Invasive Arten in der Bundesrepublik Deutschland

Von Thomas Munzert


Zusammenfassung

Im Zeitalter der Globalisierung erreicht die Einfuhr nicht-einheimischer Arten in die Bundesrepublik Deutschland einen neuen Höchststand. Ein immer liberalisierterer Welthandel in Verbindung mit leistungsfähigen Transportsystemen an Land, auf dem Wasser und in der Luft befördern in kürzester Zeit nicht nur Waren rund um den Globus, sondern immer wieder auch blinde Passagiere in Form nicht-einheimischer Arten. In vielen Fällen sind diese zu Neobiota zusammengefassten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten aber auch gezielt angesiedelt worden – meist aus wirtschaftlichem Interesse, zum Teil aber auch aus ästhetischen Gründen, z.B. in Form von Zierpflanzen. Die Entwicklung, welche sich in der Bundesrepublik vollzieht, steht stellvertretend für ein globales Phänomen:

Immer mehr invasive Arten verdrängen immer mehr einheimische Arten. So finden sich in Deutschland z.B. bereits heute zahlreiche Gewässerufer, an denen fast ausschließlich das stark wuchernde Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera) wächst, während Arten der einheimischen Flora von diesen Standorten verdrängt wurden.  In der Zukunft werden immer weniger Arten immer mehr Lebensräume besiedeln, sodass es zu einer globalen Angleichung der Lebensräume und ihrer Arteninventare kommen wird. Der Verlust der Eigenständigkeit der Ökosysteme wird zu einer Homogenisierung führen, welche unumkehrbar scheint. Zu anpassungsfähig sind viele Neobiota und zu groß sind ihre Verbreitungsgebiete mittlerweile.

Auch der politische Wille liegt nicht bei der Bekämpfung bzw. der Vermeidung invasiver Arten – welche möglich wäre -, sondern bei der weiteren Liberalisierung des Handels durch die Öffnung der Grenzen und den Abbau anderer Handelshemmnisse.


Einleitung

Waschbären auf dem Dachboden, Wollhandkrabben in deutschen Flüssen und Halsbandsittiche in den Baumwipfeln rheinischer Metropolen – das Arteninventar der Bundesrepublik Deutschland ist heute um zahlreiche Neozoa erweitert. Doch auch Organismen aus dem Pflanzenreich, sogenannte Neophyta, tun es den tierischen Vorbildern gleich und besiedeln längst nicht mehr nur heimische Gärten und forstwirtschaftliche Betriebe. Stattdessen entwickeln einige dieser nicht-einheimischen Tier- und Pflanzenarten Populationen, welche sich rasant verbreiten und immer wieder vom Ärgernis zum ernst zu nehmenden Problem werden.

Um die Entwicklung nicht-einheimischer Arten zu dokumentieren, schlossen sich Fachleute aus ganz Europa zusammen und riefen das DAISIE-Projekt (Delivering Alien Invasive Species In Europe) (s. auch [1]) ins Leben. Dieses hat neben der Erfassung gebietsfremder Arten, auch die Aufgabe, Präventions- und Handlungsmaßnahmen gegen Neobiota zu entwickeln.

Das Arteninventar der Bundesrepublik Deutschland umfasst etwa 70.000 Arten (NENTWIG 2010). Davon entfallen etwa 48.000 Arten auf das Tierreich. Weitere 1032 Arten werden von der DAISIE-Datenbank als nicht-einheimische Tiere genannt. Dies entspricht rund 2,1% des Arteninventars des Tierreichs. Die Tiergruppe mit den meisten Arten sind die Insekten mit 33.305 einheimischen und 553 nicht-einheimischen Arten, während auf Vögel 314 bzw. 55 Arten und auf Säugetiere 91 einheimische bzw. 31 nicht einheimische Arten entfallen.

Weiterhin sind 4.088 Gefäßpflanzen in Deutschland einheimisch (NENTWIG 2010). Laut DAISIE-Datenbank gibt es in der BRD zusätzlich 866 nicht-einheimische Arten von Gefäßpflanzen, was einem Anteil von rund 17,5% aller Arten der Gefäßpflanzen ausmacht.

