Zoonosen

Von Dr. Ludolf Hoffmann, Klub Tirolerbracke Deutschland e.V.

Ein schöner Sommerabend, der Grill bruzzelt und Mensch wie Hund geht es ausgezeichnet. Besonders die Kinder kommen auf ihre Kosten, weil meine Amsel sämtliche Streicheleinheiten geduldig erträgt und gelegentlich Hundeküsschen an die Kinderschar verteilt, also sich mithilfe ihrer Zunge für die erhaltenen Zuwendungen revanchiert. Dass dabei die Kindermünder- und –gesichter von Resten der Grillmahlzeit gereinigt werden, mag den Genuss zusätzlich steigern. Warum lecken Hunde eigentlich gerne im Gesicht? Berühren und Belecken der Maulpartie gehört besonders zum Verhaltensrepertoire von Welpen, die damit erwachsene Rudelmitglieder um Nahrung anbetteln. Später, wenn Hunde erwachsen sind, zeigen sie es untereinander als Zeichen der Zuneigung, ohne dass es dem ursprünglichen Zweck des Bettelns um Nahrung dient. Häufig werden von uns diese Beweise hundlicher Zuneigung unterbunden. Eigentlich schade und so ähnlich, als würden wir einem Kind verbieten, seine Eltern zu drücken oder zu küssen.

Zurück zu unserer Grillszene. Ein schriller Schrei einer besorgten Mutter reißt sämtliche Anwesenden aus ihrer bierseligen Beschaulichkeit. Sie fürchtet um das Leben ihrer bei weitem weniger besorgten kleinen Tochter. Gar nicht einmal wegen der unmittelbaren Nähe des Kinderhauptes zu dem Raubtiergebiss meiner Tiroler Bracke, das, einmal in Muße betrachtet, schon entfernt an das Gebiss eines Säbelzahntigers erinnert. Nein, sie fürchtet lautlose Killer. Amsel, die sich wieder einmal mangelhafter Zahnhygiene schuldig gemacht hatte, beherbergte unstrittig Abermillionen von bösartigsten Bakterienstämmen, die nur auf eine Gelegenheit wie diese warteten, um über das süße Menschenkind herzufallen. Von den Würmern ganz zu schweigen.

Realismus oder Spinnerei?

Es gibt zweifelsohne infektiöse Krankheiten. Also solche, die von einem Lebewesen auf ein anderes übertragen werden. Geschieht das von Hund zu Mensch, redet man von Zoonosen. Je nachdem, ob das Tier den Menschen oder der Mensch das Tier infiziert, unterteilt man in Zoo-Anthroponosen einerseits und Antropo-Zoonosen andererseits. Das soll uns hier aber nicht quälen und quält auch die Wissenschaft nicht wirklich, weshalb der Einfachheit halber schlicht von Zoonosen geredet wird. Da der Mensch eine überaus egozentrische Spezies ist, interessiert er sich in aller Regel für vom Tier auf den Menschen übertragbare Krankheiten. Auch die Mutter auf dem Grillfest zeigte sich eher verständnislos über die Äußerung, die Gefahr für den Hund würde sicher im vertretbaren Rahmen liegen. Früher war die Rindertuberkulose weit verbreitet und es wurden große Anstrengungen unternommen, diese auf den Menschen übertragbare Tierseuche zu tilgen. Auf vielen Stalltüren älterer Höfe sind bis heute die Ergebnisse der jährlich wiederholten Überprüfungen des Tierbestands ‚Tuberkulosefreier Rinderbestand‘ zu finden. Die Anstrengungen der Rinderzüchter trugen Früchte und die Zahl der „positiv“ getesteten Tiere ging zurück. Die späteren Fälle positiver Tiere waren dann in aller Regel solche, die sich etwa am tuberkulose-positiven Altbauern infiziert hatten, der, zwar seit langem im verdienten Ruhestand, aber als Bauer mit Leib und Seele wie eh und je morgens und abends eine Runde durch den Kuhstall drehte und bei den Tieren nach dem Rechten sah. So sind durch die Untersuchungen der Rinder oft genug Therapien beim Menschen ermöglicht worden. Ein Beispiel mehr, wie eng das Schicksal von Mensch und Tier miteinander verknüpft sind.

