Von Ernst-Otto Pieper
Seit Beginn der Kulturgeschichte waren die Menschen bemüht, Verständigungsmittel zu finden, die weiter reichten als die Kraft ihrer Stimme, es wurde sozusagen eine verlängerte Stimme gebraucht. Sei es nun im Gebirge oder im flachen Land, überall mussten und müssen, besonders bei der Jagdausübung, auf große Entfernung Gedanken ausgetauscht und Zeiten koordiniert werden um einen Plan, zum Beispiel für die Durchführung der Jagd, erfolgreich umzusetzen.
Dieses Bedürfnis veranlasste sie zur Entwicklung ständig verbesserter Geräte, mit denen sich Töne erzeugen ließen. Herstellung aus verfügbarem Material, leichte Handhabung, einfache Funktion und persönliche Vorlieben für besondere Formen spielten bei der Fertigung die entscheidende Rolle.
So ist es nicht verwunderlich, dass die ältesten bekannten „Tonerzeuger“ aus Holz in Verbindung mit Fellen (Trommeln), Hörner von Rinderartigen sowie große Schneckengehäuse (sogen. Tritonmuscheln) waren. Für die Jagd erwiesen sich die Naturformen des Horns als die klangstärksten, darüber hinaus waren sie leicht zu transportieren und fast überall verfügbar. Nachdem man gelernt hatte Metalle zu gewinnen und sie durch Gießen, Schmieden oder Treiben zu bearbeiten, wurden Hörner der verschiedensten Arten und Formen auch aus Metall hergestellt.
Anfangs war das Horn ein reines Signalinstrument, mit dessen Hilfe Befehle und Hinweise über größere Entfernungen und auch ohne Sichtkontakt gegeben werden konnten. Da der Tonumfang eines solchen Instruments von seiner Länge abhängig ist, als Faustformel mag gelten, dass auf einem Naturtoninstrument etwa so viele Töne gut zu blasen sind, wie es – gemessen in Fuß (1 Fuß = ca. 30 cm) – lang ist, mussten mit Zunahme umfangreicherer Signale die Instrumente länger werden. Der Bedarf an umfangreicheren, gut unterscheidbaren Signalen, weil nicht allzu dicht beieinander liegende Tonstufen, wurde vor allem bei den personell sehr umfangreichen Gesellschaftsjagden des Mittelalters erforderlich. Mit dem Verlängern der Hörner war gleichzeitig die gewundene Form verbunden, denn ein gestrecktes 1 bis 2 Meter langes Instrument wäre bei der Jagd viel zu unhandlich und stoßempfindlich gewesen (im Vergleich: das Clewingsche Taschenhorn hat eine Länge von 133 cm und das Parforcehorn eine Länge von 204 cm bzw. 415 cm bei der großen Ausführung).
Schon die Etrusker und später die Römer beherrschten die Technik konische Rohre zu biegen. Diese Technik ging aber wieder verloren und wurde erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts erneut „erfunden“.
Im frühen Mittelalter (800 bis 1000 n.Chr.) war das Horn wegen seines lauten, weithin hörbaren Tones das beliebteste Signalinstrument bei der Jagd. Horn und Schwert des adligen Jägers waren im Mittelalter heilig und unantastbar. Solch ein Instrument durfte nie verloren gehen und niemand, außer dem berechtigten Träger, durfte sie berühren oder gar auf dem Horn blasen.
Die Hornfessel und das Hifthorn durfte nur der wehrhaft gemachte, hirschgerechte Jäger tragen. Während seiner Ausbildung musste der Berufsjäger auch das Blasen des Jagdhornes erlernen. Das Horn war ständiger Begleiter des Jägers und spielte auch bei der Hundeführung eine bedeutende Rolle.
Die Hörner wurden damals nicht nur von Instrumentenbauern gefertigt, sondern auch von Kupferschmieden, wobei jeder nach seiner eigenen Auffassung vorging. Materialien, Länge und Mundstücke waren unterschiedlich, so dass die Instrumente weder von der Stimmung noch vom Tonumfang zueinander passten.