Doch durch welche Mechanismen gelangen diese neuen Arten neben der gezielten Einfuhr in die BRD, und welche Faktoren ermöglichen es gebietsfremden Arten, sich in Deutschland zu etablieren, sich rasch auszubreiten und unsere einheimischen Ökosysteme zu schädigen – dh. invasiv zu werden? Um dies zu verstehen, muss man sich zunächst die natürliche Besiedelung des europäischen Kontinents vor Augen führen.

Die heute in Europa vorkommenden Ökosysteme mit ihren spezifischen Arteninventaren und -anpassungen entstanden seit der letzten Vergletscherung des Kontinentes vor ca. 12.000 Jahren. Überdauerten Arten die Eiszeit in Rückzugsgebieten und besiedelten den Kontinent nach dem Rückzug des Eises von dort aus neu, liegt deren Anpassungszeit sogar noch weit darüber. Man kann annehmen, dass die natürliche Ausbreitung für viele europäische Arten noch immer nicht abgeschlossen ist und bis heute anhält (NENTWIG 2010). Weiterhin entwickelten sich in koevolutiven Prozessen zahlreiche Anpassungen der Arten aneinander. Anpassung und Ausbreitung entstehen somit einerseits über lange Zeiträume und bringen andererseits komplex aufeinander abgestimmte Lebensgemeinschaften hervor. Auf Störungen in Form plötzlich auftretender fremder Arten können sich die über Jahrtausende entstandenen Ökosysteme mit ihren komplexen Strukturen häufig nicht schnell genug einstellen, womit die Gefahr der ökologischen Schädigung einhergeht.

 Ergebnisse

Natürliche vs. anthropogen herbeigeführte Ausbreitung

Die natürliche Ausbreitung von Arten wird durch eine Reihe von Faktoren begrenzt, welche als biogeografische Barrieren bezeichnet werden. Solche Barrieren können neben nicht zu überwindenden Gewässsern auch Gebirge oder klimatisch extreme Gebiete sein. In der Folge kann die natürliche Ausbreitung keine invasiven Arten hervorbringen. Unterschiedliche Arten weisen dennoch unterschiedliche Ausbreitungsdynamiken auf.

Dabei ist das Ausbreitungsvermögen keine Konstante, sondern passt sich den Umweltbedingungen an, die im Habitat herrschen (NENTWIG 2010). So hat z.B. auch der zur Zeit stattfindende Klimawandel Einfluss auf das Aufbreitungsverhalten von Populationen. Durch die erhöhten Jahresdurchschnittstemperaturen können viele Arten nun in Gebieten überleben, die lange keine geeigneten Bedingungen boten. So wurde z.B. 1993 die erste Brut des Bienenfressers (Merops apiaster) in Sachsen-Anhalt nachgewiesen (s auch [2]). Sein Verbreitungsschwerpunkt liegt in Südeuropa, Nordwestafrika, sowie in Vorderasien. Sein seit 1993 stetig wachsendes Vorkommen u.a. in Sachsen-Anhalt zeigt anschaulich, wie Klimawandel und Ausbreitungsdynamik zusammenhängen können und die Einwanderung von Arten neben den im Folgenden beschriebenen anthropogenen Ursachen auch aus eigener Kraft erfolgen kann.

Die anthropogen herbeigeführte Ausbreitung von Arten dagegen läuft entkoppelt von biogeographischen Barrieren ab. Arten werden vom Menschen bewusst angesiedelt oder gelangen als „blinde Passagiere“ in andere Lebensräume; oft jenseits der biogeographischen Barrieren ihrer angestammten Lebensräume. Außerdem geschieht die Verschleppung durch den Menschen in kurzer Zeit mit Hilfe der verwendeten Transportsysteme. So können Arten z.B. auf Schiffen Entfernungen zurücklegen, für die sie – unter ausser Acht lassen der limitierenden biogeographischen Barrieren – viele Generationen benötigen würden (NENTWIG 2010).