Auch bei Hunden kommen Zoonosen vor. Dabei sind die Bakterien in Amsels Maul weniger Grund zur Sorge. Ich bin zwar sicher, dass in jedem Hundemaul mehr Bakterien hausen als auf der Erde Menschen leben, aber was heißt denn das schon? Das trifft für unsere Haut, unsere Mundhöhle und unseren Darm auch zu. Kein Grund, krank zu werden. Bei Körperkontakt, gleich welcher Intensität und Lokalisation, kommt es auch zu einem Austausch der Bakterienflora. Also in unserem Beispiel vom Amsel-Maul zum Kindergesicht. Und umgekehrt. Es wäre sicher interessant zu erfahren, wie ähnlich sich die Bakterienflora von Hund und Herrchen oder Frauchen aneinander angleichen. Kränker sind Hundebesitzer deshalb nicht. Und auch nicht deren Kinder oder solche, die häufig Kontakt zu Hunden haben. Das liegt auch daran, dass gegen die tatsächlich wichtigen Zoonosen, die durch Bakterien verursacht werden, erfolgreich vorgegangen wird. Da ist zum Beispiel die Leptospirose zu nennen. Leptospiren sind Bakterien, die aussehen wie ein Korkenzieher. Natürlich viel kleiner. Und ohne Griff. Aber die Bezeichnung ‚Schraubenbakterien‘ tragen sie zu Recht. Schauen Sie einmal in den Impfpass Ihres Hundes. Da ist sicher nachzulesen, dass gegen die Leptospirose geimpft wurde. Wobei es sich eigentlich gleich um zwei Leptospirenstämme handelt. Die sind verantwortlich für die sogenannte ‚Stuttgarter Hundeseuche‘ und die ‚Weilsche Krankheit‘. Ein geimpfter Hund ist aber geschützt und mit ihm der Mensch, der mit dem Hund zusammenlebt.

Auch die Welt der Viren hat Zoonosen zu bieten.

Viren sind eigentlich keine Lebewesen. Sie haben keinerlei Stoffwechsel und sind nicht in der Lage, sich selbst zu vermehren. Beides sind Merkmale von Lebewesen, gleich ob Tier oder Pflanze. Viren benutzen vielmehr Zellen von Lebewesen zur Vermehrung. Sie heften sich an die Zellen, schleusen ihre Erbinformation in die Zelle und diese ist fortan eine Viren-Fabrik, bis sie stirbt. Die Tollwut ist zweifelsohne eine der schrecklichsten Zoonosen und die Verhaltensänderungen bei infizierten Fleischfressern leistet der Ansteckung anderer Tiere oder auch des Menschen großen Vorschub. Noch heute sterben weltweit ca. fünfzigtausend Menschen jedes Jahr diesen qualvollen Tod. Wir haben das große Glück, in Deutschland in einem Land zu leben, in dem die Tollwut als getilgt gilt. Und zwar durch Impfungen der Hunde, Katzen und Füchse.

Um auch hier noch einmal auf den Impfpass zurück zu kommen: auch hier halten wir uns bitteschön tunlichst an die Vorschläge des Tierarztes unseres Vertrauens. Der dann für einen lückenlosen Impfschutz unseres vierbeinigen Lieblings sorgt. Und damit wiederum für einen Schutz unserer zweibeinigen Lieblinge.

Gut, wegen Tollwut hat sich die Mutter auf dem Grillfest wohl weniger Sorgen gemacht. Aber was ist mit den ganzen Würmern? In der Tat können Mensch und Hund von denselben parasitierenden Würmern befallen werden. Und die Möglichkeit einer Ansteckung vom Menschen durch den Hund ist durchaus kein unrealistisches Szenario. Hundeküsschen sind aber weitaus weniger gefährlich als ein Kontakt zu Tierkot.

Kontakt zu Tierkot?

