Zurückkommen

VON DR. LUDOLF HOFFMANN, KLUB TIROLERBRACKE DEUTSCHLAND E.V.

 

Nach spannender Drückjagd überall freudige Gesichter. Nur Jagdfreund Hubertus macht keinen glücklichen Eindruck. Weil, wie sich herausstellt, der wackere Pedro zwar schön gejagt hat, aber am Ende der Jagd weder bei einem Schützen oder einem Treiber, noch bei der Korona am Streckenplatz aufgekreuzt ist. Tatsächlich kommt es erstaunlich häufig vor, dass Hunde am Ende der Jagd nicht dort sind, wo sie gewünscht bzw. vermutet werden.

Wir wünschen unseren Vierläufer am Ende der Jagd wieder bei uns, klar. Nicht beim Schüsseltreiben des angrenzenden Jagdbogens, nicht mit vollgeschlagenem Magen an einem in der Dickung verendeten Stück Rehwild und auch nicht in der nächstgelegenen Bäckerei oder in einem Hühnerstall eines ortsansässigen Landwirtes. Obwohl das ja durchaus Lokalitäten sind, die aus der Sicht des Hundes eine interessante Alternative zum Kofferraum von Herrchen darstellen könnten.

Versuchen wir es mal der Reihe nach:

Es gibt eigentlich zwei Gründe, warum ein Hund nicht wieder zurückkommt: Entweder er kann nicht oder er will nicht.

Ersteres ist der Fall, wenn ihm etwa etwas zugestoßen ist. Klar, ein überfahrener Hund kann nicht mehr heimkommen. Einer, der schwer geschlagen ist, wird das auch kaum noch schaffen können. Und einer, der von gut meinenden Menschen in Obhut genommen wurde, ist ebenfalls möglicherweise nachhaltig daran gehindert, sich dorthin zu begeben, wo er sich gerne hinbegeben möchte. Im unkompliziertesten Falle gehört dieser gut meinende Mensch der Jagdgesellschaft an und der Hund genießt ein warmes Taxi an den Ort, den er ohnehin zu Fuß bzw. per Pfote aufgesucht hätte. Falls der gutmeinende Mensch allerdings dem Leitungsteam eines Tierheimes angehört, muss sich der Vierbeiner in aller Regel etwas länger auf das Wiedersehen mit Herrchen gedulden. Weil man sich dort in der Aufnahme und Versorgung verwahrloster Hunde bestens auskennt und ein Tag Vollpension in diesem Fall die Regel ist. Wenn Sie den Hund im Tierheim vermuten oder wissen, sollten sie berücksichtigen, dass nicht alle Mitarbeiterinnen solcher Einrichtungen der Jagd aufgeschlossen gegenüberstehen, um es einmal gelinde auszudrücken. Ein Auftritt mit Hirschhorn und sonstigem jägerischem Ornament bewirkt oft nicht das Aufkommen beschwingter Fachgespräche.

Es gibt leider auch Fälle, in denen Hunde von Teilnehmern der Jagd entwendet wurden und manchmal erst Jahre später wieder zum rechtmäßigen Besitzer gelangt sind. Unbegreiflich. Da ist eine Nacht im Tierheim deutlich leichter zu verkraften.

Mein Dackel Distel jagte immer weit und brauchte dann für den Rückweg entsprechend ihrer Statur so ihre Zeit. Aber sie kam sicher zurück. Und wenn nicht, dann, weil jemand das arme Dackelchen aufgesammelt hatte. Und das kam leider regelmäßig vor. Auch mit der Variante Vollpension. Dann gibt es noch einen besonderen Fall des Nicht-Könnens, über den vergleichsweise viel geredet und geschrieben wird:

Mangelndes Orientierungsvermögen.

Natürlich ist es so, dass jemand in die Irre geht und nicht ans Ziel findet, der nicht orientiert ist. Und es gibt nicht wenige Leute, die behaupten, dass mangelndes Orientierungsvermögen bei Hunden erblich ist. Ob dem so ist, kann ich weder bestätigen noch abstreiten. Aber es klingt zunächst einmal logisch, dass auch solch eine Eigenschaft zum einen vorhanden sein mag und zum anderen genetisch zumindest mit verursacht ist. Nur: Festzustellen, ob der Hund mangels Orientierungsvermögen oder mangels Willen nicht zum Herrn zurückkommt, ist im Einzelfall gar nicht leicht. Wenn überhaupt möglich. So hatte unser Jagdfreund Hubertus den wackeren Pedro, einen Beagle, der vor Jagdlust nur so strotzte und sich im besten Alter befand. Zumindest hatte der Hund deutlich mehr Jagdpassion als sein Herr, denn Hubertus Jagddurst war gestillt, wenn er die große Jagd im Dorf als Treiber und Hundeführer absolvierte. Das war einmal im Jahr. Einen Jagdschein besaß er nicht.

