Zu dumm zum Ablegen?

Von Dr. Ludolf Hoffmann, Klub Tirolerbracke Deutschland e.V.

Es ist tatsächlich jetzt schon gut 10 Jahre her, dass ich mit meiner Amsel die GP absolviert habe. Natürlich hatte ich fleißig dafür geübt und ja dann auch – Hubertus sei Dank – ganz ordentlich bestanden. Wie auch auf der Jagd und überhaupt im Leben, spielt auch das berühmte Suchenglück bei so etwas immer eine Rolle.

Aber das Glück ist ja bei dem Tüchtigen. In dem Falle vor allem bei dem Fleißigen. Und ich muss sagen, dass ich mich bei keinen Fächern so über das Suchenpech von Mitstreitern gewundert habe wie bei den Abrichtefächern. Da sagt der Name schon alles. Es geht doch einfach nur darum, dem Hund etwas beizubringen. Wie schwer und unwägbar ist dagegen doch die Arbeit auf der Kunstfährte, wo eine heftige Verleitung zum Nicht-Bestehen führen kann, während ein anderer Hund einer Verleitung dieser Heftigkeit nicht ausgesetzt ist. Glücksache. Zwar wird auch die Riemenarbeit beigebracht, aber ohne die entsprechende Veranlagung ist da kaum etwas auszurichten. Noch weniger kann der Mensch beim Laut, der ja nicht beigebracht werden kann, etwas erwirken. Damit soll keineswegs der Faulheit im Rahmen der AP-Vorbereitung das Wort geredet werden. Im Gegenteil.

Es ist jämmerlich und zeugt von wenig Hundeverstand, wenn der Hund das erste Mal in seinem Leben bei der AP den Hasen jagen darf und dann noch erwartet wird, eine ansehnliche Punktzahl zu erreichen. Gewiss, der Laut ist eine Veranlagung. Aber alle Veranlagungen müssen geweckt und zur Entfaltung gebracht werden. Und das braucht schon mal seine Zeit bzw. deutlich mehr als eine einzige Gelegenheit. Aber wir müssen uns damit abfinden, dass ein Hund mit wenig Veranlagung niemals eine hervorragende laute Arbeit wird verrichten können. Es kann immer nur maximal das zutage gebracht werden, was in dem Hund steckt. Und kein Stückchen mehr. Und von einem Hund mehr zu erwarten, als er von seiner Veranlagung her kann, ist so unfair, wie von einem Vorstehhund Bauarbeit oder vom Dackel das Bringen eines Fuchses über ein Hindernis zu verlangen. Es ist schlicht aufgrund der Ausstattung des Hundes unmöglich zu erbringen.

Aber bei den Abrichtefächern! Ich muss zugeben, über das schlechte Abschneiden vieler Hunde war ich einigermaßen verwundert. Sagen wir, entsetzt. Das trifft es eher.

Vor Amsel habe ich Rauhhaarteckel geführt. Und bei Stöber- und Vielseitigkeitsprüfung werden auch Dackel abgelegt und ebenso wie beim Standtreiben müssen sie sich mucksmäuschenstill neben dem Hundeführer verhalten. Wenn sie winseln war’s das. Es gibt doch kaum einen Grund, mit den Bracken nachsichtiger zu sein. Es stört doch das sehnsuchtsvolle Winseln eines mittelgroßen Hundes nicht weniger als das eines kleinen. Sollte man meinen. Noch weniger habe ich verstanden, warum es vielen Jägern nicht gelingt, ihren Hund abzulegen.

Meine Dackelhündin Distel ließ sich bombenfest ablegen und strafte alle Gerüchte des nicht erziehbaren Dackels Lügen. Auch für Stunden. Sie war so gehorsam, dass sie selbst dann nicht aufstand, wenn eine dreiste Katze offensichtlich in Erkenntnis von Distels misslicher Lage aufreizend nahe an ihr vorbeistolzierte, sodass Distel vor Erregung zitterte. Aber aufstehen tat sie nicht. So sollte es auch eine Bracke können. Und meine Amsel ging gemäß meinen Ansprüchen durch eine entsprechend konsequente Schule. Es kann durchaus auch einem Brackenführer nicht schaden, einmal in einer VP von Dackeln als Schlachtenbummler teilzunehmen und sich von den Anforderungen bei Prüfungen anderer Hunde ein Bild zu machen.

Für mich ist das Ablegen das Abrichtefach schlechthin. Das wichtigste. Das Maß aller Dinge und Königsdisziplin. Denn ein guter Hund muss vor allem eins gelernt haben: Zu warten.

Der Lohn des Hundes bei Beherrschen des Faches ist, dass er bedenkenlos überall hin mitgenommen werden kann. Und so auch manchen Gast einer Speisegaststätte überrascht, wenn dann nach erfolgter Mahlzeit von Herrchen oder Frauchen noch ein bis dato völlig unbemerkt gebliebener Hund unter dem Tisch herkommt.

