Karl Stülpner

Karl Stülpner, Sohn unserer Wälder

Von Prof. Dr. Rudolf Stübner

 

In jedem Menschen liegt der Keim zu guten und bösen, zu erhabenen und niedrigen Handlungen verborgen. Erziehung, frühe Leitung, Beyspiele, Gelegenheit und Zufälle, tragen nun das ihre dazu bey, es zu bestimmen, welchen Trieben der Mensch folgen, welchen Neigungen er sich überlassen und welche Handlungsweise er annehmen soll.

Friedrich Sydow

Die Haltung von Jägern und insbesondere Jagdaufsehern zu Wilddieben ist naturgemäß ambivalent. Oft genug handelt es sich bei diesen sagenumwobenen Gestalten um gewöhnliche Kriminelle, die manchmal mit außergewöhnlicher Brutalität ihrem Handwerk nachgehen. (Man schlage dazu etwa bei Kobell nach.)

Burg Scharfenstein, Eingangstor

Im Erzgebirge genießt Stülpner bis auf den heutigen Tag eine ausgezeichnete Reputation, viele Orte erinnern an den Wildschützen und die Legenden, die sich um den „Sohn unserer Wälder“ ranken, sind zahlreich.

Carl Heinrich Stülpner (eigentlich Stilpner) erblickte am 30. September 1762 in Scharfenstein, einem kleinen Ort des Mittleren Erzgebirges als achtes Kind einer armen Tagelöhner-Familie das Licht der Welt.

Nachdem sein Vater vermutlich Opfer der Hungerepidemie von 1771 wurde, war der erst zehnjährige Karl gefordert und erlernte bei einem Verwandten, dem Forstadjunkten C. C. Müller in Ehrenfriedersdorf das Weidwerk.

Es wird berichtet, er habe bereits als 10-jähriger seinen ersten Bock gestreckt.

Mit Gelegenheitsarbeiten und Wilderei versuchte Stülpner seine Mutter materiell zu unterstützen, bis er sich 1779 zu den Grenadieren des „Prinz-Maximilian-Regiments“ verpflichtete. Die Offiziere wussten sein Jagd-Talent zu schätzen und ließen ihn in ihrem Pachtjagdrevier jagen. Dass die dabei erzielte Strecke auf einer allzu großzügigen Auslegung der Reviergrenzen seitens Stülpners beruhte, wurde stillschweigend toleriert.

(„Er trug“, wie das Sprichwort sagt, „den Grenzstein in der Tasche“.)

Als Stülpner schließlich 1785 beim Wildern erwischt und arrestiert wurde, desertierte er ins benachbarte Königreich Böhmen. Die folgenden Jahre waren von Wanderschaft und Wilderei im Erzgebirge geprägt. Hinzu kamen neuerliche Rekrutierungen, jeweils gefolgt von Desertierung.

Einer Order von 1795 zu seiner Verhaftung durch Gerichtsbüttel und einem Militäraufgebot entkam Stülpner nur knapp.

Als Vergeltung für die Misshandlung, die seine Mutter durch die Hascher erdulden musste, belagerte Stülpner 12/13.10.1795 das gesamte Aufgebot in der Burg Scharfenstein, nachdem er seine beim misslungenen Verhaftungsversuch beschlagnahmten Jagdutensilien den Gerichtsdienern wieder abgenommen hatte. (Heinrich v. Kleist hätte an dieser Geschichte seine wahre Freude gehabt.)

Nun vogelfrei, schlug sich Stülpner als Anführer einer Gruppe von Wilderern durch und wechselte, um den Verfolgungen zu entgehen, jeweils über die sächsisch-böhmische Grenze.

Der Unterstützung der armen Landbevölkerung beiderseits der Grenze durften Stülpner und Gesellen sicher sein. Neben der mitunter unerträglichen Jagd-Fron und sonstiger Belastung, die aus der hoch-herrschaftlichen Jagd-Passion resultierte, war es Stülpners Hilfe für Notleidende, um die sich später zahlreiche Geschichten rankten. So wird berichtet, wie Stülpner Reisende vor Räubern und Wegelagerern geschützt hat und Geleit und Schutz gegen den gefürchteten „Räuberhauptmann“ Stülpner anbot, um jeweils am Ende der Tour sein Inkognito zu lüften.

Die Liebe zu Johanne Christiane Wolf, Tochter des Scharfensteiner Ortsrichters, mit der er bereits zwei uneheliche Kinder hatte, führte endlich 1807 zur Heirat in Böhmen. Im Dorf Sobitiz (zwischen Sonnenberg und der Burg Hassenstein gelegen) pachtete Stülpner ein Gasthaus „Zum lustigen Jäger“. (Joachim Baldauf berichtet von mehreren Versuchen Stülpners, sich als Gastwirt eine bürgerliche Existenz aufzubauen.)