Zugegeben, diese Jagd war (und ist) immer ein jagdliches Highlight der besonderen Art. Mindestens zwei, oft drei Treiben am Tag, viel Wild, dieselben netten Leute seit vielen Jahren, Streckelegen im Feuerschein und zünftiges Schüsseltreiben.

Jägerherz, was willst Du mehr?

Nun war das letzte Treiben vorbei und im Schein des prasselnden Feuers wurde geplaudert und die Strecke bewundert. Hubertus‘ Pedro ward schon seit dem frühen Vormittag nicht mehr gesehen. Das lange Gesicht von Jagdfreund Hubertus erhellte sich aber mit einem Mal, als talabwärts deutlich Pedros ‚Hau-hau-hau‘ durch den finsteren Wald hallte. Der Laut näherte sich bis auf ca. 70 Schritt, verstummte, und siehe da – aus der Dunkelheit kam Pedro mit hängender Zunge und sichtlich zufrieden zum Streckenplatz getrollt. Aber was war das? Auf einmal machte er kehrt, verschwand wieder in der Dunkelheit und dann ging es ‚hau-hau-hau‘ wieder in die Nacht hinein. Hubertus‘ Suche in der Nacht war natürlich außer der ziemlicher Ermüdung ergebnislos. Am Morgen des nächsten Tages aber fand man Pedro friedlich schlafend im vorsorglich in den Hauseingang gestellten Hundekorb tief in die Decken eingerollt und schlief seinen jagdlichen Rausch aus.

Der Hund – aus nicht jagdlicher Zucht wohlgemerkt – wusste immer ganz genau, wo er sich gerade befand. Er wollte ganz einfach den einzigen Tag des Jahres, an dem er seiner Bestimmung nach sein und jagen durfte, auskosten, so lange es eben ging. Genau so ist auch meinem Welsh Terrier Ricki, aus zweiter Hand, ebenfalls ohne jagdlich ausgesuchte Ahnen in seinem vor Schönheitstiteln wimmelnden Stammbaum und ohne eigentliche jagdliche Ausbildung, ein gutes Orientierungsvermögen nicht abzusprechen. Auch wenn er, durch den Laut anderer Hunde verleitet, sich einmal weiter von mir entfernt, als er es bei einer Solojagd tut, findet er in völlig unbekanntem Gelände sicher zu mir zurück. Ich habe keine Ahnung, wie er das anstellt, aber ich denke, Hunde – auch solche, die nicht jagdlichen Linien entspringen – werden von uns oft hoffnungslos unterschätzt.

Auch in Sachen Orientierungssinn.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Hunde von Mutter Natur mit einer perfekten Ausstattung versehen wurden, genau solche Aufgaben zu meistern. Und mein kleiner wilder Ricki hat mir da in so mancher Hinsicht die Augen geöffnet. Es scheint ihm ein leichtes, mehr oder weniger genau den Hinweg der Jagd zurückzulaufen, bis er wieder bei mir ist. Eine Bracke, gar eine unserer Tiroler, aus bester jagdlicher Zucht, die stundenlang die Fährte halten kann, sollte überhaupt kein Problem mit der Orientierung haben. Es ist schon bei Rudolf Frieß nachzulesen, dass Hunde mit gutem Orientierungssinn nicht nötig haben, ihren Hinweg zurückzugehen, sondern dass sie den kürzesten Weg wählen.

Also wenn nun die Jagd bogenförmig verlief, laufen sie quasi die Sehne des Bogens als direkten Weg zurück. So passiert es mir auch regelmäßig, dass meine Amsel aus einer völlig anderen Richtung zu mir kommt als aus der, in die sie losgeläutet ist. Es scheint fast, als hätten solche Hunde eine Karte mit dem eingezeichneten Zielpunkt im Kopf. Das ist dann wohl ein wirklich guter Orientierungssinn und ich denke, in den Populationen aller Rassen der jagenden Hunde (damit meine ich jetzt nicht Jagdhunde) wird ein großer Prozentsatz solcher sein. Ihr natürliches Erbe und eine Garmin-freie Jahrhunderte andauernde Zucht haben das fest verankert.

Übrigens Rudolf Frieß.