Diese 3 Merkmale:

  • Ausbreitung durch den Menschen,
  • über biogeographische Grenzen hinweg,
  • innerhalb kurzer Zeit,

charakterisieren die Ausbreitung nicht-einheimischer Arten. Sind die Arten im neuen Lebensraum freigesetzt, bzw. freigekommen, lässt sich ihre weitere Entwicklung in 4 Phasen gliedern (NENTWIG 2010). Je nachdem, ob eine nicht-einheimische Art alle Phasen durchläuft, wird sie entweder invasiv oder kann sich im neuen Lebensraum nicht halten und verschwindet wieder, bzw. bildet nur unauffällige Populationen. Diese 4 Phasen sind:

  1. Die Einfuhr weniger Individuen mit geringer Vermehrungsrate und ohne Einfluss auf das einheimische Ökosystem.
  2. Die Etablierung und Anpassung an das neue Habitat. In dieser Phase steigt die Populationsdichte langsam an, während die Schäden durch diese Art noch sehr gering sind.
  3. Die Invasion beginnt mit einem starken Populationswachstum in einem Gebiet. Von dieser Keimzelle aus verbreitet sich die Art in immer größeren Bereichen, während sie gleichzeitig erheblichen Einfluss auf einheimische Arten hat und wirtschaftliche Schäden, z.B. in der Landwirtschaft, zunehmen.
  4. Die Sättigung tritt ein, wenn alle geeigneten Habitate besetzt sind und kein weiteres Populationswachstum mehr möglich ist. Die Schäden, die invasive Populationen in dieser Phase verursachen, umfassen neben dem Einfluss auf heimische Ökosyteme auch in erheblichem Maße die Wirtschaft.

Vor allem die Phase der Etablierung und Anpassung entscheidet darüber, ob eine Art das Potential hat, invasiv zu werden.

Mechanismen der Verschleppung

Die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Neobioten bei einem Transport hängt stark mit der Transportdauer zusammen. Im Zeitalter der Globalisierung werden die Transportzeiten immer kürzer, die gleichzeitig steigende Frequenz der Transporte und auch die Transportbedingungen, z.B. in Form von klimatisierten Laderäumen, begünstigt die Ausbreitung von Neobiota (NENTWIG 2010).

Hauptsächlich gelangen nicht-einheimische Arten mit LKWs, Zügen, Schiffen und Flugzeugen über biogeographische Barrieren hinweg in neue Lebensräume. So können die Samen von Pflanzen im Reifenprofil von LKWs stecken und Tiere in den Laderäumen von Zügen oder in Verpackungen mittransportiert werden. Während der Fahrt oder eines Stops können sich die Samen lösen oder die Tiere in die Umwelt gelangen. So können diese Transportmittel zur flächendeckenden Verbreitung einer Art beitragen. Da es beim Gütertransport über Land wie auf dem Wasser stark frequentierte Handelsrouten gibt, dienen diese Güterrouten als Einfallschneise für nicht-einheimische Arten (NENTWIG 2010).

Flugzeuge dagegen sind in der Lage, Neobiota innerhalb eines Tages über sehr große Distanzen zu transportieren und z.B. von der Süd- auf die Nordhalbkugel zu bringen. So entstehen zuerst inselartige Populationen rund um die angeflogenen Flughäfen, bevor von dort aus eine Ausbreitung mit anderen Verkehrsmitteln oder aus eigener Kraft erfolgt (NENTWIG 2010).

