde. Fünf Bracken waren dem Hasen dicht auf den Fersen, aber sie folgten der Fährte ausschließlich mit der Nase, obwohl sie den Hasen im freien Feld leicht hätten sehen können. Die laute Jagd ging nun strack über ein paar Weiden in Richtung einer kleinen Ortschaft. Eine Bracke nach der anderen fiel zurück, ließ von der Fährte ab und kehrte in den Wald zurück.

Nur ein kräftiger Rüde mit ausdrucksvollen Farben heftete sich eisern an die Fährte. Währenddessen hatte der Hase den Rand des Dorfes erreicht und flüchtete nun unmittel­bar an den Gartenzäunen entlang. Dabei lief er quer über einen am Dorfrand liegenden Spielplatz und ließ sich auch von den dort spielenden Kindern nicht irritieren. Weiter ging es an Hecken und Zäunen entlang, bis er am Ortsende auf eine schmale Straße stieß, die in einem recht tiefen Einschnitt lag. Von meiner er­höhten Warte konnte ich das Gelände gut einsehen. Um den hartnäckigen Verfolger endlich abzuschütteln, schlug der Hase einen rechtwinkligen Haken und nahm die Teerstraße an. Etwa 150 Meter lief er exakt auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn, um dann im rechten Winkel abzuspringen, die ziemlich hohe Böschung zu nehmen und parallel zur Straße auf der Oberkante der Böschung weiter zu flüchten. Nach etwa 200 Metern bog er ab und verschwand hinter einem einzeln liegenden Gehöft.

Die Bracke aber zeigte eisernen Fährtenwillen und eine unglaubliche Fährtensicherheit. Als sie den Spielplatz erreichte, liefen ihr die johlenden Kinder entgegen und versuchten, sie einzufangen. Doch der Hund ließ sich nicht von seiner Arbeit abbringen. Fest auf der Fährte jagte er, ohne sich besonders korrigieren zu müssen, und erreichte den Ortsausgang. Zwar war der Laut nicht mehr so flüssig, aber dies war in Anbetracht der geringen Wittrung im offenen Gelände nicht verwunderlich. Doch würde er den Haken, den Fährtenverlauf auf der Fahrbahn und den Absprung die Böschung hinauf meistern? Alle meine Hoffnungen wurden übertroffen. Blitzschnell hatte der Rüde den Haken ausgearbeitet, die Straße überquert und jagte auf der Oberkante der gegenüberliegenden Böschung entlang. Dabei war er stumm; denn es konnten ja nur noch geringe Duftfetzen der Körperwittrung des Hasen sein, die durch den schwachen Seitenwind von der Fahrbahn die Böschung hinaufgeweht wurden. Sobald er im weiteren Verlauf auf die „Originalfährte“ des Hasen kam, wurde er wieder laut. Danach verschwand er wie der Hase hinter dem Gehöft und kurz darauf ging mir die Jagd aus den Ohren. Die Gesamtlänge der Arbeit vom Waldrand bis zu dem Gehöft dürfte etwa 1 km betragen haben.

Die Arbeit des Rüden, die mehrere an der Wald-Feldgrenze abgestellte Schützen hatten verfolgen können, war natürlich das Gespräch beim anschließenden Jagdfrühstück. Leider war es weder meinen Nachbarn noch mir möglich, die Identität dieses hoch qualifizierten Rüden festzustellen; denn für die Beurteilung der Zuchttauglichkeit eines Hundes sind solche Beobachtungen in der Praxis oft von größerem Wert als die auf einer Prüfung gezeigten Anlagen und Leistungen.

Immer der Nase nach
„Westfälische Dachsbracke auf der roten Fährte“