Das ist doch eher abwegig, werden Sie jetzt sicher denken, das macht kaum ein Kind und wenn doch, wird das wohl nur von äußerst antiautoritär eingestellten Eltern geduldet. Und antiautoritär eingestellte Menschen werden kaum einen Hund haben. Zumindest täten sie gut daran, sich keinen anzuschaffen. Aber hier liegt die Gefahr eher verborgen. Und zwar verborgen im Sand von Kinderspielplätzen, in dem sich Hunde und Katzen lösen. Rundum paniert, sind die Hinterlassenschaften nicht gleich sicher als solche anzusprechen. Weil Wurmeier massenhaft durch den Kot ausgeschieden werden und nicht durch das Hundemaul, birgt der Kinderspielplatz sicher weitaus größeres Gefahrenpotential als der freundliche Hundekuss von Amsel.

Ja und dann gibt es ja auch noch den Fuchsbandwurm.

Und den Hundebandwurm. Echinococcus multilocularis heißt ersterer mit wissenschaftlichem Namen. Echinococcus granulosus zweiterer. Das hört sich harmlos an. Ist es aber nicht. Im Gegenteil. Wir sollten uns merken, dass die Echinokokken hierzulande zu den gefährlichsten Parasiten des Menschen gehören. Der Lebenszyklus dieser Bandwürmer benötigt einen Zwischenwirt – in der Regel eine Maus – und einen Endwirt – Fuchs und Hund. Ist unsere Tiroler Bracke ein erfolgreicher Mäusejäger, wird sie sich vermutlich irgendwann in den Reigen der Wurmwirte einreihen. Was nicht weiter tragisch wäre, wenn nicht in Folge der Mensch die Stelle der Maus, also die des Zwischenwirtes, einnehmen könnte. In Folge einer Infektion entwickeln sich nämlich Zysten, also so eine Art Blasen, vornehmlich in der Leber, die ein tumorartiges Wachstum zeigen. Gar nicht lustig.

Auch hier ist primär der Kot des Hundes bzw Fuchses die Ansteckungsquelle. Nicht sein Maul. Aber weil ja kein Mensch auf die Idee kommt, Exkremente von Hunden zu verspeisen, sind wir noch lange nicht sicher. Vom Kot gelangen die Eier der Bandwürmer zum Beispiel auf Waldfrüchte, das sollte sich ja inzwischen herumgesprochen haben. Viele Zeitgenossen verzichten deswegen konsequent auf den Verzehr nicht erhitzter Waldfrüchte. Aber was ist mit dem Ausflug aufs Erdbeerfeld zum selber pflücken? Der Fuchs kennt die Erdbeerfelder auch und besucht sie sicher gelegentlich, sobald der große Ansturm durch Menschen verschwunden ist. Also auch hier liegt die Gefahr eher versteckt und man muss ein wenig um die Ecke denken, um auf die richtigen Vorsichtsmaßnahmen zu kommen. Was durchaus nicht heißen soll, dass wir unseren Hund nicht gründlich säubern sollten, so er sich einmal einen Fuchs ordentlich um die Behänge geschlagen hat.

Erfolgversprechende Schutzmaßnahmen gegen Zoonosen liegen jedenfalls primär nicht darin, dass wir Kinder und Hunde soweit wie möglich voneinander trennen und jeglichen Kontakt verhindern.

Sondern vor allem darin, dass wir unseren Vierbeiner nach tierärztlicher Anweisung entwurmen und impfen. Daneben, dass wir unsere Hunde sich nicht dort lösen lassen, wo erwartungsgemäß Kinder spielen. Hundekot auf Spielplätzen ist kein ästhetisches Problem. Sondern ein gesundheitliches Risiko. Sollte doch einmal das Malheur passiert sein, sind wir bitte so rücksichtsvoll, die Hinterlassenschaften unseres treuen Jagdgefährten zu entfernen. Und schließlich täte es der Sache gut, wenn wir eifrig den Rotröcken nachstellen würden. Das Jagen mit unseren Bracken bietet dazu wunderbare Gelegenheit.

Brackenheil!