Modernen Containerschiffen kommt beim Transport und der Freisetzung nicht-einheimischer Arten eine besondere Rolle zu. Neben zahlreichen blinden Passagieren, die in den Containern ideale Reisebedingungn in Form stabiler abiotischer Faktoren vorfinden, gelangen vor allem mit dem Ballastwasser, welches große Schiffe mit sich führen und im Zielhafen wieder ins Meer pumpen, sehr viele Arten in Nord- und Ostsee. Die typischen Schiffsformen, wie sie heute auf den weltweiten Handelsrouten verkehren, nehmen zwischen 20.000 und 40.000 Kubikmeter Ballastwasser auf, sodass weltweit pro Jahr mehrere Milliarden Liter Seewasser vermischt werden (NENTWIG 2010). Im Ballastwasser enthaltene Arten sind vor allem Bakterien, Algen, Quallen, Krebse und Muscheln, aber sogar Fische befinden sich darunter. Vermutlich gelangte mit dem Ballastwasser von Handelsschiffen auch die chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) in deutsche Flüsse. Bereits 1912 wurde sie in der Aller erstmals in Europa nachgewiesen. Begünstigt durch das hohe Ausbreitungsvermögen der adulten Tiere von 8 – 12 km Wanderstrecke pro Tag verbereitete sie sich u.a. an den Küsten von Nord- und Ostsee stark. In Deutschland kommt sie inzwischen in fast allen Flüssen vor (s. auch [3]). Die ISSG (Invasive Species Specialist Group) (s. auch [4]), nennt sie neben dem Schiffbohrwurm (Teredo navalis) und der Zebramuschel (Dreissena polymorpha), als eine der drei invasiven Arten mit dem größten Einfluss auf die Ökosysteme, in die sie eindringen.


Mechanismen der Ausbreitung

Während naturnahe Lebensräume, in denen alle Nischen besetzt sind, einen hohen biotischen Widerstand gegen eingeschleppte Arten aufweisen und diese es in der Folge schwer haben, sich in diesen zu etablieren, gelingt ihnen dies aber in gestörten Lebensräumen. Das können z.B. Agrarlandschaften, Straßenränder, Kanäle, Eisenbahnlinien, der urbane Siedlungsraum, aber auch natürlich gestörte Flussufer sein. In diesen Lebensräumen herrschen eine geringe Konkurrenz, eine hohe Ressourcendynamik, ein hoher Nährstoffgehalt, und nur wenige natürliche Gegenspieler kommen in ihnen vor.

Mussten sich die neobiotischen Arten in ihrer alten Heimat gegen Krankheiten, Parasiten, Feinde und Konkurrenz behaupten, sind die neuen Lebensräume häufig feindfrei. So kann ein großer Teil der verfügbaren Ressourcen statt in die Abwehr dieser Faktoren in die Reproduktion und das Wachstum investiert werden. So weisen viele Neobioten in ihrer neuen Heimat mehr Nachkommen und höhere Körpermaße als in ihrer alten Heimat auf (NENTWIG 2010). Diese höhere Fitness ist die Grundlage für die Invasion durch sich etablierte Arten.

Natürliche Korridore wie Hecken und Flussufer, aber auch die bereits erwähnten künstlichen Korridore wie Strassen und Gleisanlagen dienen vielen Neobiota zur Ausbreitung (SMITH & SMITH 2009).

Weitere bedeutende Einwanderungswege für aquatische Arten stellen künstliche Wasserstrassen dar, welche auch als „Autobahnen für Invasionen“ bezeichnet werden (NENTWIG 2010). So finden sich in Deutschland z.B. der Mittellandkanal oder der Rhein-Main-Donau-Kanal. Die Verbindung ursprünglich getrennter Flusssysteme hat häufig drastische Auswirkungen auf die Entwicklung der Artenzusammensetzung in den betroffenen Gewässern.

 

Auswirkungen von Neobiota

Zwischen 2003 und 2005 wurde eine Studie auf einem ca. 50km langen Teilstück des Rheins zwischen Karlsruhe und Mannheim durchgeführt. Grundlage hierfür war die Beobachtung, dass die Biodiversität, speziell bei den Invertebraten, in den letzten 100 Jahren beträchtlich abgenommen hatte. So wurden im Jahr 1970 nur noch 1/4 der mehr als 160 Arten, welche vor 1920 im Rhein vorkamen, nachgewiesen. Als Ursache können anthropogene Gründe angenommen werden, wie die abnehmende Wasserqualität durch Einleitungen der Industrie und Landwirtschaft oder die Verbauung der Ufer.

