Verschollen im Schnee

VON MARTINA UND CHRISTIAN FISCHER, REKEN

 

Eine „Geschichte“ zu Weihnachten

Eine Winterjagd wird für Moses, ein BGS-Deutsche Wachtel-Mix und Ferdi, eine Westfälische Dachsbracke, zu einem verhängnisvollen und dramatischen Schneeabenteuer.

Am Morgen des 16. Dezember – wie immer schon vor der Abfahrt im größten Jagdfieber – mache ich mich mit meinen beiden Hunden startklar für die doch sehr weite Anfahrt von 300 km von unserem Heimatort Reken zur Forstjagd im Soonwald, einem herrlichen Jagdgebiet nahe Rheinböllen. Die Wettervorhersage: Schnee ohne Ende. Tief Petra bringt reichlich Schnee nach Deutschland. Es geht im Nordwesten mit Schneefall und Schneeverwehungen los. Eine Eisfront, verstärkter Schneefall, Glätte und Temperaturen bis -7° Celsius sind gemeldet. Doch davon will ich mich nicht beeindrucken lassen, schon die Fahrt zum Soonwald ist ein Abenteuer für sich. Aber die Aussicht, in dieser wildreichen Region mit zu jagen, lässt meine Stimmung auch bei anstrengender Fahrt und niedrigsten Temperaturen steigen.

Mit einer beachtlichen Schneehöhe von 20 cm beginnt die Jagd wie geplant um 10.00 Uhr morgens. Moses, bestens ausgestattet mit Warnweste und Ferdi mit leider nicht aktiviertem Geolog und roter Halsung mit Glöckchen sind kaum noch zu halten und stürzen sich voller Begeisterung in ihren Jagdspass, ohne zu ahnen, was ihnen für eine dramatische, grausame und harte Zeit bevor steht. Schon nach kurzer Zeit höre ich sie laut hinter Rotwild jagen und kann sie sogar kurz dabei beobachten, wie sie, ungeachtet der extremen Witterungsverhältnisse, mal wieder perfekt ihren Job machen. Und, auch das spricht für unsere gut eingejagten und als Team hervorragend arbeitenden Hunde, wird kurz darauf vor ihnen Wild beschossen und zur Strecke gebracht.

Der Tragödie erster Teil

Danach habe ich meine Hunde nicht mehr gesehen. Die Jagd verläuft nun ziemlich ruhig. Entgegen der gewöhnlich schnellen und zuverlässigen Rückkehr fehlen jedoch Moses und Ferdi, und zum Ende der Jagd um 13.00 Uhr sind beide Hunde noch immer nicht zurück. Da ich die beiden als zuverlässige Partner kenne, lasse ich eine Hundedecke für sie am Ansitzplatz zurück, sicher, dass sie sich dort bald einfinden, und begebe mich für kurze Zeit zum Sammelplatz. Immer unruhiger werdend suche ich nun in den stündlichen Abstand meinen Ansitz auf, jedes Mal voller Zuversicht und Hoffnung, nun doch meine beiden Kämpfer dort, müde und durchgefroren, auf ihrer Decke vorzufinden. Aber jedes Mal werde ich wieder enttäuscht. Keine Hunde da. Kein anderer Jäger hat sie gesehen. Auch hat niemand sie mitgenommen und zum Sammelplatz gebracht. Ich bin verzagt, traurig und langsam beißt mir die Sorge in den Nacken. Einer der Jagdteilnehmer hat nach dem Treiben bei der Nachsuche noch Hunde jagen und hetzen hören. Doch das hilft mir gar nicht. Kein Anhaltspunkt. Wie vom Erdboden verschluckt hat diese Schneemenge meinen Moses und meinen Ferdi. Ich ärgere mich ganz schrecklich, das Geolog nicht eingeschaltet zu haben.

Nun gibt es nur eine klare Entscheidung. Ich rufe meine Frau an und muss ihr sagen: „ Die Hunde sind weg – nein, keine Nachricht – nein – ich bleibe hier – ich muss schnell erreichbar sein – ich suche weiter!“ Zunächst nehme ich mir in dem nahe gelegenen Ort ein Zimmer.

