Räude – Gefahr für viele Tiere

Von Dr. Ludolf Hoffmann, Klub Tirolerbracke Deutschland e.V.

 

Am Ende eines schönen Jagdtages mit Freunden im heimischen Revier, liegen 7 Füchse im bunten Herbstlaub auf der Strecke, nebst einer Sau und ein paar Stück Rehwild. Eine schöne bunte Strecke, so schön wie der Tag. Allerdings weisen drei der Füchse mehr oder weniger große haarlose Stellen auf der Haut auf. Einer gar – meine Hunde hatten ihn unter einem Wurzelstubben abgetan – hatte am ganzen Körper nur sehr schütteres Haar. Die Räude hatte ihm seinen einst schönen Balg übel zugerichtet und die Spuren des Kampfes mit den Hunden hatte ein Übriges dazu beigetragen, der bedauernswerten Kreatur eher das Aussehen einer Ratte zu verleihen, das so gar nicht recht zu der schönen Stimmung am Ende der Jagd passen wollte. Es scheint, dass zumindest regional doch in zunehmendem Maße Füchse erlegt werden, die mehr oder weniger deutliche Symptome der Räude aufweisen. In den Jahren meiner Studentenzeit führte ich ein jagdlich – ausschließlich jagdlich selbstredend – ausschweifenderes Leben. Und da in dem Revier, in dem ich eine großzügige Jagdgelegenheit genoss, großer Wert auf scharfe Fuchsbejagung gelegt wurde (es gab Hühner, Schnepfen, Fasanen, Kaninchen und Hasen), kamen durch meine kleine Anschütz im Kaliber 222 des Öfteren gut und gerne 40 Füchse pro Jagdjahr zusammen. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals einer dabei war, der verdächtig nach Räude aussah. Zwar habe ich keine Ahnung, woher diese vielen Füchse kamen, aber alle schienen sie äußerlich völlig gesund. Vermutlich war es so wie es beim Rehwild auch ist: Es gab einfach mehr als gedacht. Die Tollwut war seinerzeit dank jährlicher Impfaktionen gut unter Kontrolle und den Fuchsbandwurm gab es zwar schon, aber der ist ja bekanntlich eher ein Problem für den (Fehl-)Zwischenwirt und nicht für den Fuchs als Endwirt. Es schien tatsächlich so, die Füchse hätten ein Leben wie Gott in Frankreich – zumindest solange sie nicht gerade morgens zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Und keine Sorge: Es gelang keineswegs, die Füchse auszurotten.

Wie stellt sich die Situation heute dar?

Deutschland gilt derzeit als tollwutfrei. Was natürlich zweifelsohne eine gute Sache ist. Und uns hoffentlich nicht dazu verleiten sollte, es mit der Tollwutimpfung unserer Hunde weniger ernst zu nehmen. Es wird allgemein angenommen, dass sich seit dem Erfolg in der Tollwutbekämpfung die Fuchspopulation vervier- bis verfünffacht hat. Ein bedeutendes und in dem Maße nicht angenommenes Regulativ ist scheinbar weggefallen. Da der Fuchs ein Nahrungsgeneralist ist, dürfte eine Verknappung der ihm zur Verfügung stehenden Lebensgrundlage auch nicht ernsthaft in Betracht kommen. Mäusekalamitäten der letzten Jahre haben sicher ein Übriges getan, Reinecke gut über die kalte Jahreszeit zu bringen. Auch Bejagung – in der Hinsicht wird er ja in Zukunft noch deutlich weniger zur Ader gelassen werden – hat die Fuchspopulation nicht ernsthaft zu Schaden kommen lassen. Und nun leben sie in einer Dichte, die es Parasiten leichter macht. Bei Räude handelt es sich nämlich um eine durch Parasiten ausgelöste Erkrankung. Erreger sind (Räude-)Milben. Mikroskopisch kleine, an den Lebensraum Haut oder Horn angepasste Parasiten. Von denen gibt es eine ganze Sammlung auf der Welt.