In den lezten Jahren hat sich die Wasserqualität des Rheins erfreulicherweise wieder stark verbessert, sodass auch die Diversität der Arten wieder hergestellt wurde. Jedoch ist das Arteninventar stark verändert im Vergleich zum Erfassungszeitraum um 1920 (BERNAUER & JANSEN 2006). So wurden im Jahr 2004 bei Beprobungen insgesamt 88.800 Organismen von 114 verschiedenen Arten ermittelt, wovon 64.000 Organismen 27 verschiedenen Arten von Neozoa zugeordnet werden konnten. Somit waren 72% der gefangenen Organismen Neozoa. Bei Beprobungen, welche in einem mit dem Hauptstrom verbundenen Nebengewässer durchgeführt wurden, stellte man eine deutlich höhere Artenvielfalt bei einer gleichzeitig geringeren Anzahl von nicht-einheimischen Arten fest. Zurückzuführen ist dies auf die – im Vergleich zum wirtschaftlich genutzten Hauptstrom – größere Diversität dieses Lebensraumes. Vorhandene Nischen sind besetzt und insgesamt ist dieser Lebensraum naturnaher als der gestörte Hauptstrom. In der Folge weist er eine höhere biotische Abwehrkraft gegen Neozoa auf. Neben steigenden Wassertemperaturen und veränderten chemischen Bedingungen ermöglicht der 1992 eröffnete Rhein-Main-Donau-Kanal die Einwanderung neuer Arten. So wurde bei den Beprobungen z.B. die Donau-Assel (Jaera istri) im Rhein nachgewiesen (BERNAUER & JANSEN 2006). Ihr natürliches Verbreitungsgebiet liegt in der Donau, aber durch den Kanal war es ihr möglich, bis in den Rhein zu gelangen.

Während die Auswirkungen in aquatischen Lebensräumen häufig nicht auf den ersten Blick sichtbar werden, verhält es sich mit terrestrischen Arten, welche auch die Nähe des Menschen nicht scheuen, anders. So lassen sich anhand des Waschbären (Procyon lotor)  sehr anschaulich die verschiedenen Auswirkungen, welche das invasive Auftreten von Neozoa mit sich bringen, darstellen:

Bereits im Jahr 1927 wurden Waschbären zur Pelzgewinnung in Deutschland eingeführt. Im Jahr 1934 wurde ein Pärchen im Kellerwald am Edersee in Hessen ausgesetzt, während auch immer wieder Tiere aus den Pelztierfarmen entkamen und so der Grundstein für eine sich rasant entwickelnde Population gelegt wurde. Die rasche Ausbreitung wurde durch das Fehlen natürlicher Feinde begünstigt. Zwar erbeutet der Uhu (Bubo bubo) immer wieder vor allem Jungtiere des Waschbären, aber aufgrund seiner geringen Bestandsdichte in Deutschland kann die Regulierung der Ausbreitung des Waschbären auf diesem natürlichen Wege nicht erfolgen. Als sehr anpassungsfähiger Generalist gilt der Waschbär als erfolgreichster Neozoe des europäischen Kontinents und hat sich inzwischen nicht nur naturnahe, sondern auch urbane Lebensräume erschlossen. In den letzten Jahren wurde so z.B. medienwirksam die Invasion der Dachböden der Stadt Kassel durch diesen „Poltergeist“ dokumentiert. So leben dort heute pro 100ha zwischen 50 und 100 dieser Tiere. Damit ist Kassel die „Waschbärenhauptstadt Europas“. Durch die Invasion des Waschbären können sowohl ökologische, wirtschaftliche als auch gesundheitliche Schäden beim Menschen entstehen. So hat er als Vertreter der Raubtiere Einfluss auf die Biodiversität der einheimsichen Ökosysteme. Ausserdem kann er in Konkurrenz z.B. um Schlafplätze oder Nahrung einheimische Arten wie den Baummarder (Martes martes) verdrängen. Indem er in urbanen Lebensräumen den Tag häufig auf Dachböden verbringt und dabei z.B. Dämmmaterialien zerstört, entstehen wirtschaftliche Schäden. Weiterhin ist er Überträger von Krankheiten auf Haustiere sowie des Waschbärspulwurmes, der auch auf den Menschen übertragen werden kann. Damit trägt er nicht nur durch direkte Prädation zur Beeinflussung der Biodiversität der einheimischen Ökosysteme bei. Zwischen den Jahren 1994/95 und 2007/08 stieg die Jagdstrecke geschossener Waschbären deutschlandweit von 333 auf 34.358 Stück an (s. auch [5]). Diese Zahlen machen die enorme Invasionskraft dieses Tieres deutlich.

