Rosskastanien-Miniermotte

Cameraria ohridella

Von Ernst-Otto Pieper

Ordnung:    Schuppenflügler oder Schmetterlinge (Lepidoptera)
Familie:      Minier- oder Blatttütenmotten (Gracillariidae)

Einleitung

Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten sind in den vergangenen Jahrzehnten nach Europa eingewandert oder wurden bewusst eingeschleppt. Einige von diesen gebietsfremden Tierarten (Neozoen) oder eingebürgerten Pflanzenarten (Neophyten) verschwanden wieder, andere konnten sich jedoch bei uns etablieren.
Die Liste solcher unerwünschten Neuankömmlinge ist sehr lang und hat zu einem neuen Wissenschaftszweig, der sogenannten Invasionsbiologie geführt.

Noch vor wenigen Jahren kannten nur Spezialisten die Rosskastanien-Miniermotte, war sie doch zumindest im Mitteleuropäischen Raum nirgendwo anzutreffen. 1984 wurde sie erstmals am Ohridsee (Mazedonien) auf Rosskastanien beobachtet und als neue Art beschrieben. 1999 war jedoch schon die Masse aller weißblühenden Rosskastanien im süddeutschen Raum befallen und auch bis in den Raum Nord-Hessen waren einige wenige Rosskastanien, überwiegend in den Großstädten, geringfügig befallen. Wenige Jahre später, nämlich 2003, ist die Motte in ganz Schleswig-Holstein, zum Teil auch schon in Dänemark, England und Frankreich verbreitet. Ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit beträgt ca. 100 km pro Jahr.
Die tatsächliche Herkunft der Rosskastanien-Miniermotte ist nach wie vor ungeklärt.

Die Raupen dieses Kleinschmetterlings entwickeln sich in sogenannten Minen (siehe Bild) innerhalb der Blätter der Gemeinen Rosskastanie (Aesculus hippocastanum). Bedingt durch die Fraßtätigkeit der Larven, die sich von dem energiereichen Palisadenparenchym der Blätter ernähren, verbräunen diese bei starkem Befall und fallen vorzeitig ab. Als Folge begegnen wir bereits im Sommer braunen oder kahlen Baumkronen.

Schwach befallenes Blatt der weißblühenden Rosskastanie (Burg in Dithmarschen); Foto: E.-O. Pieper

Entwicklung der Rosskastanien-Miniermotte

Die Rosskastanien-Miniermotte durchläuft den typischen Entwicklungszyklus eines Schmetterlings.

Je nach Klimabedingungen schlüpfen die Falter bei uns in Deutschland nach Beendigung der Winterruhe etwa Mitte April. Bereits mit dem ersten Tageslicht am frühen Morgen beginnt das Schlüpfen der Motten aus den Blattminen und endet erst am Abend mit dem Dunkelwerden. Kurz nach der Paarung legen die Weibchen durchschnittlich 20 weiße, abgeflachte Eier auf der Blattoberfläche der Rosskastanien ab. Es wurden pro Kastanienblatt bis zu 300 Eier beobachtet. Nach 2 bis 3 Wochen schlüpfen die Junglarven und bohren sich sofort in das Blattgewebe ein und fressen sich einen Gang von ein bis zwei Millimeter Länge – strichförmig parallel zu einem Blattnerv. Im zweiten und dritten Larvenstadium wird die Mine zu einem kreisförmigen Gebilde ausgebaut, das einen Durchmesser von bis zu acht Millimetern erreichen kann. Im vierten und fünften Larvenstadium sind die Larven nicht mehr abgeplattet, sondern rundlich und deutlich segmentiert. Die Minen der Larven können 30 bis 40 Millimeter groß werden und zwei Seitennerven des Kastanienblattes überlappen. Bei starkem Befall können auch so genannte Gemeinschaftsminen entstehen, in denen sich mehrere Larven entwickeln. Das Einspinnstadium beginnt nach dem fünften Larvalstadium, die anschließende Puppenruhe beträgt im Sommer 12 bis 16 Tage oder bei der überwinternden Generation sechs Monate.

Warum so erfolgreich?

Ihren Ausbreitungserfolg verdankt die Rosskastanien-Miniermotte einer Reihe von Faktoren. Einer der wichtigsten ist das Fehlen wirksamer natürlicher Feinde. Zwar wurden im Rahmen verschiedener Untersuchungen über 20 Parasitoiden-Arten nachgewiesen (im Wesentlichen Erzwespen), doch verursachen diese an fast allen Standorten Sterblichkeitsraten unter 10%. Die meisten der nachgewiesenen Arten treten zudem nur sporadisch auf. Dominierend in dem Parasiten-Komplex dieser Miniermotten sind die beiden Erzwespen-Arten Pnigalio agraulesund Minotetrastichus frontalis. Schweizer Forscher haben in einem Projekt das Laub, welches neben den Puppen der Rosskastanien-Miniermotte auch die der Schlupfwespen enthält, in speziellen Laubcontainern gesammelt. Diese waren mit einer feinmaschigen Textilplane umgeben, so dass nur die kleineren Nützlinge entweichen konnten. Der Anteil der durch Schlupfwespen parasitierten Motten kann dadurch etwa verdoppelt werden.

