Neozoon – heimische Art

Von PROF. DR. RUDOLF STÜBNER

Die Verwendung der Begriffe Neozoon und heimische Art offenbart mitunter sowohl bei Weidleuten als auch bei Wildbiologen eine ziemliche Unsicherheit. Da dies u.a. einen Ansatzpunkt für ideologische Grabenkriege liefert, besteht Klärungsbedarf.

Neozoon

Der Begriff Neozoon (Plural Neozoen), oft etwas ungenau mit ”Neubürger” übersetzt, ist nicht allgemein verbindlich definiert. Gewöhnlich bedient man sich der Definition von PROF. DR. RAGNAR KINZELBACH, Institut für Biodiversitätsforschung der Universität Rostock:

Neozoen sind Tierarten, die nach dem Jahr 14921 unter direkter oder indirekter Mitwirkung des Menschen in ein bestimmtes Gebiet gelangt sind, in dem sie vorher nicht heimisch waren, und die jetzt dort wild leben.2

Obwohl KINZELBACH das Damwild den Neozoen zuordnet,3 wäre der durch die letzte Eiszeit aus Mitteleuropa verdrängte Damhirsch (Cervus (Dama) dama) eigentlich kein Neozoon: Er wurde bereits zur Zeit der Merowinger erwähnt. LUDWIG DER FROMME (778–840), so wird berichtet,4 hielt im Brühl bei Aachen Damwild.5

Heimische Art

Der Begriff heimische Art ist im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) definiert.6 Im §7 Begriffsbestimmungen lesen wir:

(2) Für dieses Gesetz gelten folgende weitere Begriffsbestimmungen:

[…]

  1. heimische Art

eine wild lebende Tier- oder Pflanzenart, die ihr Verbreitungsgebiet oder regelmäßiges Wanderungsgebiet ganz oder teilweise

  1. a) im Inland hat oder in geschichtlicher Zeit hatte oder
  2. b) auf natürliche Weise in das Inland ausdehnt;

als heimisch gilt eine wild lebende Tier- oder Pflanzenart auch, wenn sich verwilderte oder durch menschlichen Einfluss eingebürgerte Tiere oder Pflanzen der betreffenden Art im Inland in freier Natur und ohne menschliche Hilfe über mehrere Generationen als Population erhalten;

KINZELBACH stellt klar:

Eine Trennung zu den ”eigentlich” oder ”ursprünglich” heimischen (autochthonen) Arten im Sinne der Systematik oder Biogeographie findet hier nicht statt. Diese etablierten, ”einheimisch gewordenen” Tierarten (”Agriozoen”) genießen den selben Schutz wie die ”ursprünglich heimischen” Arten.7

Insbesondere sind somit Damwild (Dama dama), Muffelwild (Ovis ammon musimon) und Sika-Wild (Cervus nippon) in Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes heimische Arten.

 

1 Im Statuskolloquium ”Neozoen – Neue Tierarten in der Natur”, Akademie Fellbach, 1995, wurde der Terminus post quem 1492 (nach dem Jahr 1492, Entdeckung Amerikas durch Kolumbus) als symbolischer Beginn des weltweiten künstlichen Austauschs genetischen Materials in größerem Umfange sowohl für Pflanzen als auch für Tiere angenommen.

([Geit 02] p. 3)

2 [Geit 02] p. 14


3 Ibid. p. 76


4 [Taut 29] p. 26


5 Es ist in diesem Zusammenhang wohl unerheblich, dass die Wiedereinbürgerung

zunächst über Gehegehaltung erfolgte.

  1. DR. ERHARD UECKERMANN:

Auch ohne die Hilfe und spätere gezielte Einbürgerung dürfte das Damwild in den ursprünglich von ihm besiedelten mitteleuropäischen Raum zurückgekehrt sein. . . ([Ueck 94] p. 18)

6 [Bund 09]

7 [Geit 02] p. 11

References

[Bund 09] Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
                 Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG)
                 Umweltbundesamt, 2009, Stand 2016

[Geit 02]    Geiter O., et al.
                  Bestandsaufnahme und Bewertung von Neozoen in Deutschland
                  Umweltbundesamt, 2002

[Taut 29]   Taut K.
                 Beiträge zur Geschichte der Jagdmusik
                 Diss., Leipzig, 1927

[Ueck 94]   Ueckermann E., P. Hansen
                  Das Damwild
                  Paul Parey, 1994