Süntelbuche – die Rotbuche der besonderen Art

Von Ernst-Otto Pieper

Wer auf der A2 (Hannover-Dortmund) unterwegs ist, sollte unbedingt eine Pause dazu nutzen, im Kurpark von Bad Nenndorf und im Park von Lauenau die Süntelbuchen zu besuchen. Es sind Deutschlands seltsamste Bäume. Es sind keine Zufallserscheinungen, keine einmalige merkwürdige Verzerrungen – es ist eine seltene Varietät der in Deutschland weit verbreiteten Rotbuche (Fagus sylvatica). Der Name >Süntelbuche< weist auf die Heimat dieser seltsam anmutenden Wuchsform der Buche hin, nämlich den Süntel.

Süntelbuchen-Allee im Kurpark von Bad Nenndorf; Foto: E.-O. Pieper

Drehwuchs, Krüppelwuchs, Schlaufenbildung und die sogenannten Hexenbesen geben den Süntelbuchen nicht nur ihr ungewöhnliches, für viele Menschen auch unheimliches Erscheinungsbild. Sie brachten dem Baum auch die entsprechenden Namen ein: Krüppelbuche, Hexen- oder Teufelsholz, Schlangenbuche, Krause Buche, Schirmbuche, Renkbuche und noch viele andere. Wie die Namen schon zeigen, waren die Menschen vor Jahrhunderten wenig begeistert von der Schönheit oder Skurrilität dieser Bäume. Selbst wenn sie die „Süntelbeuken“, wie sie auf Plattdeutsch genannt werden, nicht unheimlich und bedrohlich fanden, waren die Waldbesitzer keine Freunde des „Deuwelholts“ (Teufelsholz). Es ließ sich wegen des Zick-Zack-Wuchses nicht verwerten. Nicht einmal als Brennholz konnte es in Meterstücke gestapelt werden; denn die Süntelbuche wächst so gut wie nie einen ganzen Meter gerade in eine Richtung.

Die Bäume wachsen mehr in die Breite als in die Höhe. Dabei erreichen sie nur selten eine Höhe von mehr als 15 Meter. Mit ihren herabhängenden Zweigen bilden die Süntelbuchen zeltähnliche, halbkugel- oder pilzförmige Kronen aus. Über die erbliche Wuchsform, die Herkunft und die Vermehrung der Süntelbuche haben sich schon viele Generationen von Wissenschaftlern, Hobbyzüchtern und Naturfreunden Gedanken gemacht. Die Bäume haben aber bis zum heutigen Tag ihr Geheimnis bewahrt.

Zweckmäßigerweise parken wir unser Auto in Bad Nenndorf und wandern zum Kurpark.

Anfang des 20. Jahrhunderts zog der Bad Nenndorfer Gartenbaumeister Carl Thon (1867 – 1955) aus von Süntelbuchen stammenden Bucheckern ca. 30 Tochterpflanzen und schuf mit ihnen 1930 eine kleine rechtwinklige Süntelbuchen-Allee im Kurpark. Durch Absenkerbildungen und Wurzelbrut sowie durch Nachpflanzungen entstand daraus eine Baumreihe mit rund 100 Stämmen. In den letzten 15 Jahren sind noch einmal über 20 junge Süntelbuchen, im Kurpark verteilt, gepflanzt worden. Damit besitzt Bad Nenndorf heute den größten Bestand an älteren Süntelbuchen in Deutschland.

Wenn es die Zeit erlaubt, fahren Sie nun nach Lauenau, parken das Auto mitten im Dorf und wandern, der Ausschilderung folgend, zum Park.