Die größten ökonomischen Schäden, welche durch invasive Arten verursacht werden, finden sich in der Land- und Forstwirtschaft.

So wurden auch einige eingeführte Pflanzen, von denen man sich Vorteile in der Forstwirtschaft erhoffte, invasiv, wie etwa der stark wuchernde Schmetterlingsflieder (Buddleja davidii) oder die spätblühende Traubenkirsche (Prunus serotina). Diese Arten müssen arbeits- und kostenintensiv beseitigt werden. Aber auch eine Reihe von tierischen invasiven Arten wirken sich negativ auf die Forstwirtschaft aus, wie etwa der ursprünglich in Asien beheimatete Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis) oder der holzfressende Kiefernholznematode (Bursaphelenchus xylophilus) (NENTWIG 2010).

Vor allem durch tierische invasive Arten entstehen auch Schäden an der menschlichen Infrastruktur, wie an Fassaden und Dachstühlen, z.B. durch den bereits erwähnten Waschbären oder durch Papageien. Hier ist vor allem der  Halsbandsittich (Psittacula krameri) zu nennen. Weiterhin können Uferbereiche und Dämme in Form von Untergrabungen, z.B. durch Bisamratten (Ondatra zibethicus) oder den Nutria (Myocastor coypus) beschädigt werden (NENTWIG 2010). Auch der Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum) schädigt die Uferbereiche, auf denen er wächst.

Außerdem führt die Berührung dieser Pflanze zu schmerzhaften Verbrennungen. Andere Neophyta, wie etwa die Aufrechte Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia), können zudem Allergien beim Menschen auslösen. Doch neben diesen unangenehmen Begleiterscheinungen eingeschleppter Arten, sind zahlreiche Neobiota auch potentielle Überträger einer Reihe gefährlicher Krankheiten. So ist u.a. der zur Pelzgewinnung in Deutschland gehaltene Marderhund (Nyctereutes procyonoides) Überträger der Tollwut, während Wanderratten (Rattus norvegicus) die Erreger von Thyphus, Cholera, Ruhr, Tuberkolose und einer Reihe weiterer Krankheiten übertragen können.

Auch verschiedene Endoparasiten werden von Neozoa übertragen, so z.B. der Fuchsbandwurm (Echinococcus procyonoides) durch den Marderhund oder ein Bandwurmart durch die Bisamratte (NENTWIG 2010).

 

Management invasiver Arten

Als oberster Grundsatz bei der Bekämpfung invasiver Arten gilt:

Vermeidung ist besser als nachträgliche Versuche, invasiv gewordene Arten wieder auszurotten. Da dies in der Vergangenheit nur unzureichend berücksichtigt wurde und auch in Zukunft nicht zu realisieren sein wird, arbeitet das Bundesamt für Naturschutz in Bonn (s. auch [6]) derzeit an verschiedenen Listen, in welchen nicht-einheimische Arten nach verschiedenen Kriterien erfasst werden sollen.

So wird es eine sogenannte Schwarze Liste geben (ESSL et al. 2008), welche sich in drei Unterkategorien aufteilt:

  1. Warnliste:

In dieser werden gebietsfremde, noch nicht wild lebend vorkommende Arten erfasst, welche in klimatisch und naturräumlich vergleichbaren Regionen bereits invasiv geworden sind.

  1. Aktionsliste:

Diese soll bereits wild lebend vorkommende invasive Arten erfassen, deren Vorkommen kleinräumig sind und für die geeignete Sofortmaßnahmen existieren, die eine vollständige Beseitigung mit vertretbarem Aufwand ermöglichen.