Sein Buch Hatz-Watz ist eine ebenso lehrreiche wie kurzweilige Unterhaltung zu diesen und anderen Themen rund um jagende Hunde. Wenn der Orientierungssinn eines Hundes versagt, dann mag es schon eher so sein, dass der Hund nie gelernt hat, seine Fähigkeiten einzusetzen. Zum Beispiel, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass nach der Jagd Herrchen die Waldwege abfährt und man deswegen einfach nur dort zu warten braucht. Und es gibt auch welche, die gelernt haben, dass man sich nur an andere Hunde zu hängen braucht, die leiten einen dann sicher Heim. Also vergessen wir einmal hundliches Unvermögen und machen nicht den Fehler, von unserer Unfähigkeit auf die der Hunde zu schließen. Hunde sind auch in dieser Hinsicht die vollkommeneren Jäger. Allenfalls haben wir sie durch unser Unvermögen verdorben.

Damit wären wir dann wieder eher in der zweiten Kategorie. Wenn Waldmann zwar kann, aber dennoch nicht kommt, liegt es daran, dass er nicht will. Eigentlich ja seltsam, denn ein so soziales Wesen wie ein Hund sollte doch nach unserer Gesellschaft schmachten. Dass er dennoch gerade im Moment nicht zu uns will, kann viele Gründe haben.

Unser Pedro zum Beispiel.

Der konnte zwar zweifelsohne – und stellte es unter Beweis – , aber seine Passion zu jagen war einfach zu groß. Er verfolgte eine Spur, die vielleicht für weniger feinnasige Hunde nicht besonders interessant gewesen wäre. Aber für ihn war sie elektrisierend genug. Und voller angestauten Jagdtriebs gab es kein Halten für ihn. Bis zum nächsten Morgengrauen, als er erschöpft und zufrieden endlich nach Hause wollte. Zumal er sich ja zwischendurch davon überzeugen konnte, dass Herrchen wohlauf am Streckenplatz angekommen war…

Überhaupt: kommt der Hund an Wild oder dessen Fährte, wird er es verfolgen wollen. Und es tun, bis sein Drang zu jagen geringer wird als sein Schmacht, wieder bei Herrchen zu sein. Ist der Hund sehr selbstständig und passioniert, jagt er lange, bevor er Schmacht bekommt. Selbstsicherheit kommt auch mit der Zeit und Erfahrung, und ein gut bejagter Hund im besten Alter geht in der Regel weiter als der junge Unerfahrene. Ist er müde, alt oder jagdlich überstrapaziert, wird er weniger lange jagen. Sticht er den Hasen aus der Sasse, wird das seiner Passion einen Schub geben und er noch eine Weile der Jagd dranhängen. Hat er die Erfahrung gemacht, dass Beute zu fangen ist, zum Beispiel, weil es nach einer Stunde des lauten Jagens doch noch knallt und das Stück tot umfällt, so wird er daraus lernen, dass es sich lohnt, dranzubleiben. Jagt er angeschweißtes Wild und sieht dieChance es einzuholen oder abzutun, wird er ebenfalls länger dranbleiben. Stellt der Hund krankesWild, erwarten wir ja gar von ihm, nicht einfach abzulassen, nur weil jetzt gerade das erste Treibenrum ist.

Kommt er hingegen nicht an Wild, wird er lediglich eine kleine Runde drehen und sich danach zunächst einmal vergewissern wollen, dass Herrchen weiter auf ihn wartet. Hat er aber überhaupt keine gute Bindung zum Herrn, wird der Schmacht, zu ihm zurückzukommen, später oder gar nicht einsetzen. Vergleichbar damit, dass schon manches holde weibliche Wesen die Ansitzdauer eines Jägers abgekürzt haben soll. Und der Hund wird mangels Bindung auch kaum größere Anstrengungen unternehmen, zurückzufinden. Womit die Gefahr steigt, dass er verloren geht. Schmacht zu Herrchen ist auch dann mangelhaft vorhanden, wenn sich bei Hunden kleine Spiessgesellschaften bilden, die dann in fröhlicher Runde gemeinsam jagen und scheinbar vergessen haben, dass der Rest auch zum ‚Rudel der heutigen Jagd‘ gehört. Das kann soweit – meist unbewusst – antrainiert werden, wie bei den Hunden eines Jagdfreundes. Der schnallt seine beiden Wachtel grundsätzlich nicht auf derselben Jagd. Tut er es doch einmal ausnahmsweise, dauert es nicht lange, bis sie sich finden und dann braucht es volle Batterien beim Garmin plus die Antenne fürs Autodach…. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das kein wachtel-spezifisches Verhalten ist.