Nach einem Generalpardon für Deserteure kehrten die Stülpners 1813 nach Großolbersdorf (bei Scharfenstein) zurück. Hier berichtet man bis heute voller Stolz die Geschichte, wie Stülpner 1813 die erfolgreiche Vertreibung marodierender Kosaken organisierte.

Nachdem 1820 Stülpner, offenbar auf Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage hoffend, in die reiche Bergstadt Preßnitz in Böhmen gezogen war, verstarb dort seine Ehefrau. 1823 heiratete Stülpner eine Preßnitzerin, mit der er bereits seit 1821 einen Sohn hatte.

Der schlimmste Schicksalsschlag dürfte wohl 1828 Stülpners Katarakt-Erkrankung (Grauer Star) gewesen sein.

 

Nach einer Operation 1831 in Mittweida, die von einem begüterten Marienberger Branntweinbrenner (der wohl auch in Stülpner einen guten Kunden hatte) finanziert wurde, erlangte er am linken Auge die Sehkraft zurück.

Im Alter vereinsamte der „Sohn der Wälder“ und „schwer drückte ihn des Alters gemeinsame Last“. Er wurde in Scharfenstein laut Gemeindebeschluss zum Versorgungsfall erklärt, um schließlich von Haus zu Haus gereicht zu werden. Dass der eigenbrötlerische, einst an „grenzenlose“ Freiheit gewöhnte und nun ziemlich hilflose Pflegefall gewöhnlich als Last empfunden wurde, braucht kaum betont zu werden.

Als Karl Stülpner am 24.09.1841, wenige Tage vor Vollendung seines 79. Lebensjahres, zu seinem Obersten Jagdherren gerufen wurde, war dies wohl nicht nur für ihn eine Erlösung.

Die schier unübersehbare Literatur über Stülpner beginnt noch zu seinen Lebzeiten und an seiner Legendenbildung hat er wohl auch kräftig mitgewirkt.

Das Spektrum der Urteile reicht vom „herumhurenden Säufer“ bis zum „klassenkämpferischen Revolutionär“.

Die zweifellos romantisierende Sympathie der Ergebirgler für Stülpner steht auch für Verbundenheit mit ihrer Heimat, deren Menschen, den Wäldern und last but not least der Jagd.

Als 1908 in Scharfenstein an der Stelle von Stülpners Geburtshaus ein Gedenkstein errichtet wurde, empörte sich ein Leser in der Jagdwochenschrift St. Hubertus darüber mit einer Leserzuschrift „Der Held von Scharfenstein“.

Seine Polemik schloss mit:

Man frägt sich dabei nur, wann die Menschheit verschrobener war, früher oder jetzt.

Dem Sohn unserer Wälder – Hier stand sein Geburtshaus

Die Replik eines Erzgebirglers in der selbigen Zeitschrift lautete:

Ein Wildschütze, ein Wilddieb im Sinne unserer heutigen Zeit war er nicht. Nie hat er zur Büchse gegriffen, um Geld zu verdienen. Zum Wilderer ist er durch unbezähmbare Jagdleidenschaft geworden. Der armen Bevölkerung des Erzgebirges war er ein Wohltäter, hatte er selbst etwas, so gab er es denen, die weniger hatten. Noch unsere Eltern wussten nicht genug von dem guten Herzen Stülpners zu erzählen, und mein Großvater, der als

Forstbeamter mehr als einmal ‚unangenehm dienstlich‘ mit dem kühnen Raubschützen zu tun hatte, rühmte seine Ritterlichkeit und nicht zuletzt seine – Weidgerechtigkeit. [. . . ] So hat Stülpner z.B. die Schonzeiten nie überschritten, und das Wild erlegte er nur mit der Kugel. In dieser Beziehung hätte mancher unserer heutigen Schießer viel von ihm lernen können.

Es ist tröstlich, in Zeiten, in denen gewisse Naturschutzverbände, dilettierende „Ökologen“ und Medien gegenseitig versuchen, sich bei der Verteufelung des Weidwerks zu überbieten, zu sehen, das die Jagd – wenn auch romantisch verbrämt – noch Sympathien genießt und als Bestandteil unserer Kultur verstanden wird, sei es auch nur in der Person eines Wildschützen, an dessen Händen oft Schweiß, aber offenbar nie Blut klebte.