  1. Managementliste:

Diese wird wildlebend vorkommende invasive Arten enthalten, deren Vorkommen kleinräumig sind und für die es bislang keine geeigneten Sofortmaßnahmen gibt, sowie die Arten, deren Vorkommen schon so großräumig sind, dass Maßnahmen nur in Einzelfällen sinnvoll sind.

Neben der Schwarzen Liste arbeitet das Bundesamt für Naturschutz auch an einer sogenannten Grauen Liste, die wiederum 2 Teilkategorien enthalten soll:

  1. Handlungsliste:

Auf der Handlungsliste sollen alle Arten erfasst werden, für die der begründete Verdacht vorliegt, dass diese das Potential haben, in der Zukunft invasiv zu werden.

  1. Beobachtungsliste:

Auf dieser Liste sollen die Arten enthalten sein, für die bislang nur Hinweise vorliegen, dass sie einheimische Ökosysteme gefährden können.

Eine weiße Liste schließlich soll die gebietsfremden Arten enthalten, von denen nach heutigem Kenntnisstand keine Gefährdung für einheimische Ökosysteme ausgeht.

 

Diskussion

Die Zahl nicht-einheimischer Arten steigt kontinuierlich. Die Auswirkungen, die diese Entwicklung auf die betroffenen Lebensräume haben wird, lässt sich noch nicht abschätzen und wird erst in der Zukunft in vollem Ausmaß sichtbar werden.

Die große Anpassungs- und Ausbreitungsfähigkeit invasiver Arten führte z.T. zu flächendeckendem Befall großer terrestrischer und aquatischer Bereiche. Die Schäden, die an Ökosystemen verursacht werden, lassen sich oft nicht auf den ersten Blick erfassen. Außerdem verläuft die Invasion und nachhaltige Veränderung durch gebietsfremde und invasive Arten häufig über mehrere Generationen, sodass dies einen schleichenden Prozess darstellt.

Die Bemühungen, nicht-einheimische Arten durch verschiedene Listen zu kategorisieren, zeigt einerseits, dass auch von offizieller Seite an diesem Problem gearbeitet wird, andererseits wird dies invasive Arten nicht an ihrer weiteren Verbreitung hindern. Nur schnell umzusetzende Maßnahmen werden bei der Beseitigung bzw. der Eindämmung gebietsfremder Arten hilfreich sein. Inwieweit solche Maßnahmen in der Zukunft umgesetzt werden, bleibt – gerade im Hinblick auf die verhältnismäßig knappen finanziellen Mittel, welche für den Naturschutz zur Verfügung stehen – abzuwarten.

Durch geeignete Kampagnen sollte außerdem ein verändertes Bewusstsein bei der Bevölkerung geschaffen werden, um wenigstens das Entweichen nicht-einheimischer Pflanzen und Tiere aus der privaten Haltung zu reduzieren.

 

Literaturverzeichnis / Quellenangaben

Literaturquellen:

Nentwig, Wolfgang: Invasive Arten, UTB, 2010

Smith, Thomas M.; Smith, Robert L.: Ökologie, Pearson, München 2009

Bernauer, Dietmar; Jansen, Wolfgang: Recent invasions of alien macroinvertebrates and loss of native species in the upper Rhine River, Germany, Journal Compilation, 2006

Franz Essl et al. In: Natur und Landschaft, Kohlhammer, Heft 9/10 2008, S. 419 – 420

Internetquellen:

[1]        http://www.europe-aliens.org (letzter Zugriff: 27.08.2012)

[2]        http://www.bienenfresser-rlp.de/html/chronologie.html (letzter Zugriff:          09.07.2012)

[3]        http://www.issg.org/database/species/ecology.asp?fr=1&si=38 Stand 18.04.2009 (letzter Zugriff: 11.07.2012)

[4]        http://issg.org/ (letzter Zugriff: 11.07.2012)    

[5]        http://www.lwf.bayern.de/waldoekologie/naturschutz/aktuell/2009/37250/index.php (letzter Zugriff: 11.07.2012)

[6]        http://www.bfn.de/ (letzter Zugriff: 28.08.2012)