Doch da hält es mich nicht einmal zum Aufwärmen. Meine Sorge treibt mich hinaus. Ich suche weit bis Mitternacht weiter nach meinen Hunden. An Schlaf ist kaum zu denken, doch die Winternacht kriecht mir in die Knochen – armer Moses, armer Ferdi. So breche ich die Suche durchfroren ab und kehre in den Gasthof zurück. Eine sehr unruhige Nacht – ich denke an die Beiden da draußen, die, genau wie ich, die gemütliche und warme Stube mit leckerem Abendbrot bei meiner Frau sicher jetzt auch vorziehen würden.

Der Tragödie zweiter Teil

Am nächsten Tag bin ich schon sehr früh auf den Beinen. Bei frostigsten Temperaturen, die auch heute wieder bei -7° Celsius liegen, bin ich der einzige auf der Straße. Wenigstens ist es nun hell, und ich bin voller Anspannung und Hoffnung, etwas von meinen Hunden zu finden, am besten wäre es, sie säßen dort und warten auf mich. Doch ich werde wieder enttäuscht.

Nach langem Suchen finde ich plötzlich blutige Hundepfotenabdrücke im hohen Schnee und folge der Spur. Schon keimt ein Gefühl der Vorfreude, gleich meine Hunde in den Arm zu nehmen und zu drücken, da kommt mir ein Jagdterrier entgegen. Ich müsste mich jetzt freuen, einen vermissten Hund gefunden zu haben, doch so recht will mir das nicht gelingen.

Bei starkem Schneefall suche ich weiter. Mittlerweile werde ich da – bei von vielen unterstützt. Von anderen Jägern, Forstmitarbeitern und auch von meiner Frau, die mit dem Zug nachgereist kam. Sie hat es zu Hause einfach nicht mehr ausgehalten und wollte nicht untätig neben dem Telefon sitzen. So hat sie sich kurzerhand noch in der Nacht dazu entschlossen, ihre Sachen zu packen um mir zu helfen. Alle umliegenden Reviere und auch die Förster sind nun über die vermissten Hunde informiert. Auch dieser Tag geht zu Ende, ohne dass er uns die Hunde wiedergebracht hat. Eine klirrend kalte Nacht bricht an mit -11° Celsius, eisigstem Wind und ununterbrochenem stärkstem Schneefall.

Und das Drama nimmt kein Ende

Auch am Samstag und Sonntag suchen wir weiter. Leider finden wir keinerlei Anhaltspunkte,einfach rein gar nichts. Es gibt weder Spuren noch sonst einen Hinweis, der über den Verbleib der Hunde Auskunft gibt. Nur Schnee – Schnee – und noch mehr Schnee.

Mittlerweile können wir mit unserem Allrad-Fahrzeug nicht mehr vorwärts kommen und Mitjäger fahren uns mit ihren Geländewagen durch den Wald und zu weit abgelegenen Höfen. Doch nirgends werden wir fündig. Schweren Herzens reisen wir am Sonntagabend nach Hause. Unser weihnachtlich gestimmtes Haus will uns nicht erfreuen. Die Stimmung ist so eisig wie das Wetter. Noch niemals mussten wir ohne unseren Moses oder Ferdi von einer Jagd heimkehren. Am Montagmorgen gehen wir so gut wie eben möglich unseren Arbeiten nach. Zäh fließen die Stunden dahin. Immer in Gedanken im Soonwald. Abends ist es totenstill in unserem Haus, die leeren Hundedecken stimmen uns trübselig. Viel gibt es an dem Abend nicht zu erzählen. Wir schleichen um uns herum. Dann plötzlich und unerwartet gibt das Geolog am Dienstagmittag Signale! Unglaublich! Was geschieht denn hier nach sechs bangen Tagen? Der Tag der Mondfinsternis mit Schulausfällen durch Schneechaos im ganzen Land bringt eine schwache Hoffnungsbotschaft ins Haus. Unverzüglich, Verkehrschaos durch Schnee und Eis ignorierend, fahren wir sofort die weite Strecke in den Soonwald. Dort angekommen haben wir kein Signal mehr. Wir suchen die ganze Gegend ab und müssen mal wieder wetterbedingt abbrechen. Es gibt keine Wege mehr und wir versinken bis hin zum Bauch in Schnee.