Der Einfachheit halber kann man sich merken, dass praktisch jede Tierart ‚ihre‘ Räudemilbe hat. Bekanntes Beispiel ist die Gamsräude. Räudemilben sind wie viele Parasiten sehr wirtsspezifisch, das bedeutet, Schafräude bedroht Schafe, aber nicht den Schäferhund. Oder umgekehrt. Früher mangels Therapiemöglichkeit sehr gefürchtet und von großer wirtschaftlicher Bedeutung, spielt sie bei landwirtschaftlichen Nutztieren wie Schafen, Pferden und Rindern heute kaum noch eine Rolle. Am schlechtesten sind allerdings die Fleischfresser dran. Hunde und Katzen vor allem in südlichen Ländern haben auch heutzutage nicht selten Räude, wohl auch deswegen, weil sich oft niemand um sie kümmert. Wen interessiert schon, wenn ein Straßenhund weniger um die Müllhalden schleicht? Traurig und eine Schande für die Menschheit, wie ich finde.

Ein Parasit nimmt sich, was er braucht und schädigt damit seinen Wirt. Er lebt auf dessen Kosten. Räudemilben dringen in die Haut ein und ernähren sich von dem, was dort zu bekommen ist. Gewebswasser und Zellen decken ihnen beim Graben durch die Haut – weshalb sie auch Grabmilben heißen – den Tisch reichlich. Der Schaden, den die Milben durch ihre Fraßgänge anrichten, wäre ja vielleicht noch zu verkraften. Verhängnisvoller sind Folgeschäden. Zum einen sind die Fraßgänge eine Eintrittspforte für Bakterien aller Art, womit die Haut dann schon einer zweiten Welle von unliebsamen winzigen Invasoren ausgesetzt ist. Zum anderen lösen besonders die Ausscheidungen der Parasiten allergische Reaktionen aus. Entzündungen, starker Juckreiz, schuppige und verdickte Haut sind die Folge.

Damit kommt das dritte Elend.

Die geplagten Tiere scheuern sich und beknabbern sich an den erreichbaren Körperstellen, womit wir wieder bei Schaden Nummer zwei ankommen. Die Haare werden abgescheuert, brechen und fallen aus, der starke Juckreiz lässt die Tiere kaum zur Ruhe kommen, die Nahrungsaufnahme leidet. Und ohne die isolierende Eigenschaft des Felles muss mehr Energie zur Thermoregulation aufgewendet werden, bis es irgendwann einfach nicht mehr gelingt. Kurzum, unbehandelt gehen die infizierten Tiere meist einem gruseligen Ende entgegen, wie man es hässlicher kaum für einen Horrorfilm erdenken könnte.

Allerdings darf man nicht den Fehler machen, sich die Wechselwirkung zwischen Wirt und Parasit zu simpel und mechanistisch vorzustellen. So ungefähr wie: Parasit kommt, überfällt Wirt, der wird befallen und stirbt. So einfach ist es nicht. Auf jeden Angriff erfolgt eine Verteidigung. Das gilt auch für den Angriff eines Parasiten. Eine Immunantwort des Wirtsorganismus wird immer stattfinden. Und führt im besten Falle (aus der Sicht des Wirtes) dazu, dass eine Invasion wirksam verhindert wird. Was nicht immer klappt. Aber in der Nutztierzucht ist es mittlerweile nichts Ungewöhnliches, gezielt auf Parasitenresistenz zu züchten. Und das ist durchaus ein sehr erfolgversprechender und auch sehr erfolgreicher Ansatz. Man sollte sich auch einmal vor Augen führen, dass ein Parasit, der seinen Wirt umbringt, einen Pyrrhussieg erreicht hat. Möglicherweise hat er ein prima Leben auf oder in seinem Wirt gehabt.

Aber mit dessen Ableben entsteht ein Problem:

Die Lebensgrundlage ist mit einem Schlag weg und das eigene Überleben akut bedroht. Nun heißt es, dringend einen neuen Wirt finden. Räudemilben haben dieses Problem auch und lösen es unter anderem dadurch, dass die Räude hochansteckend ist. Also es sind ständig Milben parat, das Mutterschiff zu verlassen und auf ein anderes Schiff zu springen. Ein kurzer Kontakt des alten und des neuen Wirtes reichen dazu aus. Eine heftige Beißerei allemal. Und so wird erklärlich, dass bei hoher Populationsdichte des Fuchses die Räude grassiert. Die Wahrscheinlichkeit eines Kontaktes zwischen Füchsen steigt ganz einfach. Und so kann man, falls der eigene Hund einen räudigen Fuchs abgetan oder nur ordentlich gebeutelt hat, recht zuversichtlich sein, dass die Milben diese Gelegenheit nicht ungenutzt haben verstreichen lassen. Was tun in einem solchen Fall? Wie war das noch? Waren die Räudemilben nicht tierartspezifisch? In dem Fall leider Pech gehabt, Fuchs und Hund sind einfach zu nahe miteinander verwandt und da juckt ’s die Milbe nicht. Wohl aber den Hund, wenn nichts unternommen wird. Und so geschah es auch nach der eingangs beschrieben kleinen Drückjagd. Bevor die Milben ihr zerstörerisches Werk, das sie bei dem armen Fuchs verrichtet hatten, auch bei meinen Hunden anfangen konnten, hat eine Behandlung eines praktizierenden Kollegen meines Berufsstandes die Infektion im Keim erstickt. Ein Tierarztbesuch sollte also Standardprogramm sein nach solch einem Erlebnis.