Da steht sie, respektvoll, wie ein riesiger Baumpilz. Der Stamm ist kurz und dick. Es gehören mindestens vier ausgewachsene Personen dazu, wenn sie ihn umspannen wollen. Die Höhe beträgt vielleicht 10 oder 12 Meter – es ist schwer abzuschätzen, denn der Baum steht dicht gedrängt in einer Ansammlung kleinerer und größerer Bäume unterschiedlicher Art. Alles an diesem Baum ist außergewöhnlich. Der dicke Stamm bricht wie ein graugrüner Drachenleib aus dem Boden des Parks, er windet sich in leichter Schräge kurz hoch, teilt sich in bizarr aufschwingende Äste und Zweige, nach oben, nach den Seiten, und jeder Ast, jeder Zweig dreht sich neben seiner auf und nieder schlängelnden Bewegung auch noch unregelmäßig um seine eigene Achse. Es ist, als sei dieser Baum in ständigem Hader mit sich selbst groß geworden, als habe er in dauernder Entzweiung mit sich gelebt und nach ewiger Veränderung getrachtet. Aber das schirmartig ausgebreitete Dach der Zweige ist eine Erscheinung voll wunderbarer Harmonie.

In der Umgebung gibt es noch einige weitere Süntelbuchen die aber oft nicht ganz einfach aufzufinden sind.

Süntelbuche in Lauenau; Foto: E.-O. Pieper

Das Alter von Süntelbuchen wird wegen ihres knorrigen Wuchses oft überschätzt. Die durchschnittliche Altersgrenze liegt bei 120 bis 160 Jahren. Der waagerechte, statisch ungünstige Wuchs scheint das Auseinanderbrechen alter morscher Bäume zu beschleunigen, so dass 300 Jahre nicht erreicht werden. Sicher bekannt waren nur die hohen Alter der Tilly-Buche bei Raden im Auetal (255 Jahre) und der Süntelbuche im Schlosspark von Haus Weitmar in Bochum (270 Jahre).

Die größte Differenz zur Normalform der Rotbuchen liegt im eigenartigen Wuchs von Wurzeln, Stamm und Ästen der Süntelbuche. Dreh-, Schlangen-, Korkenzieher-, Knick-, Knie-, Zickzack- oder schlicht Krüppelwuchs wurden bei den auf unterschiedlichste Art verdrehten Bäumen beschrieben. Die stammrückigen, elefantenfußartigen Stämme sind selten höher als 2 Meter. Vereinzelt gibt es auch, offenbar erbfeste, gänzlich stammlose „Buschformen“.

Zusätzlich zeigen Süntelbuchen eine leichte „Trauerform“. Die Zweige im äußeren Kronenbereich hängen herab, aber nicht so stark wie bei der Hängebuche. Die Zweige in der oberen Kronenmitte sind dagegen meist aufgerichtet und geben der Krone ein struppiges Aussehen.

Natürlich ist auch bei der Süntel-Buche der Wuchs abhängig vom Standort (Konkurrenz, Schatten, Nährstoffe, Wind, etc.).

Blüten, Blätter, Früchte und Rinde, sowie Farbe und Festigkeit des Holzes entsprechen der Art (Rotbuche). Allerdings zeigen Blätter und Früchte in Form und Größe eine größere Variationsbreite als bei der Normalform der Rotbuche.

Auffallend sind auch eine andere Anordnung der Knospen, gelegentlich vorhandene gekrümmte Knospen und doppelte Endknospen an den Zweigspitzen und die starke Neigung zur Ausbildung von Wurzelbrut, besonders bei in der Jugend umgepflanzten Bäumen. Die arttypische Rotbuchen-Herzwurzel wird bei der Süntelbuche durch den Krüppelwuchs stark verzerrt. Einzelne Wurzeln kommen dadurch häufiger an die Oberfläche und bilden Wurzelsprosse aus, die zu neuen, meist langen ungeteilten und schlangenwüchsigen Stämmen heranwachsen.

Als Geheimnis der Süntelbuche gilt die bisher ungeklärte Ursache ihres seltsamen Wuchses. Für die Wuchsform wurden die Bodenbeschaffenheit, Bodeninhaltsstoffe, radioaktives Grundwasser, das Klima, strahlende Meteore, Form und Stellung der Knospen, unterirdische Hohlräume mit Luftströmungen oder „Erdstrahlen“ verantwortlich gemacht. Es gab die Vermutung, nur die an den „Hexenbesen“ wachsenden Eckern könnten wieder Süntelbuchen hervorbringen. Auch vorübergehender Wasserentzug bei Jungpflanzen wurde als Erklärung für den Krüppelwuchs in Erwägung gezogen, doch beweisen ließen sich all diese Spekulationen bisher nicht.