Einem Hund das Ablegen beizubringen – eigentlich nicht weiter ein Problem. Oder doch?? Vielleicht sind unsere Hunde nicht intelligent genug, um zu erfassen, was wir von ihnen wollen? Was ist das überhaupt – Intelligenz? Der Begriff kommt, wie könnt es anders sein, von den alten Römern, denen wir ja so manches zu verdanken haben. Auch das lateinische Wort intellegere, was so viel bedeutet wie ‚verstehen‘ oder wörtlich ‚wählen zwischen‘. Man könnte sagen, es ist die Summe der kognitiven Fähigkeiten eines Lebewesens. Gelegentlich auch umschrieben als die Fähigkeit, Erfahrungen zu sammeln und Erlebtes adäquat auf neue Situationen anzuwenden. Also das Richtige wählen zwischen gegebenen Möglichkeiten. Wir können ganz sicher sein:

Kein Hund auf der Welt ist zu dumm, als dass ihm das Ablegen nicht beigebracht werden könnte. Es hakt mal wieder bei uns, wenn es hakt. Zwar eine unbequeme Erkenntnis, aber doch eine hilfreiche, um besser zu werden. Das Ablegen ist nicht aufgrund mangelnder Intelligenz eine so schwere Übung. Sie ist es deshalb, weil der Hund dabei alleine ist. Das ist eine bedrohliche Situation für ein Tier, dessen Überleben von dem Zusammenwirken eines Rudels abhängt. Und dann ist da natürlich noch eine Fülle vergnüglicherer Varianten, seine Zeit zu verbringen. Zum Beispiel der Katze nachsetzen, die frech vor der Nase herumspaziert. Oder dem verführerischen Duft von Wild zu folgen, der aus der Dickung weht. Wenn es dann gar noch lustig knallt, verpasst man am Ende noch ein schönes Drückerchen im Kreise von Gleichgesinnten. Also schnell auf und davon denkt sich unser Freund aus nachvollziehbaren Gründen.

Fangen wir einmal Schritt für Schritt an. Es geht ja damit los, dass der Hund versteht, dass er sich hinzulegen hat. In jedem Buch steht beschrieben, wie man das machen kann. Meiner Meinung nach das Einfachste ist, aus dem Sitz heraus mit einer leckerli-bewaffneten Hand vor der Hundenase zu Boden zu gehen und den Hund dabei ‚mitzunehmen‘. Sobald der Hund im Platz ist, gibt es das Leckerchen. Zweiter Schritt ist, die Phase des Platzmachens zu verlängern, indem ein zweites Leckerchen belohnt, wenn das ‚Platz‘ eine, später zwei, drei, fünf, zehn usw. Sekunden beibehalten wird. Diese Phase wird verlängert, dann dem Hund ein Erlösungskommando gegeben.

Nur auf dieses hin darf sich der Hund zukünftig noch erheben. Sehr praktisch ist dabei ein Kontaktkommando. Also zum Beispiel ein zärtliches Tätscheln auf den Rücken oder den Kopf des Hundes. Das ist deswegen so gut, weil dann der Hund später, wenn ihm die Zeit lang wird, nicht ständig auf irgendeinen Pfiff geiert und, wenn endlich ein Vögelchen flötet, schleunigst aufsteht. Und je länger die Zeit wird, umso großzügiger wird der Hund in der Interpretation von akustischen Signalen. Das Tätscheln als Erlösungskommando hat auch den Vorteil, dass im fortgeschrittenen Alter, wenn das Gehör nachlässt, immer noch ein eindeutiges Signal gegeben werden kann. Im fortgeschrittenen Alter des Hundes natürlich. Und den weiteren Vorteil, dass wir selber nicht in Versuchung geraten, den Hund herzu pfeifen anstatt ihn abzuholen wie es sich gehört.

Den größten Fehler, den man jetzt machen kann ist der, den Hund abzulegen und ihn danach auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Falls der Hund aufstehen will, muss man sofort eingreifen. Es kommt doch gar nicht darauf an, ihn schon früh lange und unbeobachtet zu lassen. Der Hund lernt wie wir auch in klitzekleinen Schritten. Siehe Intelligenz. Wir nehmen sie auch für uns in Anspruch und doch haben wir alle mit dem kleinen Einmaleins angefangen. Nicht gleich mit Integralrechnung. Und wir müssen uns vor Augen führen, dass das Beibringen jeglichen Kommandos aus zwei Schritten besteht. Im ersten vermitteln wir dem Hund, welche Reaktion von ihm auf das gegebene Kommando gewünscht wird. Im zweiten, dass das nicht nur gewünscht ist, sondern auch eingefordert wird. Und zwar unbedingt.