 

Andererseits:

Eine mutmaßlich stattgefundene Übertragung von Räudemilben ist durchaus kein Notfall. Es ist weder anzuraten, auf ein gemütliches Schüsseltreiben zu verzichten und stattdessen mit eingeschlammtem Hund in der Tierklinik aufzukreuzen, noch sollte man am frühen Sonntagmorgen unbedingt riskieren, den doppelten Behandlungssatz zahlen zu müssen, nur, weil man eine Ansteckung mit Milben vermutet. Für Herrchen, Frauchen und das restliche Menschenrudel besteht ebenfalls keine Gefahr. Den Unterschied zwischen Mensch und Hund erkennt die Räudemilbe sicherer als ein großer Teil der menschlichen Gesellschaft, und sollte bei intensivem Kontakt doch eine unterdurchschnittlich intelligente Milbe ihr Glück in der Haut des Menschen suchen – sie bemerkt den Irrtum nach kurzer Zeit und ruft auf ihrer Odyssee nur ein kurzzeitiges völlig harmloses Jucken aus, was auch als Pseudokrätze bezeichnet wird und früher vermutlich öfter einmal vorkam, wenn sich ein Landmann bei seinem Vieh kurzzeitig viele Milben aufgeladen hatte. Ist der einzige Hund oder alle Hunde im Haushalt behandelt, braucht man sich auch um Teppich, Decken usw. wenig Sorgen zu machen: Sollten sich wirklich einige der unfreiwilligen Mitbringsel auf dem Hundelager aufhalten, werden sie von dem Hund bei einem der nächsten Kontakte wie magnetisch angezogen und – da der Vierbeiner ja behandelt ist – alsbald abgetötet. Natürlich wird nicht jeder Kontakt zwischen Fuchs und Hund bemerkt werden. Und wenn man nicht so recht sicher ist, kann man es natürlich auch darauf ankommen lassen. Wie gesagt, hoch wirksame Mittel stehen zur Verfügung und wenn auch sonst Diagnostik gelegentlich schwer ausfällt – Hautveränderungen fallen ins Auge. Und unser wachsames Auge hat sich unser Hund ohnehin verdient. Ein Musterbeispiel eines gesitteten Parasiten sozusagen, also einen, der seinen Wirt nicht ärgert, geschweige denn umbringt, sondern einfach nur ein unauffälliges Dasein fristet, ist die Haarbalgmilbe oder Demodex-Milbe; keine Räudemilbe, sondern eher deren netter Vetter, die nette Milbe von Nebenan quasi.

Sie bohrt nicht in irgendeiner Hautschicht herum, wird vom normal funktionierenden Immunsystem sicher in Schach gehalten und verursacht keinerlei Probleme. Ihr Lohn dafür: Sie lebt auf jedem Hund – wirklich auf jedem. Infiziert wird der Welpe bereits kurz nach seiner Geburt. An den Stellen, die am intensivsten mit der Mutter beim Säugen früh in Kontakt kommen, kommen die höchsten Milbendichten vor. Also an seinem Kopf zum einen und an den Vorderbeinen zum anderen, die der Welpe ja für den Milchtritt eifrig gebraucht. Sichtbar wird die Infektion aber allenfalls dann, wenn das Immunsystem des Hundes geschwächt ist. Dann können an Schnauze, um die Augen und an Vorderbeinen plötzlich die Haare schütter werden. Aber auch das ist eher ein Symptom des schlechteren Allgemeinzustandes, als das einer Haarbalgmilben-Infektion. Die ist nämlich stets ohne irgendwelche Symptome.