Für die Nacht buchen wir uns wieder ein und starten früh am nächsten Tag unsere Suche. Wir verteilten Suchplakate von Tasso in der näheren Umgebung. Mehr können wir nicht tun. Die Enttäuschung nach diesem anstrengenden Tag ist nicht in Worte zu fassen. Wir beide sind totunglücklich und völlig erschöpft. Mit den Nerven am Ende kommen wir spät zu Hause an. In den nächsten Tagen schalten wir Zeitungsanzeigen. Nichts. Keiner hat die Hunde gesehen. Wir können nur noch warten, beten und auf ein Wunder hoffen. Denn bei solchen Wetterbedingungen ist es selbst für Hunde, die im Außenbereich gehalten werden, nicht mehr erträglich, draußen zu sein.

Eine erste positive Nachricht

Nach acht bangen Tagen erhalten wir am Donnerstag einen Anruf aus dem Soonwald, man habe einen Hund gefunden. Ein Forstmitarbeiter hat Moses gesehen, circa einen Kilometer vom meinem Ansitz entfernt! Dort hat er ihn sofort aufgenommen und zu sich nach Hause gebracht. Natürlich sitzen wir unverzüglich im Auto, und fahren zum wiederholten Mal die weite Strecke durch eine Landschaft, die sich immer noch in unschuldiges Winterweiß verhüllt. Gut, dass unsere Chefs und Arbeitskollegen so großes Verständnis für uns haben, sonst wäre dies gar nicht möglich. So können wir ein paar Stunden später unseren geliebten Moses in unsere Arme schließen. Wir sind überglücklich und dankbar, dass unsere Stoßgebete erhört worden sind. Gott, und wie sieht Moses aus. Rappelmager, verletzte Pfoten und die Hoden sind ganz furchtbar wund. Die sofortige tierärztliche Untersuchung ergibt, dass er ansonsten gesund ist. Er hat in der Woche sein Gewicht von 29 auf 20 kg reduziert. Wir nehmen uns eine Ferienwohnung vor Ort und hoffen auf Ferdi. Heilig Abend morgens sind wir wieder draußen – auf der Suche. Es stürmt und schneit und wir sind sehr angestrengt, vorwärts zu kommen ist eine beschwerliche Angelegenheit. Gegen 18.00 Uhr geben wir auf und wollen erst am nächsten Tag weiter machen.

Das Telefon klingelt, wahrscheinlich ein Anruf zu Weihnachten aus der Heimat – doch am anderen Ende der Leitung sagt eine Stimme: „Wir haben eine Dachsbracke mit einem Glöckchen um den Hals gesehen. Leider konnten wir den Hund nicht fest halten.“ Zehn Minuten später sind wir an der Stelle. Zusammen mit unserem geschwächten Moses gehen wir wieder in den Wald – und nach ein paar Minuten suchen kommt Ferdi auf uns zu.

Welch‘ ein Glück! Ein Wunder zu Weihnachten. Ein größeres Geschenk hätte uns niemand machen können als dieser kleine Hund mit seinem Glöckchen um den mageren Hals.

Das Wunder des Weihnachtssegens

Moses und Ferdi haben sich schnell wieder erholt.

Auch Ferdi hat von 16 auf 10 kg Gewicht abgenommen und seine Pfoten sind lädiert und auch bei ihm sind die Hoden ganz wund. Zusätzlich bringt er eine Zecke mit! Aber was kümmert uns das alles nach diesem Abenteuer.

Jetzt kann unser Weihnachten beginnen. Das beste Weihnachten seit langem! Wir haben das schönste Geschenk bekommen, das man sich vorstellen kann – da braucht man nichts anderes mehr. Dieses unglaublich große Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit ist mehr wert als alle Weihnachtsgeschenke der Welt. Der größte Dank gilt dem Forstamt Soonwald und allen mit suchenden Jägern. Eigentlich wollte ich nur ein paar Stichworte schreiben, aber es ist so emotional, dass es doch ein wenig ausführlicher geworden ist. Ich würde mich freuen, wenn diese Geschichte in irgendeiner Form im Mitteilungsblatt „Der Wildhüter“ abgedruckt wird, als kleine schöne Weihnachtsgeschichte. Leider haben wir keine Fotos gemacht in der schlimmen Zeit.

Beide Hunde haben sich nach zwei bis drei Wochen gut erholt. Alles ist verheilt und das Gewicht wurde, dank der guten Sorge meiner Frau, auch schnell wieder erreicht. Auch die erste Jagd haben alle mit viel Freude und Erfolg wieder erlebt.