Wiederholt wurden Blau- und Kohlmeisen beobachtet, die zu bestimmten Zeiten in Kastanien in größeren Trupps Blatt für Blatt absuchten. Bei solchen Bäumen hält sich der Befall soweit in Grenzen, dass nur ein Teil der unteren Blätter vor dem Herbst abfällt. Blätter weiter oben weisen zwar die typischen Fraßspuren auf, sind aber ansonsten grün.

Im Handel gibt es Fallen mit Sexuallockstoffen (Pheromonen). Diese sind für Monitoring gut geeignet, Bekämpfungserfolge konnten mit den bisher erprobten Verfahren jedoch noch nicht erzielt werden.

Gegenwärtig wird die Rosskastanien-Miniermotte lediglich durch das im Laufe der Vegetationsperiode sich verringernde Nahrungsangebot und möglicherweise auch durch ungünstige Wetterbedingungen zur Flug- und Eiablagezeit reguliert. In Jahren hoher Populationsdichten stirbt ein mehr oder weniger großer Teil der Larven der Sommer- und Herbstgeneration aufgrund von Nahrungsmangel ab. Zur Vernichtung ganzer Cameraria-Populationen kommt es jedoch gewöhnlich nicht. Eine der Ursachen dafür ist, dass ein Teil der Puppen jeder Generation (auch der Frühjahrsgeneration) nicht mehr im selben Jahr schlüpft, sondern im Blatt bis zum nächsten Frühjahr verbleibt und so eine längere Zeit widriger Umstände überdauern kann. Ein kleiner Teil der Puppen kann sogar mehrere Jahre im Blatt überdauern. Auch kalte Winter können der Motte nichts anhaben, da die überwinternden Puppen kurzfristig Temperaturen von unter –20°C überstehen können. Wird das Herbstlaub noch durch eine isolierende Schneedecke geschützt, sind kaum Einbußen der Population zu erwarten.

Schädigung der Rosskastanien?

Bisher ist noch kein Absterben der Bäume aufgrund des Befalls beobachtet worden. Allerdings existieren auch keine Langzeiterkenntnisse. Untersuchungen haben ergeben, dass die Bäume zumindest mittelfristig nicht bedroht sind. Anscheinend bauen die Rosskastanien ihre Energiereserven im Frühjahr auf, also zu Zeiten, wo die durch die Rosskastanien-Miniermotte verursachten Blattschäden noch relativ gering sind. So konnten bei Jahresring-Analysen in Deutschland und Italien keine Wachstumsrückgänge beobachtet werden.

Besonders in Zeiten hoher Populationsdichten ergeben sich jedoch Auswirkungen auf die Größe der Früchte und Samen. Danach produzieren stark befallene Bäume deutlich kleinere Früchte und Samen. Zusätzliche negative Auswirkungen durch andere Kastanienkrankheiten könnten sich aber zukünftig negativ auswirken. In besonderen Fällen, beispielsweise bei starker Vermehrung, kann es zum Wirtswechsel kommen. Die Schädlinge sind schon an Berg- und Spitzahorn beobachtet worden.

Um die Mottenlast für den Baum zu verringern, muss ganzjährig das Laub der Rosskastanie gesammelt und vernichtet werden, damit die Puppen nicht überwintern können. Die über das ganze Jahr gebildeten Dauerstadien sind sehr widerstandsfähig; im Gegensatz zum Laub verrottet die Puppe nicht. Eine effektive Vernichtung der Puppen wird nur in kommerziellen Kompostieranlagen erreicht, da nur hier die notwendigen hohen Temperaturen erreicht werden. Eine einfache Kompostierung im Garten reicht also nicht aus. Alternativ ist eine Verbrennung des Laubs möglich, jedoch nicht überall grundsätzlich erlaubt. Verschiedene Umweltministerien der Länder gestatten aber die Verbrennung von Kastanienlaub zur Mottenbekämpfung.

Fazit

Die Rosskastanien-Miniermotte wird auch in der Zukunft für Aufregung und Diskussionen sorgen – der Falter wird sich nicht mehr ausrotten lassen und ist somit fester Bestandteil unserer Fauna geworden.

Eine langfristige, kostengünstige und biologische Methode zur Eindämmung dieses Neozoon kann eigentlich nur über die natürlichen Gegenspieler (Parasitoiden) erfolgen, alle anderen biologischen und chemischen Verfahren können nur eine Übergangslösung darstellen. Findet sich keine kostengünstige Kontrollmöglichkeit, so könnte sich langfristig das Stadtbild verändern, indem an vielen Stellen Rosskastanien durch andere Baumarten ersetzt würden.

Immerhin hat die Rosskastanien-Miniermotte dazu beigetragen, dass einwandernde Insekten-Arten in Zukunft schneller beachtet und untersucht werden.