Von Ernst-Otto Pieper
Auf der nördlichen Halbkugel sind rund 15 Pestwurzarten weit verbreitet. Die mehrjährigen, krautigen Pflanzen besiedeln feuchte Gegenden im Gebirge, sumpfige Stellen, Flussufer oder auch feuchte Wälder. Einige Pestwurzarten werden wegen ihrer großen Blätter kultiviert; die Pflanzen sind gute Bodendecker an Bach- oder Teichufern oder in einem Wildblumengarten, können aber aggressiv werden.
Zu den ersten Frühjahrsblühern gehört in Mitteleuropa die Gewöhnliche Pestwurz (Petasites hybridus (L.) G. GAERTNER. et al.), die im gesamten nördlichen Eurasien verbreitet ist. In manchen deutschsprachigen Gegenden wird sie auch Rote Pestwurz, Bach-Pestwurz, in Teilen Bayerns auch Arschwurzen, genannt. Sie ist bei uns die am häufigsten vorkommende Pestwurzart.
Die Pflanze braucht feuchtnassen Untergrund. Wo das der Fall ist, werden Sandbänke, Gräben, Bach- und Flussufer, Schutthalden und Nassstellen in lichten Wäldern besiedelt. Weil sie oft in großen Beständen vorkommt, ist sie auch als Schwemmlandbefestiger von großer Bedeutung.
Die Pflanze hat einen eigenartigen Entwicklungsrhythmus: im Vorfrühling, zwischen März und Mai, treiben, noch vor dem Blattaustrieb, nur die mit Schuppenblätter versehenen, 20 bis 30 cm langen, Blütenschäfte aus einem knolligen Wurzelstock. Die Blüten stehen in Körbchen, die zu 15 bis 100 in einem – bei „männlichen“ Pflanzen – überwiegend gedrungenen, bei „weiblichen“ sich später ziemlich verlängernden, traubigen Gesamtblütenstand stehen. Die dichtstehenden Blütenköpfe sind weinrötlich-weißlich gefärbt. Die Blüten sind dem Anschein nach zwittrig, aber es sind nur die Staubgefäße oder die Griffel und Fruchtknoten funktionstüchtig, die Pflanzenart ist also funktionell zweihäusig. Bestäubt werden sie durch Bienen.
Erst am Ende der Blütezeit öffnen sich die Blattknospen. Sie formen dann bis zum Sommer die bis 80 cm (manchmal bis zu 100 cm) breiten, grundständigen, herzförmigen, am Stiel ausgeschnittenen und gewellten Blätter. Sie sind oberseits trübgrün und unterseits schwach spinnwebartig behaart, später kahl werdend. Die unangenehm bitter schmeckenden Blätter sind die breitesten der heimischen Flora. Der in der Renaissance bevorzugt eingesetzte Wurzelstock ist dick und lang, mit einfachen Wurzeln.
Die zylindrischen, behaarten Früchte werden durch den Wind verbreitet.
Die Pestwurz kann auf eine lange Geschichte als Heilpflanze zurückblicken. Da man im Hallstatter Salzberg gebündelte Laubblätter der Pestwurz fand, glaubt man nachweisen zu können, dass die Blätter bereits vor mehr als 4.000 Jahren als Toilettenpapier genutzt wurden. Noch heute ist in Bayern der volkstümliche Name „Arschwurzen“ für die Pestwurz üblich.
Gesichert ist, dass die Pestwurz von Griechen und Römern medizinisch genutzt wurden. Die Blätter wurden als Umschlag gegen bösartige Geschwüre genutzt. Kein Wunder, dass diese Pflanze als Heilpflanze in den meisten Kräuterbüchern des Mittelalters und der Renaissance wiederzufinden ist. Besonders auf die Schriften von Dioskurides und Galenus stützten sich die Heilkundigen der Renaissance. Dioskurides bezeichnete die Pestwurz als Petasites, griechisch pétasos = breitkrempiger Regenhut. Eine Bezeichnung, die heute in der Wissenschaft als Gattungsname genutzt wird.
Im Mittelalter diente die Pflanze vor allem wegen ihrer schweißtreibenden Wirkung als Mittel gegen die Pest, die häufig mit Schwitzkuren therapiert wurde. Daher wahrscheinlich auch der Name Pestwurz. Hildegard von Bingen empfahl die Pflanze bei Atemwegserkrankungen und Hieronymus Bock lobte die Pestwurz als schweißtreibendes Mittel. Im 18. Jahrhundert empfahl Haller die Pflanze als herzstärkende und gifttreibende Arznei. Im 19. Jahrhundert weist Grot auf die botanisch nah stehende Beziehung der Pestwurz zum Huflattich hin und schlussfolgert, dass Pestwurz ähnlich wie Huflattich einen Wirkstoff gegen Husten enthalten müsse.
Anfang des 21. Jahrhunderts wies man in Studien eine Wirkung gegen Migräne und Allergien nach.
Moderne Verwendung:
Vor Zubereitung als Tee aus Pestwurzblättern oder -wurzeln wird gewarnt, da die Pflanze im Naturzustand Substanzen enthält mit toxischer Wirkung auf die Leber. Für standardisierte Fertigpräparate werden nur Pflanzen aus kontrolliertem Anbau einer speziellen Zuchtform verwendet.
Pestwurz wird durch die Naturheilkunde als adstringierend, harntreibend, schweißtreibend, regulierend, wundheilend und auswurffördernd beschrieben. Man verwendet die Pflanze bei Husten, Heiserkeit, Asthma, Brustleiden, fehlender Menstruation, Rheuma, Gicht, Harnverhalten, Fieber, Epilepsie, nervöse Magenbeschwerden, gestörter Gallefluss, Leibschmerzen, Hämorrhoiden und neuerdings bei Heuschnupfen und vorbeugend gegen Migräne. Äußerlich dient das Wurzelpulver oder die zerquetschten Pestwurzelblätter als Wundheilmittel bei Verbrennungen und bösartigen Geschwüren.