Bis in das 18. Jahrhundert wurden die Signalhörner fast ausschließlich für die Jagd gebraucht. Eine deutliche Entwicklung zu Signalinstrumenten, so wie sie noch heute im Gebrauch sind, erfolgte durch die Verwendung von Hörnern bei der Führung von militärischen Einheiten und Verbänden. Aufgrund gesteigerter Feuerkraft der modernen Steinschlossgewehre musste die militärische Führung in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts völlig neue Taktiken bei der Durchführung militärischer Operationen und Kampfhandlungen einführen. Von der einst starren „Lineartaktik“ ging man nun dazu über, leichte, sehr bewegliche Truppen zu schaffen. Deren aufgelockerte Kampfweise erforderte anstelle der Trommel und Querpfeife ein neues Signalinstrument mit größerer Reichweite und mehr Möglichkeiten unterschiedliche Befehle zu übermitteln.
1788 wurde bei den preußischen Truppen das halbmondförmige Flügelhorn eingeführt. Andere deutsche Staaten folgten bald diesem Vorbild. Neben diesem Flügelhorn gab es bei den Jägerbataillonen das kleine, kreisrunde „Jägerhorn“, das die Jäger als Elitetruppe, im Erscheinungsbild sehr auf Eigenständigkeit bedacht, führten.
Die verwendeten Signale wurden teilweise – natürlich nun mit militärischer Bedeutung – aus der Jägerei übernommen. 1788 gab es acht verschiedene Signale. Infolge der Begeisterung der Truppe für das Signalblasen stieg die Anzahl der verschiedenen Signale in den Folgejahren rasch auf über 40, durch deren Fülle aber mehr Verwirrung als Ordnung geschaffen wurde. 1812 wurde deshalb die Zahl der Signale auf 20 festgelegt. Die Notwendigkeit, die Bedeutung militärische Signale zu kennen, musste niemandem besonders erklärt werden; Sieg oder Niederlage hingen davon ab, für den Einzelnen eventuell das Überleben. Selber blasen können mussten aber nur sehr wenige, nämlich die dafür besonders begabten und eigens dazu ausgebildeten Militärtrompeter.
Der entscheidende Zeitraum, der zur Entwicklung des Fürst-Pleß-Horns führte, begann etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Jäger- und Schützenkompanien bestanden derzeit überwiegend aus Berufsjägern und Förstern. Ihre Hornisten wurden zu den aufkommenden fürstlichen Hof- und Staatsjagden als Signalgeber kommandiert. Sie führten ihre Hörner dort zur Unterstützung der zivilen Forstkollegen, welche die Jagden auszurichten hatten, und bliesen die ihnen bekannten Militärsignale. Man gab diesen dann eben nur eine andere, jagdliche Bedeutung. Verwendet wurden, je nach Ausrüstung der Einheiten, sowohl das runde Jägerhorn als auch das gerade Signalhorn in C.
Nach der Revolution 1848 war die Jagd an Grund und Boden gebunden, der Wildbestand wurde fast völlig vernichtet; das war gleichzeitig das Ende der Hof- und Prunkjagden und vorübergehend das Ende des Jagdhorns.
1855 übernahm Hans Heinrich XI Fürst von Pleß (1833 – 1907) den Besitz seines verstorbenen Vaters in Oberschlesien. Er hatte bald erkannt, dass ein geordneter Jagdbetrieb ohne Jagdsignale nicht durchgeführt werden konnte. Nachdem Hifthorn und Parforcehorn in den deutschen Wäldern verklungen und fast schon vergessen waren, bemühte er sich um die Beschaffung eines guten Jagdhorns. Nach zahlreichen Versuchen mit unterschiedlichsten Instrumenten, entwickelte er schließlich aus dem Jägerhorn des Militärs das Fürst-Pleß-Horn; außerdem schuf er zahlreiche neue Jagdsignale. Dabei wurden viele Leitsignale und andere aus dem militärischen Signalbestand entlehnt und mehr oder weniger verändert übernommen. So wurde zum Beispiel aus dem „Fürstengruß“ das heutige Signal „Begrüßung“. Erhalten geblieben ist auch das wohl bekannteste Signal überhaupt, das noch heute im so genannten „Martinshorn“ gebräuchliche Signal „Straße frei“. Wir hören es jeden Tag von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Der Name Martinshorn kommt von der Firma Martin, Markneukirchen, die Anfang des 20. Jahrhunderts eine dreitönige Signalhupe für den aufkommenden Straßenverkehr entwickelte. An dem Signal „Wisent tot“ soll besonders viel herumgefeilt worden sein, ehe die letzten schweren Fluchten des totwunden Urwaldrecken deutlich zum Ausdruck kamen.