Wenn zum Beispiel der Hund losjagt und wir hoffnungsloserweise hinterherschreien in der falschen Hoffnung, er würde die süße Fährte verlassen und stattdessen zu uns laufen, bringen wir ihm damit ziemlich sicher bei, dass der Ruf nach ihm relativ bedeutungslos ist und nicht weiter beachtet zu werden braucht. Weil nämlich der Hund ein intelligentes Wesen ist. Man sollte so etwas unterlassen. Genauso ist es beim Ablegen. Der Hund muss verstehen, dass er liegen bleiben muss. Nicht kann. Muss. Das geht nicht, wenn man ihn unbeachtet lässt. Es muss bombenfest sitzen, dass es sofort Ärger gibt, wenn man aufsteht. Er muss liegen bleiben, auch wenn die Welt untergeht. Ich bin sicher, hier liegt bei den meisten Fällen der Hase im Pfeffer, weil in zahlreichen Wiederholungen gelehrt wurde, dass es ganz nett ist, wenn man liegt, aber es durchaus ok oder zumindest nicht weiter tragisch ist, bei erhöhter Langeweile oder dem Auftauchen von Wild loszupreschen. Wenn dann wirklich fünf Minuten später ein Donnerwetter erfolgt, bewirkt das rein gar nichts.

Also nichts in unserem Sinne. Sehr wohl bewirkt es, dass der Hund verunsichert wird und an Vertrauen zu uns verliert. Es ist einfach nicht fair, den Hund so zu behandeln. Also: Die Dauer des Ablegens allmählich steigern und den Hund dabei immer im Auge behalten. Als nächstes kann man sich hinters Auto stellen und durch die Scheiben den Lehrling beobachten. Und nicht aus den Augen lassen. Wenn er einmal unbeobachtet aufsteht und nicht gemaßregelt wird, ist das ein schwerer Rückschritt, den es unbedingt zu vermeiden gilt. Aus dem Gesagten resultiert, dass jedes gegebene Kommando gut überlegt und im Zweifelsfall auch einmal unterlassen werden sollte. Das vor allem dann, wenn es nicht gut sitzt und ein Befolgen nicht durchgesetzt werden kann.

Noch eine Bitte, die ich hier unbedingt loswerden muss:

Man sollte keinem Hund zumuten, in für ihn sehr unangenehmen Situationen aushalten zu müssen. Bei einem Zeltlager mit vielen Kindern hatte ich Amsel im Interesse eines zwischenfallfreien Mittagessens abgelegt. Natürlich war Amsel der beste Freund eines jeden Kindes und so fing zuerst ein Kind an, Amsel ausgiebig zu streicheln. Ein zweites folgte, dann ein drittes und im Handumdrehen war Amsel von allen ihren Kinderfreunden umgeben. In so einer Situation heißt es aufpassen. Spätestens wenn der Hund anfängt, Beschwichtigungssignale zu zeigen, ist es höchste Zeit, ihn aus dieser misslichen Lage zu befreien und ihm zu erlauben, aufzustehen und sich zu entfernen. Tut man es nicht, riskiert man, dass der Hund dazu übergeht, distanzforderndes Verhalten an den Tag zu legen. Dafür haben wir Menschen dann meist herzlich wenig Verständnis und maßregeln den Hund am Ende noch für etwas aus seiner Sicht völlig Selbstverständliches.

Es hat überhaupt nichts mit Dominanzgebaren zu tun, wenn ein Hund, heftig bedrängt, äußert, dass er sich eingeengt fühlt. Schlimm kann es werden, wenn dem Hund beigebracht wird, dass aus seiner Sicht berechtigtes Brummeln Strafe nach sich zieht. Wir erreichen damit durchaus, dass der Hund das Brummeln einstellt. Aber keineswegs, dass der Hund seine Meinung über das ungebührliche Verhalten ändert. Wir machen ihn schlichtweg mundtot, nichts weiter. Was wird die Folge sein? Ihm bleibt dann, wenn es ihm unerträglich wird, nur noch die nächste Eskalationsstufe zu zünden. In die Luft zu schnappen bestenfalls. In den Kinderarm im schlechteren Fall.

Dasselbe gilt, wenn sich dem abgelegten Hund ein anderer Hund oder Mensch nähert, dessen Absichten zweifelhaft sind. Wir dürfen auch hier den Hund niemals daran hindern, seiner Art entsprechend richtig zu handeln. Wir brauchen Hunde, die in der Lage sind, selbstständig die richtigen, also intelligenten Entscheidungen zu treffen. Siehe Definition von Intelligenz. Ich denke, unsere Tiroler Bracken sind es in hohem Maße. Viele andere Hunde ebenso. Auch hier liegt es einmal mehr an uns, ihnen ihre arteigene Intelligenz zu erlauben und nicht durch ein falsches Idealbild von Kadavergehorsam zu unterbinden auf Kosten eines glücklichen Hundes und eines erfreulichen Zusammenlebens von Zwei- und Vierbeinern.