Erfahrungen sind ohnehin auch für das Thema Zurückkommen von größter Wichtigkeit. Von der Selbstsicherheit des Hundes, dass zurückzufinden kein Problem ist, war ja bereits die Rede. Das wird freilich durch Erfahrung gefördert und unterstützt. Je früher in seinem Leben der Hund die Erfahrung macht, dass es zum einen seine Aufgabe ist, zurückzukommen und zum anderen, dass er diese Aufgabe auch meistern kann, umso besser ist es und umso entspannter wird der Hund bei der Solojagd bleiben. Eigentlich selbstverständlich, aber dennoch leider oft falsch gemacht:

Kommt der Hund zurück, gehört er gelobt. Immer. Was bitte erwarten wir von einem intelligenten Säugetier, womit er Zurückkommen verknüpfen wird, wenn danach erst mal die Wucht auf dem Programm steht? Da sollten wir uns nicht wundern, wenn beim Hund kein freudiges Zurückkommen mehr auf dem Zettel steht. Eine wichtige Erfahrung ist es auch, dass Herrchen am Platz bleibt. In aller Regel wird der Hund länger und länger, je mehr Zeit ihm zum Jagen gewährt wird. Entfernt man sich frühzeitig vom Platz, gibt es zwei Möglichkeiten, wie der Hund reagiert: Entweder er wird, aus Angst, Herrchen nicht mehr vorzufinden, kürzer jagen. Oder aber er lernt, dass es keinen Sinn macht, sich der Mühe zu unterziehen, an den Ausgangspunkt der Jagd zurückzukommen. Da ist Herrchen ja vermutlich ohnehin nicht. Da sucht er sich doch lieber stattdessen etwas anderes. Andere Jagdmöglichkeit. Etwas zu fressen. Oder andere menschliche Gesellschaft. Alles das gilt es zu vermeiden.

Nun denken wir zu gerne:

Klare Sache, ein Ortungsgerät und schon funktioniert der Hund wieder. Wenn es mal so einfach wäre…. Hundeortungsgeräte sind eine tolle Sache. Ohne Wenn und Aber. Meine Hunde tragen auch eines, wenn sie jagen. Es entspannt Herrchen, verhilft zu interessanten Erkenntnissen über den eigenen Hund und hilft auch gelegentlich, das eigene Verhalten richtig auszurichten. Etwa dann, wenn die Hunde außer Hörweite ein krankes Stück gestellt haben. Es kann auch helfen, einen Hund wiederzufinden, der selber nicht mehr in der Lage ist, einen Ortswechsel vorzunehmen, egal ob er nun geschlagen oder einkassiert worden ist. Der Preis eines guten Gerätes erscheint mir lächerlich gegen den Verlust des Hundes oder die Besorgnis, die man selber oder die Familie erleidet, wenn der Hund einmal nicht zurückkommt wie gewohnt. Aber sie kompensieren nie die Fähigkeit des Hundes, zurückzukommen. Man tut gut daran, nach dem Grundsatz zu verfahren, sich nicht auf sie zu verlassen. Und man sollte auch nicht direkt nach der Jagd dorthin losfahren, wo der Hund gerade jagt. Das lehrt ihn das Gegenteil von dem, was er verinnerlichen sollte.

Das führt mich zu einem weiteren Fall der märchenhaft günstigen Lösungen: In einigen Jagdzeitungen werden hin und wieder wundervolle Hunde angeboten. Welpen mit Garantie, Totverbeller zu sein bzw. zu werden. Oder garantiert bogenrein zu jagen.

Da kann ich nur sagen: Alles Quark. Und wer auf diese Bauernfängerei hineinfällt, ist es selber schuld. Unsere Bracken sind wundervoll. Genauso wie sie sind. Und mit allem ausgestattet, was sie zum freudvollen gemeinsamen Jagen benötigen. Zur Entfaltung aller ihrer jagdlichen Anlagen benötigen sie nur noch uns. Unsere umsichtige Erziehung, die es ihnen ermöglicht, eine enge, ja, innige Bindung mit uns zu einzugehen. Eine Jugend, die nicht durch viele Gehorsamsübungen und eine kurze Leine, sondern vor allem durch viel Möglichkeit, Erfahrungen zu machen, geprägt ist. Die Erfahrung, dass es ihre Aufgabe ist, zum Rudelchef Verbindung zu halten und die Erfahrung, wie man das anstellt. Umsichtige und verständnisvolle Führung auf der Jagd, die in rechtem Maß fördert und korrigiert. Ausreichend Jagdmöglichkeit, alles anzuwenden und zu vervollkommnen, zu lernen, wie lange und wie groß Treiben sind und dass außerhalb kaum Beute zu machen ist.

Es liegt an uns. Wir haben jagende Hunde. Deren Daseinszweck ist nicht, hübsch unter der Flinte zu gehen. Das sollten wir uns vor Augen halten. Und dankbar darüber zu sein, mit ihnen jagen zu dürfen.