Nach dem Krieg 1870/71, inzwischen hatte sich der Wildbestand schon wieder gehoben, wurden alle Plesser Förster, die übrigens im fortgeschrittenen Alter den Titel Hegemeister erhielten, mit diesen Jagdhörnern ausgestattet. Jeweils am 10. September, dem Geburtstag des „Alten Herzogs“, musste von allen seinen Forstbeamten Schießen und Jagdhornblasen unter Beweis gestellt werden. 1878 wurde ein kleines Büchlein für Jagdsignale herausgegeben, das von J. Rosner, der in Pleß eine Buchhandlung besaß, zusammengestellt war und in Pleß verlegt wurde. Es enthielt alle für das heimische Wild heute noch gebräuchlichen Leit- und Totsignale.
Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 wurde Fürst Pleß von Kaiser Wilhelm I. zum Oberstjägermeister von Preußen und Chef des Hofjagdamtes ernannt; damit leitete er das gesamte königliche Jagdwesen, was wesentlich zur Verbreitung des Fürst-Pleß-Horns in Deutschland beigetragen hat.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Signalmusik kaum gepflegt, doch in den 20er Jahren gab es in der neu aufgebauten Reichswehr wieder Jägerbataillone die, mit Preß-Hörnern ausgerüstet, den alten Jagdsignalen treu blieben. Auch unter dem Reichsjägermeister Hermann Göring wurde das Jagdhornblasen sehr gepflegt. 1936 schrieb Oberforstmeister Walter Frevert in seinem Buch „Das jagdliche Brauchtum“: „…..das Horn ist ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Jagd“. Nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich wurde auch hier das Fürst-Pleß-Horn zum bevorzugten Jagdhorn der österreichischen Jägerschaft.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges erlosch das Jagdhornblasen völlig – es gab keine Jagd mehr. Anfang der 50er Jahre war die Jagd wieder erlaubt und ab 1958 veranstaltete der Landesjagdverband Schleswig-Holstein zunächst jährlich, später alle zwei Jahre, einen Jagdhornbläserwettbewerb. In anderen Bundesländern gab und gibt es ähnliche Veranstaltungen.
Seit 1961 wird alle zwei Jahre der Bundeswettbewerb des DJV im Schloss Kranichstein bei Darmstadt ausgetragen.
In den 1971 aufgestellten Jägerbataillonen der Bundeswehr sind außeretatmäßig Bläsergruppen aufgestellt worden. Ich selbst habe während meiner „Chefzeit“ über mehrere Jahre eine solche Gruppe mit zeitweise 30 Bläsern geführt. Die Verwendung dieser Gruppen war aber sehr stark von der Einstellung des jeweiligen Bataillonskommandeurs abhängig.
Berufsjäger müssen auch heute noch das Jagdhornblasen beherrschen während es von Jägern leider immer seltener praktiziert wird – das Jagdhornblasen wird bei der Prüfung zur Erlangung des ersten Jagdscheines ja nicht mehr gefordert.
Heute werden Jagdhörner vorwiegend in Frankreich und im deutschen Sprachgebiet Europas bei der Jagd verwendet. Die kurzen geraden Hörnchen in England und die Signalhörnlein in der Schweiz, welche vielfach auf der Jagd gebraucht werden, gehören zu den eintönigen Signalinstrumenten.
Jagdhörner, Fürst-Pleß-Horn und Parforce-Horn, sind heute genau so wenig als Instrument der Jagdmusik wegzudenken als auch als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit der Jägerschaft. Zudem hat das Fürst-Pleß-Horn bei der Jagdausübung einen festen Platz als Instrument der Kommunikation wenigstens teilweise behaupten können.